Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 09.07.2009

Ehrliche Stasi-Debatte statt Persilschein

Leitartikel von Von Micha Schneider
 
„Stasi in den Tagebau“ stand auf Plakaten, die im Herbst ’89 bei den Montagsdemonstrationen über den Leipziger Ring getragen wurden. 20 Jahre danach sind die einst mit Dreck und Staub gleichgesetzten Jobs in der Braunkohle rar und begehrt geworden. Um so erschreckender ist es, wenn man vernehmen muss, dass Ex-Stasi-Mitarbeiter heutzutage statt mit Hacke und Schaufel in Kälte und Regen zu schuften, zu Tausenden Amtsstuben, Lehrerzimmer oder Polizeireviere bevölkern. Die hohe Gesamtzahl ist es, die schockiert.

Doch sie setzt sich aus Einzelfällen zusammen, die nur schwer miteinander vergleichbar sind. Auch im Jahr 20 nach der friedlichen Revolution sind generelle Schlussstrich- debatten fehl am Platze. Ein Persilschein-Automatismus würde Ungerechtigkeit nachträglich legalisieren, starrköpfige Ignoranten belohnen, die Opfer verhöhnen. Aber es kann auch nicht darum gehen, bestimmte Menschengruppen auf ewig auszugrenzen. Und so muss die Frage gestellt werden, warum es mit Stasi-Vergangenheit anrüchiger sein soll, Pförtner in einem ostdeutschen Rathaus zu sein, als sich zum Beispiel an ein auch finanziell lukratives Landtagsmandat zu klammern.

Tatsache ist, dass angefangen bei der Stasi-Unterlagen-Behörde, über Rat- und Funkhäuser, Schulen, Universitäten, Polizeidienstellen im Staatsdienst Ehemalige tätig sind. Entscheidend für die Beurteilung 20 Jahre danach sind drei Kriterien: Wie groß waren Schuld und Verstrickung im Unrechtsstaat DDR? Haben sie einen ehrlichen Erkenntnis- und Umdenkprozess durchlaufen? Wie groß sind ihre Macht und Entscheidungsbefugnis heute? Diesbezüglich wurde von Bundesland zu Bundesland, von Stadt zu Stadt viel zu unterschiedlich geurteilt – von zu hart bis sehr oft viel zu lax.

Mit Blick auf die im Christentum propagierte Kausalität von Schuldbekenntnis, Reue, Buße und Vergebung konnten und können nicht Zehntausende der ehemaligen DDR-Bevölkerung ausgegrenzt werden. So bietet der Stasi-belastete Mathematiklehrer oder Sachbearbeiter, der ordentlich arbeitet, weniger Anlass zur Entrüstung, als der Ex-General, der vor allen deutschen und europäischen Gerichten um eine höhere Rente für sich kämpft und dabei auf sein angeblich humanistisches Wirken zum Wohle des Volkes verweist. Verklärung und Lügen sind es, die einer ehrlichen Vergangenheitsbewältigung entgegenstehen. Und dazu gehört auch, wie, wo und in welcher Form ehemalige Stasi-Leute gesellschaftlich und beruflich integriert werden.
m.schneider@lvz.de