Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 23.09.1999

Landtag: Neue Köpfe - neues Profil?

SPD-Fraktionschef Jurk will auf die Erfahrungen seines Vorgängers Kunckel nicht verzichten
 
Die SPD-Fraktion im Landtag hat einen neuen Vorsitzenden. Thomas Jurk (37) tritt die Nachfolge von Karl-Heinz Kunckel an, der gestern überraschend auf eine Kandidatur verzichtete.

Die Wände sind dünn im Hohen Haus. Kaum hatte SPD-Fraktionsvorsitzender Karl-Heinz Kunckel seinen Hut genommen und den Landtag verlassen, war die Nachricht auch schon bei der politischen Konkurrenz angekommen. Drei Stockwerke höher saßen alte und neue CDU-Abgeordnete beisammen, um den Wahlsonntag auszuwerten.

Die Meldung über Kunckels Rücktritt, so ein Teilnehmer, löste alles andere als Jubel aus. Noch betretener die Gesichter bei der SPD selbst. Nur wenige der 14 Genossen wussten vorab von der folgenschweren Entscheidung. Kurz nach 10 Uhr, unmittelbar nach Eröffnung der ersten Fraktionssitzung, ergriff Kunckel das Wort und verlas eine persönliche Erklärung. "Nach intensiver und reiflicher Überlegung erkläre ich, dass ich für das Amt des Fraktionsvorsitzenden nicht wieder zur Verfügung stehe", beginnt der halbseitige Text.

Kunckel begründet seinen Verzicht vor allem damit, dass sein politischer Stil und der solidarische Umgang miteinander in Frage gestellt seien. Kaum hatte der langjährige Partei- und Fraktionsführer geendet, verließ er den Raum. Für Fragen blieb keine Gelegenheit. Etwa danach, was Kunckel mit seinen Worten konkret gemeint hatte. Nahm er seinen Genossen übel, dass sie die von ihm inthronisierte Constanze Krehl nicht einhellig als Nachfolgerin im Amt des Parteivorsitzenden akzeptierten? Oder dass niemand Hurra! gerufen hatte, als er sich im gleichen Atemzug für den Fraktionsvorsitz anbot? Oder brachte DGB-Chef Hanjo Lucassen das Fass zum Überlaufen, der am Tag zuvor in der SZ auch andere Kandidaten in Erwägung zog? Jener Lucassen, den Kunckel selbst in sein Wahlkampfteam geholt und damit den Sitz im Landtag überhaupt erst ermöglicht hatte? Lucassen jedenfalls fühlte sich nach der Sitzung nicht als Königsmörder. "Ich hätte mich auch gestritten", sagte er der SZ. So richtig glücklich schien er über den eben gewählten neuen Vorstand jedoch auch nicht zu sein. Er werde loyal mit ihm zusammenarbeiten, meinte er nur und eilte davon.

Der neue Vorstand - das sind Thomas Jurk als Vorsitzender, Cornelius Weiss und Gisela Schwarz als Stellvertreter, Barbara Ludwig als parlamentarische Geschäftsführerin und Gunter Lochbaum als Beisitzer und Schatzmeister. Außer dem früheren Leipziger Uni-Rektor Weiss haben alle bereits parlamentarische Erfahrung. Thomas Jurk hatte am Abend zuvor erfahren, was in der Sitzung auf ihn zukommen könnte. Und als er 13.35 Uhr mit seinen neuen Vorstandskollegen vor die wartenden Journalisten trat, erweckte er alles andere als den Eindruck eines Triumphators. Seinem Vorgänger zollte Jurk "hohe Anerkennung"; Kunckel habe großen Einsatz gezeigt, die Früchte aber leider nicht ernten können. Jetzt komme es darauf an, mit neuen Köpfen neues Profil zu gewinnen. Auf die Erfahrung des Ex-Fraktionschefs will der neue nach eigener Aussage nicht verzichten. Das Angebot von Kunckel, ihn in "wichtigen Fragen" zu beraten, stehe. Und in der Fraktion wolle Kunckel dort mitarbeiten, wo man ihn hinstelle. Zunächst hat er sich jedoch nach Hause verzogen, um die Ereignisse der letzten Tage zu verarbeiten und Abstand zu gewinnen.

"50 Prozent Kompetenz fallen weg"

Zurück lässt er ein Häuflein Genossen, die der neuen Situation weitgehend hilflos gegenüberstehen. Das niederschmetternde Wahlergebnis hat die SPD-Fraktion nicht nur um acht Mitglieder schrumpfen lassen. Auch kompetente Abgeordnete wie Johannes Gerlach, Joachim Richter und Thomas Mädler blieben dabei auf der Strecke, weil Kunckel auf der Landesliste prominenten Neulingen wie Lucassen und Weiss den Vorzug gegeben hatte. "50 Prozent Fachkompetenz fallen weg", meint der langjährige innenpolitische Sprecher Joachim Richter.

Auch Jurk weiß um das Manko: "Da müssen wir neue Leute einarbeiten." Über die Besetzung der Arbeitskreise und die inhaltlichen Schwerpunkte der künftigen Arbeit habe man noch nicht gesprochen, sagte die alte und neue stellvertretende Fraktionsvorsitzende Gisela Schwarz. Das solle Anfang Oktober in einer Klausur geschehen. Und in drei Monaten will man den Vorstand erneut - dann für den Rest der Wahlperiode - wählen. Wer dann kandidiere, so Thomas Jurk, sei heute noch völlig offen.
(Von Steffen Klameth)

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