MDR TV: FAKT, 07.11.1998
Mitarbeiterbeteiligungsmodelle in Sachsen
Bericht: Günter Ederer
Hier wurde einst der Trabi gebaut und mit der Wende kam das Ende. Zehntausende verloren hier ihren Job und die 1000 Arbeitsplätze, die es heute bei Sachsenring wieder gibt, wurden durch Lohnverzicht, Mehrarbeit und viel Mut aller Beteiligten, Unternehmer wie Arbeitnehmer, erkämpft. Für die Balzrituale von Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen war da kein Platz. Jetzt, wo es vorsichtig aufwärts geht, sind die Investoren aus dem Westen bereit, ihre Mitarbeiter am Unternehmen zu beteiligen und den Erfolg mit ihnen zu teilen.
Ulf Rittinghaus
Unternehmer, Sachsenring
"Wir sind hergegangen und haben den Mitarbeitern über die Lohnauszahlung ein entsprechendes Geldpaket geschenkt. Mit diesem Geldpaket, das ein Mitarbeiter dann versteuern muß, konnte er in den Genuß gelangen, sich Aktien zu kaufen. Er nahm also am Shareholder Value, am Mehrwert des Aktionärs teil, was ich für wesentlich halte zur Vertrauensbildung. Wenn schon die Bundesregierung nicht in der Lage ist, den Unternehmern und den Bürgern des Landes ein vernünftiges Steuerkonzept anzubieten, dann müssen die Unternehmer dafür sorgen, daß es vernünftige Steuermöglichkeiten gibt."
Solche Einzelfälle der Mitarbeiterbeteiligung sollen zur Regel werden. In Deutschland einmalig: In der Sächsischen Aufbaubank finden Unternehmen eine Anlaufstelle, die ihnen hilft, den Gesetzesdschungel zu überwinden, wollen sie ihre Arbeitnehmer am Betrieb beteiligen.
Die Landkarte von Sachsen: jede Nadel steht für eine der 190 Firmen, die sich mittlerweile beraten lassen, wie sie raus aus den traditionellen Tarifritualen, hin zu einem Miteinander von Unternehmer und Arbeitnehmer kommen. Für jeden Betrieb muß ein maßgeschneidertes Konzept gefunden werden – vom großen Aktienunternehmen bis hin zum kleinen Handwerker.
Kajo Schommer
CDU, Wirtschaftsminister Sachsen
"Alle Welt redet vom Bündnis für Arbeit. Das tagtägliche Bündnis für Arbeit ist jedes Unternehmen in Kombination von Arbeit und Kapital. Das zweite ist, die Welt verändert sich, wir gehen in eine postindustrielle Zeit, die Einkommen aus Erwerbsarbeit wird weniger, wir brauchen eine Absicherung des Kapitals für Mitarbeiter und ich war es leid, daß man 30, 40 Jahre lang in Sonntagsreden darüber gesprochen hat, daß man Steuergroschen verschenkt hat. Wir haben versucht, die Barrieren in den Köpfen der Mitarbeiter und der Unternehmer zu beseitigen, ihn zu begeistern für diese Idee und deshalb geht es jetzt so voran."
Im Vergleich zum Ausland steckt die Mitarbeiterbeteiligung in Deutschland noch in den Kinderschuhen: In Frankreich sind schon 43% aller abhängig Beschäftigten an ihrem Unternehmen beteiligt, in Großbritannien 24%. Selbst in den klar kapitalistisch orientierten USA sind es 18%, in den Niederlanden 12%. In Deutschland, das sich mit seiner sozialen Marktwirtschaft brüstet, sind es gerade mal 6%. Das Heimatland von Karl Marx tut sich besonders schwer, sich auch innerlich vom Klassenkampf zu verabschieden.
Andreas Winkler
Sächsische Wirtschaft
"Allgemein gibt es ja viele Bedenken bei Unternehmern, daß man mit den Mitarbeitersystemen das Unternehmen verliert, daß die Gewerkschaften oder andere fremde Leute das Unternehmen wegnehmen wollen oder vergesellschaftet wird. Wir haben mit viel Informationsarbeit die Unternehmen davon überzeugt, daß der sächsische Weg das alles nicht ist, sondern der Weg für eine Partnerschaft von Unternehmen, von Betriebsräten und Beschäftigten."
Auch das Press- und Schmiedewerken in Brand-Erbisdorf am Erzgebirge hat schwere Zeiten hinter sich. Von 6000 sank die Belegschaft auf rund 200, jetzt sind es wieder 650. Auch hier hat die Mitarbeiterbeteiligung für den Investor aus dem Sauerland nichts mit Sozialpolitik zu tun, sondern mit einer gesellschaftspolitischen Notwendigkeit.
Erwin Peddinghaus
Unternehmer, Press- und Schmiedewerk
"Die gesellschaftspolitische Verantwortung der Unternehmer kann durch eine Mitbeteiligung der Mitarbeiter am Unternehmen sehr positiv fortentwickelt werden zum Wohle unseres Standorts Deutschland und unserem Unternehmen."
Ingolf Straube ist Schmiedemeister. Im Schnitt verdienen die Arbeiter hier 3500 Mark brutto. Das ist nicht viel. Deshalb wollen die Kollegen erst einmal mehr Bares sehen. Bei der PSW aber müssen die Arbeiter 300 Mark im Jahr selbst aufbringen, die sie für sieben Jahre anlegen müssen, wenn sie am Produktivvermögen beteiligt werden wollen. So schwanken sie zwischen Zustimmung und Skepsis.
Ingolf Straube
Arbeiter, Press- und Schmiedewerk
"Das Angebot sehe ich persönlich für recht gut, weil es eine hohe Rendite gibt. Negativ für mich persönlich, ist das hohe Risiko. Die lange Laufzeit von 7 Jahren und die Skepsis hat sich bei mir durch Gespräche etwas abgebaut. Sag ich mal so."
Als vertrauensbildende Maßnahme werden bei PSW alle Unternehmensdaten am schwarzen Brett veröffentlicht. So weiß jeder Arbeiter, woran er ist. 25% der Belegschaft machen inzwischen mit.
Erwin Peddinghaus
Unternehmer, Press- und Schmiedewerk
"In jeder Abteilung im Betrieb hängen die monatlichen Ergebnisse – vom Umsatz, vom Finanzergebnis, von der Leistung vom Mitarbeiter und Krankenstand zum Beispiel aus. Und wir beteiligen unsere Mitarbeiter am Finanzergebnis über eine Kennzahl, die in jeder Monatslohn- und Gehaltsabrechnung wiederzufinden ist."
Im Druckhaus Dresden sind die Grenzen zwischen Eigentümern und Arbeitnehmern schon aufgehoben. Karl Nolle, ein Unternehmer aus Hannover hat bereits 48% des Grundkapitals der GmbH seinen Angestellten eingeräumt. Das ist für ihn die beste Investition in die Zukunft.
Karl Nolle
Unternehmer, Druckhaus Dresden
"Das wichtigste Kapital in unserem Unternehmen sind die Mitarbeiter. Und diese Mitarbeiter, die wollen motiviert sein, motiviert arbeiten und deswegen ist eine Mitarbeiterbeteiligung ein ganz wichtiges Medium, um dieses umzusetzen."
Auch die Facharbeiter sollen jetzt mit einbezogen werden. Sie können dann z.B. durch nur zwei Stunden Mehrarbeit pro Woche in sechs Jahren auf 16 000 Mark Eigenkapitaleinlage kommen, die jährlich verzinst werden. Das Betriebsklima hat sich durch die Mitarbeiterbeteiligung im Druckhaus Dresden schon jetzt völlig verändert.
Monika Bay
Sekretärin, Druckhaus Dresden
"Für mich persönlich ist am wichtigsten, daß ich also im wahrsten Sinne des Wortes mit am Betrieb beteiligt bin, das motiviert mich ganz anders und ich freue mich in diesem Betrieb arbeiten zu können. Ich sehe das als ein Zukunftsmodell an. Und es ist ja auch nicht nur das Geld allein, sondern dieses mit beteiligt zu sein, ist einfach wunderbar."
Im Foyer des Druckhauses steht eine Druckmaschine aus dem Jahre 1840. Sie taugt nur als Museumsstück und sie stammt aus der Zeit, als die Klassengesellschaft entstand und Karl Marx seine Lehre entwickelte. Auch die ist reif fürs Museum. Die Sachsen wollen damit ernst machen – ein Vorbild, nicht nur für den Osten, sondern für ganz Deutschland.