Sächsische Zeitung, 21.09.1999
Rückzug und Kampfansage
Kunckel bleibt hart / Sieger PDS und CDU schon im Clinch / Grüne schließen Tür ab
DRESDEN. Wenige Tage vor der Landtagswahl hatte sich die grüne Spitzenkandidatin Gunda Röstel schon mal die Zimmer im Dresdner Parlamentsgebäude angeschaut. Seit Sonntag steht jedoch fest: Sie wird keinen Schlüssel dafür in die Hand bekommen. Doch als ob das nicht schon enttäuschend genug wäre, legte ihre sächsische Parteispitze gestern noch einen drauf. Landessprecherin Kornelia Müller erklärte öffentlich ihren Rückzug aus der Politik. Ein zögernder Co-Sprecher Karl-Heinz Gerstenberg "überlegt noch". Die Möglichkeiten sind in Zukunft für die grüne Partei mehr als bescheiden. Lediglich drei hauptamtliche Mitarbeiter kann man sich noch leisten - und die auch nur 30 Stunden pro Woche. Da die beiden Mitarbeiter der Landesgeschäftsstelle bleiben sollen, lockt für den neuen Parteivorsitzenden gerade mal ein Halbtags-Job.
Kein Wunder, dass Müller und Gerstenberg nun "große Hoffnung auf den Nachwuchs" setzen, wenn Ende Oktober die Wahl einer neuen Parteispitze ansteht. Bis dahin bleibt den beiden nur, die neuerliche Wahlniederlage routiniert abzuwickeln. Dazu gehörten gestern auch Schuldzuweisungen an die eigene Bundespartei. Die "Schüsse aus dem Hinterhalt" gegen Gunda Röstel seien "schäbig und unprofessionell" gewesen, kritisierte Müller die vor wenigen Tagen aufgekommene Diskussion, ob Röstel ihr Bundesamt behalten wird. Gerstenberg legte nach und sprach von der notwendigen Erneuerung, "die für die gesamte Partei ansteht". Tiefe Wunden wurden gestern auch bei der SPD geleckt. Ein Noch-Landesvorsitzender Karl-Heinz Kunckel deutete dabei an, dass nach der Niederlage offenbar mancher Mitstreiter wackelt, mit dem er für die Zukunft gerechnet hatte.
Augen zu und durch?
Kunckels vielsagende Bemerkung: Es sei schon "sehr interessant, wie Menschen gegenwärtig zu der Entwicklung stehen und diese bewältigen". Die Anspielung galt der in der Partei inzwischen heftig umstrittenen Nachfolge-Frage. Der am Wahlabend noch spontan wirkende Vorschlag Kunckels, künftig seiner Stellvertreterin Constanze Krehl das Zepter zu übergeben, droht in der sächsischen SPD einen Richtungsstreit auszulösen. Viele Genossen trauen Krehl die Doppelbelastung als Europa-Abgeordnete und Landes-Chefin nicht zu. Andere sehen in ihr nicht jenes politische Schwergewicht, das nötig ist, um das SPD-Schiff wieder auf Kurs zu bringen. Ein von diesen Einwänden nach außen hin unberührter Kunckel ging gestern aber noch einen Schritt weiter. Constanze Krehl soll die SPD nicht nur kommissarisch führen, sondern er wünsche sich, dass sie von einem Sonderparteitag die Unterstützung dafür bekomme, künftig "die Nummer Eins im Land zu werden". Ansonsten verteilte der gescheiterte Kandidat erneut kräftig Schelte in Richtung Bundesregierung und Bundes-SPD. Seinen angekündigten Rücktritt begründete er allein damit, dass man in seiner Position "Verantwortung für viele Dinge" übernehmen müsse, an "denen man nicht Schuld hat." Ob Kunckels Nach-Vorne-Strategie aufgeht, ist aber fraglich. So steht er mit seinem Ziel, künftig zumindest noch den Fraktionsvorsitz zu übernehmen, bisher ohne Unterstützung da. Keiner seiner 13 neuen Fraktionskollegen hat bisher öffentlich erklärt, dass er am Mittwoch auf der konstituierenden Fraktionssitzung dafür seine Hand heben wird. Statt dessen werden hinter den Kulissen neue Namen ins Spiel gebracht. Am häufigsten genannt: Barbara Ludwig, die jugendpolitische Sprecherin in der bisherigen SPD-Fraktion. Aber auch Newcomer unter den Abgeordneten wie der Verleger
Karl Nolle stehen für neue Aufgaben bereit. Befragt nach dem künftigen Generalsekretär der Partei, erklärte er unumwunden: "Ich traue mir das Amt durchaus zu."
Jubel und Gelassenheit
Gelassener wird derweil in der PDS agiert. Ein Stück Jubel: "Wir sind die Wahlgewinner!" Ein Stück Enttäuschung: "Leider wurde die absolute CDU-Mehrheit nicht gebrochen!" Und ein Stück boshaft verpackte Kritik um vertane Chancen in Sachsen: "Jämmerlicher Auftritt der SPD!" PDS-Chef Peter Porsch kündigte an, Wahlversprechen konsequent einzuhalten. Für ihn bedeute das eine klare Oppositionspolitik, die auf mehr soziale Gerechtigkeit und Einsatz für ostdeutsche Interessen zielt.
Die CDU scheint sich unterdessen mehr Gedanken um den Umgang mit der Opposition als um ihre eigene Zukunft zu machen. Generalsekretär Steffen Flath kündigte gestern schon mal eine neue Strategie gegenüber der PDS an: "Der Ton wird härter." Gehe es nach ihm, werde man der PDS nur das zugestehen, was ihr laut Verfassung und Geschäftsordnung ohnehin zusteht. In diesem Zusammenhang nannte Flath die Besetzung des 2. Vizepräsidenten und den Vorsitz im Finanzausschuss; beide Posten waren der SPD vor fünf Jahren angeboten worden, ohne dass dies notwendig gewesen wäre. Auch die Eindämmung von Kleinen Anfragen hält Flath für überlegenswert. Personalfragen hätten dagegen noch Zeit, meinte der CDU-General. Nicht ohne zuvor sein persönliches Wahlergebnis als zweitbestes aller 60 Direktbewerber herauszustellen. Dem Vernehmen nach will Flath im Fraktionsvorstand zum Stellvertreter aufrücken.
(von Gunnar Saft und Steffen Klameth)