Tagesspiegel vom 10.04.1994, 01.01.1997
Von der Gelatine zum Aquarell
Das weltweit einzige Lichtdruckmuseum steht in Dresden.
DRESDEN,10.04.1994. Ammoniak, Ochsengalle, Glycerin und Formalin vermutet man im Giftschrank eines Chemikers und wohl weniger in einer Druckerei. Das Druckhaus Dresden bildet da eine Ausnahme. Dort dienen die Fluessigkeiten als Hilfsmittel fuer eine seltene Kunst: den Lichtdruck. Denn im Keller des Druckhauses befindet sich das einzige Lichtdruckmuseum der Welt - und ist auch noch in Betrieb.
Dabei stand die Dresdner Lichtdruckwerkstatt, die weltweit die groesste war und innerhalb von zehn Jahren allein 200 Preise der Weltkulturorganisation UNESCO erhielt, im Oktober vergangenen Jahres vor dem Aus. Ihr Besitzer Juergen Sonntag war in finanzielle Schwierigkeiten geraten und musste Konkurs anmelden. Nicht nur die ueber 100 Jahre alten Maschinen drohten fuer immer verlorenzugehen, sondern auch das Wissen und die Faehigkeiten der 14 Mitarbeiter.
Das Ehepaar Nolle, seit vier Jahren Eigentuemer der Druckhaus Dresden GmbH, rettete die Werkstatt. Vier Maschinen und zehn Mitarbeiter fanden im Keller des Druckhauses ein neues Zuhause. Der Umzug der riesigen alten Druckmaschinen wurde zum Kraftakt: Die technischen Monster, von denen eines zehn Tonnen wiegt, durften nicht demontiert werden. "Bei einem Umzug vor einigen Jahrzehnten brauchte man vier Jahre, um die Teile wieder zu einem funktionsfaehigen Ganzen zusammenzubauen", erklaert
Karl Nolle. Zeichnungen vom Innenleben der Maschinen, die einst von der Offenbacher Firma Faber & Schleicher hergestellt wurden, existieren nicht mehr.
"Das besondere am Lichtdruck ist, dass es kein Raster gibt", sagt Sonntag. Gedruckt wird von einer lichtempfindlichen Gelatineschicht auf eine Glasplatte. So koennen Farbtoene originalgetreu wiedergegeben werden. "Der Kuenstler kann den Druck vom Original nicht mehr unterscheiden", preist Nolle die Technik. Bis heute sei noch kein Verfahren entwickelt worden, das den Lichtdruck in der Qualitaet ueberbietet, sagt Nolle. Zudem ermoeglicht dieses Verfahren nicht nur Reproduktionen, sondern der Drucker kann direkt auf der Druckplatte entwerfen.
Im Lichtdruckmuseum soll das fast ausgestorbene Wissen auch an die naechsten Generationen weitergegeben werden. "Juergen Sonntag ist der einzige Mensch der Welt, der noch Lichtdrucker ausbilden darf", sagt Christl Nolle. Allerdings koenne man von zehn Lehrlingen am Ende nur zwei bis drei uebernehmen. Die braeuchten dann noch zehn Jahre Einarbeitungszeit.
Die Konstellation im Hause der Nolles ist einmalig: Waehrend sich im Keller die grossen, altvaeterlichen Zahnraeder drehen, um 800 einfarbige Drucke taeglich zu produzieren, spucken die Offsetmaschinen zwei Etagen hoeher bis zu 12000 Vierfarbdrucke stuendlich aus. "Die Lichtdrucker haben eine voellig andere Motorik als die in der modernen Druckerei", bemerkt Christl Nolle. Zu DDR-Zeiten wurde der Lichtdruck wie ein Staatsgeheimnis behandelt. Die Druckereibesitzer hoffen nun, unter dem Museumspublikum Kunststudenten, Berufsschueler, Schulklassen und Kuenstler empfangen zu koennen - nicht nur zum Schauen, sondern auch zum Mitmachen.
SOPHIA-CAROLINE KOSEL (dpa)