DNN /LVZ, 28.07.1999
Von Hemdsärmeln und Händedrücken
Mal abgeschirmt, mal in der Menge badend: Des Kanzlers zwei Auftritte in Dresden
Er hat nicht den berühmten Doppelhänder Bill Clintons - mit rechts die Hand ergreifen, mit links den Unterarm fassen -, er schüttelt Hände konventionell, einhändig. Doch auch Gerhard Schröder, der Bundeskanzler, scheint gern in der Menge zu baden. Zumindest an diesem heißen Nachmittag in Striesen, hemdsärmlig, mit schwarz-grüner Krawatte und gut gebräunt am verschrammten Holztisch sitzend, umringt wie von Fans beim Popkonzert.
Drucker Karl Nolle, sein alter Juso-Kumpel, und die sächsische SPD haben ihn zu diesem Sommerfest in Nolles Betrieb eingeladen, nur wenige Kilometer vom VW-Festzelt. Nolle hat ihn durch seine Druckerei geführt, ihn mit Details über Druckverfahren überschüttet. Geredet hat er, genau wie zuvor SPD-Landeschef Karl-Heinz Kunckel und Nolle - über den er erzählt, daß der ihn zu ihren wilden Juso-Zeiten in den 60ern von links kritisiert habe.
Und nun gibt er am Biertisch Autogramme, läßt sich von Nolle Bier holen, bekommt von alten Damen alles Gute versichert. Hemdsärmlig sticht er hervor aus seinem Umfeld drahtiger junger Leute in makellosem Anzug. Für sie, die Personenschützer vom Bundeskriminalamt, sind solche Massenbäder Horror, wie eine seiner Leibwächterinnen bestätigt.
So locker hat er sich Stunden zuvor bei VW am Straßburger Platz nicht gegeben, auch wenn es dort ähnlich heiß war. Da ist er nicht der Kanzler für die Menge, da legt er abgeschirmt von ihr mit Honoratioren und VW-Spitze den Grundstein für die Nobelkarossen-Fabrik. Sie sind unzufrieden, die Menschen vor dem abgesperrten Zugang zu Baustelle und Festzelt. Drinnen hört man Reden und schmaust später vom Hilton-Buffet: VW> Stadträte, Bürgermeister, ein bißchen Prominenz, man ist unter sich. "Und wir müssen draußen bleiben. Das ist ein Skandal", sagt Anwohner Dieter Zeggel, der beileibe ,nicht wie ein Stänkerer und Krawallbruder ausschaut. Wie sein Nebenmann Klaus Kern hält er die VW-Fabrik für eine gute Sache - aber nicht, daß der ganze Festakt abgeschottet vor sich geht: "Da hätten die das gleich bei Biedenkopf im Dienstzimmer machen können." Sozialdezernent Klaus Deubel sieht das später ähnlich: Das könne Vorbehalte bestärken, VW sei eine elitäre Angelegenheit. Vielleicht lasse sich das beim Richtfest korrigieren.
Gisela Mohr wiederum, die einen Steinwurf von Nolles Druckhaus wohnt, wird den Kanzler in wärmster Erinnerung behalten. Getroffen hat sie ihn mit ihrer Nachbarin Renate Gaßan auf der Straße, auf seinem Weg zum Hubschrauber, kurz bevor er Dresden um kurz nach drei verläßt. "So, so habe ich ihm die Wange gestreichelt", sagt sie mit glänzenden Augen und fährt sich mit ihrer Hand zart über das Gesicht, als auf dem
"Auch für mich, bitte": Fast eine halbe Stunde lang schrieb Gerhard Schröder beim SPD-Sommerfest Grußworte auf seine Autogrammkarten.
Sportplatz der SG Striesen, schon die Rotoren angelaufen.
Der dunkelgrüne Helikopter vom Bundesgrenzschutz bringt den Kanzler mit Karl Nolle, Kunckel und Anhang zum nächsten Wahlkampfstopp nach Freiberg. Noch eine Betriebsbesichtigung, noch mehr Händeschütteln. Das hinterläßt auch ohne Clintonesken Doppelhänder bleibenden Eindruck: Die rechte Hand will Schröder-Grüßerin Renate Gaßan erstmal ungewaschen lassen - sagt Sie jedenfalls.
(Stefan Alberti)