Freie Presse Chemnitz, 07.05.1999
Gedanken zu moderner Wirtschaftspolitik
Diskussionsabend über Mittelstand
BRAND-ERBISDORF (NTI). Ungehört blieb die am Mittwochabend im Brander Hof getroffene Feststellung der Brand-Erbisdorfer und Freiberger SPD-Gruppe, daß moderne Wirtschaftspolitik nur vom Konsens zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen leben könne. Der sächsische SPD-Vorsitzende Karl-Heinz Kunckel konnte wegen Krankheit nicht zur angekündigten Betriebsbesichtigung noch zum Gespräch am Abend kommen, und auch die angesprochenen Mittelständler aus Stadt und Umgebung waren nicht erschienen, um sich über die wirtschaftlichen Ziele der SPD auszutauschen. Auch wenn die 18 SPD-Mitglieder der Region, darunter die Landtagsdirektkandidaten der hiesigen Wahlkreise, Bernd Klausnitzer und Simone Raatz, unter sich blieben, sicherte der für Kunckel eingesprungene Referent einen interessanten Abend.
Mit zwanzig Thesen und einer Menge an wirtschaftsphilosophischen Gedanken bestach
Karl Nolle, geschäftsführender Gesellschafter eines Dresdener Druckhauses und Mitglied des Landtagswahlkampfteams von Karl-Heinz Kunckel: "Es sind eine Reihe Umdenkprozesse in der Wirtschaftspolitik nötig, wenn vor allem der Osten gegenüber dem Westen aufholen und Sachsen seinen Status als das Bundesland mit der niedrigsten Arbeitsproduktivität verlieren will", erklärte er, der gleichzeitig Vorsitzender des Arbeitgeberverbandes Druck für die Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ist.
Verbesserungsvorschläge parat
Um diesen Anspruch zu untermauern, hatte er auch Verbesserungsvorschläge parat. Klar sei zum Beispiel, daß die SPD einen inneren Strukturwandel vollziehen müsse, um sich von der Politik zur Vertretung reiner Arbeitnehmerinteressen zu
lösen und dafür mehr auf die Förderung des Gewerbes und insbesondere des Mittelstandes konzentrieren zu können.
Er erklärte eine Verstärkung der Unternehmensberatung, eine sinnvollere Steuerpolitik, die Vergabe von Chancenkapital oder die Einführung von wirksamen Förderprogrammen für Existenzgründer als einige der Möglichkeiten. Bezogen auf den Aufholprozeß der ostdeutschen Bundesländer nannte der aus Niedersachsen stammende Unternehmer das Ziel, daß sich die in die neuen Ländern investierten Gelder nicht nach ihrem Durchlauf wieder auf den Bankkonten im Westen anhäufen sollten.
Insgesamt forderte Nolle, daß die Arbeitnehmer eine höhere Qualifikation brauchten und am Wohl und Wehe ihrer Firma beteiligt werden sollten. Dadurch könne von ihnen ein viel höheres Engagement erwartet werden. Er jedenfalls habe damit in seinem 70 Mitarbeiter zählenden Betrieb in Dresden gute Erfahrungen gemacht. Unter dem Motto "Uns ist nicht die Arbeit ausgegangen, sondern die neuen Ideen" forderte er zugleich eine stärkere Unterstützung der Forschung für innovative Technologien.
In der kurzen Diskussion, die seinen Ausführungen folgte, stellten die SPD-Mitglieder einen gemeinsamen Konsens fest und nahmen sich vor, künftig politischen Sachdiskussionen den Vorrang gegenüber der Klärung innerparteilicher Strukturfragen einzuräumen.