Dresden, Plenarsaal im Sächsischen Landtag, 11.11.1999
Debatte zur Situation der Berufsausbildung in Sachsen
Duale Ausbildung und die Verpflichtung der Unternehmen
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete
Ich möchte mich hier nicht als Spezialist für Allgemeines produzieren, sondern aus der Perspektive eines sozialdemokratischen Unternehmers sprechen.
Dies tue ich mit der Erfahrung eines Arbeitgeberverbandsvorsitzenden der Druckindustrie, von immerhin einigen hundert Betrieben in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt.
Hier meine Thesen aus der Praxis:
Die Fähigkeit und der Wille der Unternehmen auszubilden hat, natürlich was mit ihrer ökonomischen Situation zu tun.
Bei der Dualen Ausbildung haben die Unternehmen eine sozial- und
bildungspolitische Selbstverpflichtung - das heißt Verantwortung für diese Gesellschaft - übernommen.
Bei relativ stabiler Ökonomie haben die sächsischen Drucker die Zahl ihrer Lehrlinge seit etwa drei Jahren um jährlich ca 20 % erhöht.
Heute sind das alleine 380 Lehrlinge im ersten Lehrjahr in 750 Druckunternehmen und Agenturen in ganz Sachsen.
(Übrigens - ich habe in meinem Betrieb, bei 50 Beschäftigten, in diesem Jahr 7 neue Lehrlinge eingestellt)
Leider beteiligen sich die großen kapitalmächtigen Zeitungsbetriebe in Sachsen, beschämend wenig an der Ausbildung junger Menschen.
Mit der sächsischen Förderungsbeschränkung, auf die 10 % übersteigende Zahl von zusätzlichen Ausbildungsplätzen, werden die Ausbildungspotentiale der kleineren, mittelständischen Betriebe, die eigentlich immer eine höhere Ausbildungsquote und - bereitschaft haben, aus rein fiskalischen Gründen, trotz notwendiger Stimulanz, benachteiligt. Und das bei 20 Millionen nicht verbrauchter Fördermittel !
Dazu kommt, die Ausbildungszahlen in Sachsen wären, bei einer mittelstandsfreudlicheren Förderpraxis durch die Regierung Biedenkopf, ganz sicher positiver.
Heute fehlen in Sachsen ca. 3.000 Ausbildungsplätze, nach einem IFO Gutachten werden es im Jahr 2005 - 30.000 Ausbildungsplätze sein.
Vielleicht sollte man wirklich mal in Sachsen anfangen, mittelständische Strukturpolitik zu machen und zwar ohne Gießkanne ?
Meine Damen und Herren -
erlauben Sie mir zum Schluß
6 Fragen an die Staatsregierung und die Mehrheitsfraktion:
1) Wo sind Ihre Antworten auf den rasanten Strukturwandel der Produktionsgesellschaft, bei einem heute noch industrie- und handwerksorientierten dualem Ausbildungssystem, in Richtung Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft und der dazugehörenden neuen Bildungspolitik
- neben dem Fachhochschul- und Hochschulbereich ?
2) Wo sind Ihre Antworten auf die inzwischen fließenden Grenzen zwischen sekundarer und akademischer Ausbildung und den heutigen Anforderungen bei den Zukunftsberufen, "Mediengestalter für Digital- und Printmedien" sowie "Mechatroniker ?
Hier liegt der bundesweite Ausbildungsanteil von Abiturienten inzwischen bei etwa 65 %.
Ich meine, die sächsische Position, der Förderverweigerung für Abiturienten gerade bei diesen absoluten Zukunftsberufen ist - weit hinter dem Mond. Sie ist mittelstands- und zukunftsschädlich.
3) Wo, Herr Rössler, ist Ihre Antwort auf die katastrophale Situation an den Berufsschulen, das ungenügende Niveau des technischen Fachunterrichtes, die mangelhafte technische Ausstattung mit immer knapper werdenden finanziellen Mitteln, bei ständig steigenden Anforderungen.
Wie steht es mit dem Unterrichtsausfall, der in Leipzig zur Zeit 40 % beträgt ?
4) Wo Herr Rössler ist Ihre Antwort auf das immer noch fehlende Lehrerfortbildungsprogramm für die Zukunftsberufe der Mediengesellschaft ?
5) Wann fördern und helfen Sie endlich auch den finanzschwachen Kommunen bei der Ausstattung der Berufsschulen mit moderner digitalen Technik und Software für das Technologiepraktikum ?
6) Wie steht es mit dem Artikel 106 unserer Verfassung, Herr Minister
Rössler - "das Land fördert das Berufsschulwesen", wenn einzelne Schulen nur noch mit Spenden der Wirtschaft überleben können, weil die Fachbücher teuerer sind als die kalkulierten Mittelzuweisungen pro Schüler und die Sachmittel nicht annähernd den Bedarf decken.
Herr Minister Rössler, da gibt es noch viel zu tun, wenn Sie Herrn Biedenkopf in der Sache und im Amte folgen wollten um seine Vision vom 27.10.99 zu realisieren, als er sagte:
"Vor allem werden wir mithelfen unser wichtigstes Kapital, das Wissen, Können und Wollen der Menschen in Sachsen durch gute Ausbildung zu erhalten und zu mehren, um Sachsen zu einer der dynamischen Regionen Deutschlands zu machen"
Dem möchte ich einen, in diesen Tagen sehr aktuellen und denkwürdigen, Satz aus einer Resolution des Staatsschauspiels Dresden vom 6. Oktober 89 hinzufügen:
"Ein Land, daß seine Jugend nicht halten kann, gefährdet seine Zukunft"
Da haben Sie eine düstere Bilanz zu ziehen Herr Minister Rössler !