Sächsische Zeitung, 13.08.1999
"Politik im Blindflug"
SPD-Spitzenkandidaten: Landesregierung hat kein Konzept für die Lausitz
NIESKY. "Ich wusste gar nicht, dass wir Sozialdemokraten so schlechte Menschen sind" - halb belustigt, halb verärgert reagierte der SPD-Landtagsabgeordnete Thomas Jurk gestern auf den Wahlkampf-Auftakt der CDU im Niederschlesischen Oberlausitzkreis. Im Blick hatte Jurk dabei vor allem eine Bemerkung seines Unionskollegen Peter Schowtka. Auf einer Veranstaltung in Klitten hatte dieser am Dienstag erklärt, eine Bundesregierung wie die rot-grüne habe das deutsche Volk nicht verdient. Es liegt auf der Hand, dass Jurk gestern eine andere Rechnung aufmachte. Er rückte vor allem die Landespolitik in den Vordergrund und zählte jene Punkte auf, die er die "Schandtaten der CDU" nennt. Darunter fallen nach seinen Worten unter anderem die Gemeindegebietsreform, die Abwasserpolitik oder die Pläne zur Gründung einer Sachsenbank. Als wichtigstes Vorhaben nach der Landtagswahl nannte Jurk die Schaffung eines "Bündnisses für Arbeit". Um für diese Idee zu werben, hatte er gestern den sächsischen DGB-Chef Hanjo Lucassen und den Dresdner Unternehmer
Karl Nolle nach Weißwasser eingeladen. Beide kandidieren bei den Landtagswahlen am 19. September für die SPD. In Weißwasser trafen sich Lucassen und Nolle gestern zu einem Gespräch mit der Frauengruppe des Arbeitslosenverbandes. Am Nachmittag besuchten sie die Keulahütte in Krauschwitz. Beide Termine waren für DGB-Chef Lucassen Beleg, dass "die Staatsregierung die sächsische Lausitz vernachlässigt hat." Anders als Brandenburg habe Sachsen nie ein wirtschaftpolitisches Konzept für die Region entwickelt. "Wir erleben einen Blindflug ohne Navigationsgerät", unterstrich Karl Nolle die Einschätzung des Gewerkschafters. Obwohl der Landtag bereits vor vier Jahren beschlossen habe, Entwicklungspläne für die sächsischen Regionen zu erarbeiten, liege bis heute kein einziges dieser Papiere vor. "Wer aber nicht weiß, was er will, kann keine vernünftige Politik betreiben", sagte Nolle. Den Einwand, es fehle an Geld für eine aktive Wirtschaftspolitik, wies der Unternehmer mit Blick auf die Sanierung maroder Abwasser-Zweckverbände zurück. "Wenn die Staatsregierung für die Folgen ihrer falschen Abwasserpolitik 500 Millionen Mark ausgeben kann, dann muss auch Geld vorhanden sein, um wichtige Arbeitsplätze zu sichern." Zukunftschancen für die Lausitz sehen die Sozialdemokraten vor allem im Bereich der Textil- und der Glasindustrie sowie in der Förderung von Exporten nach Osteuropa.
(von Ulli Schönbach)