Karl Nolle, MdL
Junge Welt JW, Seite 3, 10.07.2009
Orden für heiße Luft
Gericht hebt Verbot gegen die junge Welt auf: Berichterstattung der FAZ über den Sachsensumpf darf kritisiert werden. Staatsanwaltschaft vorab informiert.
Vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg hat die junge Welt einen wichtigen Prozeß gegen Reiner Burger, Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, gewonnen. Das Gericht sieht in den Berichten der jungen Welt Meinungsäußerungen oder aber Tatsachenbehauptungen, die wahr sind, und hebt ein Urteil des Landgerichts Hamburg auf.
Hintergrund sind Auseinandersetzungen um den sogenannten Sachsensumpf. Der Sächsische Landtag hatte einen Untersuchungsausschuß eingesetzt, um die zahlreichen Vorwürfe des Verfassungsschutzes gegen Politiker, Beamte, Richter, Staatsanwälte, Immobilienszene und Rotlichtmilieu zu untersuchen. Allerdings war die Landesregierung nicht sonderlich gewillt, die Arbeit des Ausschusses zu unterstützen. So wurde dem Gremium die Einsicht in die über 700 Akten mit Ermittlungsergebnissen weitgehend verweigert. Den Zugriff, aber auch das Recht, Zeugen zu vernehmen, mußte sich der Ausschuß erst vor dem sächsischen Verfassungsgericht erstreiten. Zwar konnte dann mit vielen Monaten Verspätung die eigentliche Untersuchungstätigkeit aufgenommen werden, die Legislaturperiode und damit auch die Arbeit des Ausschusses endete bereits wieder Ende Juni 2009. Der Ausschußvorsitzende Klaus Bartl (Linkspartei) fordert deshalb eine Neuauflage des Ausschusses in der nächsten Legislaturperiode.
Fragwürdige Vorgänge
Obwohl also bis heute keine abschließende Beurteilung möglich ist, haben Landesregierung und Staatsanwaltschaft schon vor Monaten erklärt, daß es sich beim »Sachsensumpf« sowieso nur um heiße Luft handele. Es bleibt ihr Geheimnis, wieso sie dann die Arbeit des Ausschusses so massiv behindert haben. Hinzu kommen jede Menge weiterer Merkwürdigkeiten: Gegen Zeugen, die von dem Gremium vernommen wurden, leitete die Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen Verleumdung ein – noch bevor die Zeugen ihre Aussagen beendet hatten. Journalisten wurden wegen ihrer kritischen Berichterstattung belangt. Mehr als 70 Strafverfahren sind mittlerweile ausgelöst worden. Die Dresdner Staatsanwaltschaft erklärte schon Anfang 2008 medienwirksam, jegliche strafrechtlich verfolgbare Verfehlung sei ausgeschlossen. Die gleiche Staatsanwaltschaft verfolgt heute eine Frau, die als 13jährige in einem Bordell tätig sein mußte und die in einem der Besucher den damaligen Leipziger Oberstaatsanwalt erkannt haben will. Die Frau wird nun wegen Verleumdung vor ein Amtsgericht gezerrt, dessen Präsident heute eben jener Herr ist. Gegen den Leipziger Kriminalpolizisten Georg Wehling wurde laut Süddeutscher Zeitung eine »beispiellose Rufmordkampagne« gestartet, weil er Tipgeber und Zeuge in einem und so die Quelle eines Skandals gewesen sei, den es angeblich nicht gab. Immerhin fand der Ausschuß heraus, daß diese Vorwürfe unhaltbar sind. Der Kölner Strafrechtler Ulrich Sommer erklärte vor dem Ausschuß, daß er in seinem Leben noch nie so fragwürdige Vorgänge erlebt habe wie mit der sächsischen Justiz.
Den Korrespondenten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Sachsen, Reiner Burger, interessieren solche Vorgänge nicht sonderlich. Für ihn stand mit Staatsanwaltschaft und Landesregierung von vornherein fest, daß an all den Vorwürfen nichts dran sei. Statt dessen greift er den Ausschußvorsitzenden wegen seiner DDR-Vergangenheit an, ist wesentlich an der Rufmordkampagne gegen Wehling beteiligt, feiert unkritisch die vorzeitige Einstellung der Ermittlungsverfahren und empört sich darüber, daß der Untersuchungsausschußvorsitzende und andere ein Bordell, in dem fast ausschießlich Minderjährige und auch die damals 13jährige Zeugin tätig sein mußten, als Kinderbordell bezeichnen. In einem Beitrag erklärt Burger auf der Seite drei der FAZ vom 28. September 2007 unter dem Titel »Was nicht paßt, wird weggelassen«, wer am Sachsensumpfskandal schuld ist: »Frühere Stasi-Kader stricken maßgeblich an der Geschichte vom Sachsensumpf mit / Auch manche Medien spielen eine unrühmliche Rolle«. Mit den Medien meinte er die junge Welt, aber auch das Fernsehmagazin »Frontal 21« und der Berliner Tagesspiegel bekommen ihr Fett weg: »Weil sich mancher Journalist seine schöne Geschichte nicht kaputtmachen lassen will, ist der Sachsensumpf (…) längst zum Medienskandal geworden«, wußte Burger schon damals. Zum Glück gibt es aber noch so tapfere Journalisten wie Reiner Burger. Er schickte diesen Beitrag schon am 27. September an den Dresdener Staatsanwalt Christian Avenarius per Mail. Der wiederum leitete den Text an ein gutes Dutzend Mitarbeiter der Justiz weiter. So einen Journalisten muß man mögen. Der Dank des Freistaates ließ auch nicht lange auf sich warten: Am 13. Juni 2009 erhielt Burger aus der Hand des Landtagspräsidenten Erich Iltgen die Sächsische Verfassungsmedaille – »für seine wahrheitsgetreue politische Berichterstattung ohne Rücksichtsnahme auf die Stellung der Person oder Institution, für die stets faire und sachliche Kritik, ohne die Person oder das Amt zu schädigen, für das Wahren der journalistischen Sorgfaltspflicht und für sein Selbstverständnis, Dienstleister für seine Leser zu sein«, wie es in der Begründung heißt.
Front der Vertuscher
Nur Kritik kann der Ausgezeichnete nicht ertragen. Am 13. Oktober 2007 berichtet der junge Welt-Autor Markus Bernhardt an dieser Stelle unter der Überschrift »Front der Vertuscher. Konservative Medien üben sich in Stimmungsmache gegen Aufklärer der kriminellen Netzwerke in Sachsen. Gezielte Diffamierungskampagne gegen Linkspolitiker«. Dazu wird ein Interview mit dem Ausschußvorsitzenden Klaus Bartl gestellt, das sich unter dem Titel »FAZ und Focus halten Milbradt die Stange« ebenfalls kritisch mit der Arbeit Burgers beschäftigt. Burger behauptet zunächst, in den Beiträgen würde der Eindruck erweckt, er gehöre zur organisierten Kriminalität und verlangt vom Verlag 8. Mai GmbH, der die junge Welt herausgibt, eine Unterlassungserklärung. Diese wird vom Verlag nicht abgegeben. Daraufhin erwirkt Burger beim Pressesenat des Hamburger Landgerichts am 21.11.2007 eine einstweilige Verfügung. Umfangreiche Passagen der Beiträge dürfen nicht mehr verbreitet werden, unter anderem weil damit der Eindruck erweckt würde, Burgers obenerwähnter Beitrag vom 28.09.07 sei auf »Veranlassung Dritter an den Dresdener Staatsanwalt ... übersandt« worden. Zuwiderhandlungen werden in jedem Einzelfall mit einem Ordnungsgeld bis zu 250000 Euro, ersatzweise mit einer Ordnungshaft von insgesamt höchstens zwei Jahren belangt. Da sich die junge Welt nicht beugt, kommt es zur Hauptsacheverhandlung. Richter Buske bestätigt am 5.September 2008 die einstweilige Verfügung und gibt Burger in allen inhaltlichen Punkten recht. Dagegen legte die junge Welt Berufung ein. Am 30.Juni 2009 kippt das Hanseatische Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts. Ein Verbot komme nicht in Frage. Das Gericht folgt der eigenartigen Textinterpretation des jW-Artikels durch Burger und Landgericht nicht und ordnet andere Passagen im Gegensatz zu diesen als zulässige Meinungsäußerung ein. Dort, wo das Oberlandesgericht die Einschätzung des Landgerichts teilt, daß es sich um eine Tatsachenbehauptung handele, geht das OLG jedoch davon aus, daß die Behauptung wahr sei. Die von Burger geltend gemachten Rechtsverfolgungskosten werden deshalb abgewiesen: Die junge Welt hat in allen Punkten recht bekommen.
Damit stellt das Hanseatische Oberlandesgericht in diesem konkreten Einzelfall die Meinungs- und Pressefreiheit wieder her. Den Verlag 8. Mai hätte es 17000 Euro gekostet, wenn der Prozeß verlorengegangen wäre. »Ob man solch einen Prozeß durchsteht oder nicht, ob man ihn überhaupt wagt, hängt auch von der Finanzkraft der Prozeßführenden ab. Das wissen die Prozeßgegner der jungen Welt und spekulieren auf deren ökonomische Schwäche«, so Verlagsleiter Peter Borak. Der jungen Welt sei es aber wichtig, die Presse- und Meinungsfreiheit auch auf der juristischen Ebene zu verteidigen. »Recht haben ist das eine, recht bekommen ist in diesem Lande eben auch eine Frage des Geldes«, so Borak.
Von Denis Gabriel
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Urteil: Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg gegen Reiner Burger, Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen