Freie Presse Chemnitz, 29.07.1999
Der Quereinsteiger mit dem Bärenstein-Konzept
Karl Nolle: Von den Genossen geächtet und hofiert - Vorzeige-Unternehmer als Hoffnungsträger der sächsischen Sozialdemokraten
DRESDEN. Man merkt, daß der Mann Drucker ist. Plakate, wohin man sieht. Sie werben für das Sommerfest seines Druckbetriebs, sie werben für seine Partei und für ihn. Der Bundeskanzler kommt als Ehrengast zu Besuch. "Der liebe Gerhard", wie er ihn nennt, hat die gemeinsame Juso-Zeit nicht vergessen. Das ist der Moment, in dem Karl Nolle gern einmal in den Hintergrund tritt. Eine ungewohnte Rolle für ihn, der seinen Namen gern zum Programm erklären möchte: Als Alternative zur Wirtschaftspolitik der sächsischen CDU.
Vieles ist so ungewöhnlich an diesem Lebenslauf, daß er in kein Raster paßt. Vielleicht verwirrte das auch Wirtschaftsminister Schommer, als er im Februar Nolles Druckbetrieb besichtigte, vom technischen Standard und von dem fortschrittlichen Modell der Mitarbeiterbeteiligung angetan war.
Im Regionalverband der Druckindustrie fungiert Nolle als Vorsitzender, im Bundesverband tritt er gegen die Tarifforderungen der Gewerkschaften an. So einer konnte eigentlich nur in der CDU sein. Um so größer die Überraschung, als der Vorzeige-Unternehmer im Schattenkabinett der Landes-SPD auftauchte.
Undogmatisch, den Blick für das Machbare durch keine Ideologie getrübt: So sieht sich Karl Nolle. Sozialdemokrat ist er durch und durch... Der Urgroßvater saß für seine Überzeugung im Gefängnis, der Vater arbeitete im Widerstand. Aber für die Genossen war er stets ein unbequemer Mann. 1986 flog er aus der SPD, weil sein Name in einer Anzeige für Rot-Grün in Hannover warb.
Wegen "Unterstützung einer feindlichen Organisation" wurde er ausgeschlossen - ein halbes Jahr vor der ersten Rot-Grünen Koalition in Hessen. Vier Jahre später löste dann Gerhard Schröder in Niedersachsen Ernst Albrecht als Ministerpräsident ab mit den Grünen und Jürgen Trittin als Umweltminister. Mit Schröder verbindet Nolle nicht nur die Juso-Zeit: Auch ihre Biographien ähneln sich. Beide kennen die Arbeitswelt durch eine handwerkliche Lehre, beide holten das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg nach, beide prägte die Erfahrung einer aufmüpfigen 68er Studentenzeit. Auch geschäftlich wurden sie Partner: Mit einem kleinen Druckbetrieb, in dem Karl Nolle damals zunächst Juso-Schriften verlegte.
Die Wiedervereinigung hatte für den unkonventionellen Hannoveraner Nolle einen besonderen Stellenwert. Die Großeltern stammten aus Sachsen und Thüringen. Die Begriffe Heimat und Nation stehen für ihn nicht im Widerspruch zu seiner politisch linken Position. Die Wende stellte für ihn auch eine persönliche Herausforderung dar. 1990 kam er nach Dresden, erlebte seinen heutigen Betrieb mit veralteten Maschinen, ohne Aufträge, verzagenden Mitarbeitern.
Nolle bestellte auf Verdacht neue Maschinen, mietete sich jahrelang auf 19 Quadratmetern ein, erhielt dann den Zuschlag von der Treuhand und verkaufte schließlich sein Stammhaus in Hannover komplett.
In seine Partei ist er inzwischen wieder eingetreten. Das war vor einem Jahr, als der Kandidat Schröder SPD-nahestehende Unternehmer nach Berlin eingeladen hatte. Dort zog Nolle einen Schlußstrich unter den Groll über den Ausschluß. "Ich wollte das Vermächtnis meines Vaters fortsetzen", redete er sich das Comeback leicht.
Aber nach der beruflichen Bestätigung lockte nun der politische Erfolg. Das von ihm schon 1990 gegründete Stadtmagazin "SAX" hatte sich etabliert, in der Kulturszene hat er sich als Mäzen einen Namen gemacht. Und Karl Nolle gefällt sich wieder in der Rolle des Selfemademans und enfant terribles. Beides verknüpft er so virtuos und engagiert, daß er die brave Szene im Dresdner Wahlbezirk Striesen kräftig aufmischt.
Dort, wo 1878 August Bebel für den Reichstag kandidierte und sich heute CDU-Minister Heitmann um den Landtag bewirbt, liefert das Druckhaus an der Bärensteiner Straße den Namen für das "Bärenstein-Konzept". Selbst ein Lied, frei nach der Melodie "Bolle reiste jüngst zu Pfingsten", enthält das bunte 24-seitige Werk. Letzter Refrain: Und deshalb hat der Nolle zum Landtag kandidiert. Bei der Wahl zum Stadtrat scheiterte er kürzlich knapp. Weil sein Werbebus, der vor dem Wahllokal abgestellt war, von der Stadt abgeschleppt worden war, ließ Nolle die Wahl anfechten. Vergeblich. Aber jetzt locken höhere Ziele. Verlieren kann er nicht. "Tiefer geht's nicht", lautet seine Erfahrung aus der Kommunalwahl. In Dresden erhielt die SPD 13,2 Prozent.
Karl Nolle, unbequemer Querdenker, Schröder-Freund, Ex-SPD-Renegat und Unternehmer, gilt im Schattenkabinett der sächsischen SPD als Hoffnungsträger für die kommende Landtagswahl.
(Von Hubert Kemper)