Karl Nolle, MdL
Agenturen, ddp-lsc, 15:36 Uhr, 10.07.2009
Der Tillich-Faktor bei der Landtagswahl
Politologen sehen unterschiedliche Wirkung der Debatte auf Stimmverhalten der Sachsen
Dresden (ddp-lsc). Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) selbst gibt sich sieben Wochen vor der Landtagswahl optimistisch. Zur möglichen Wirkung der seit Herbst 2008 laufenden Debatte um seine DDR-Vergangenheit befragt, sprach er kürzlich von seinem «Eindruck, dass in Sachsen die Bevölkerung eher zusammenrückt». Die Wahlkampfstrategen der politischen Konkurrenz rätseln unterdessen, welchen Einfluss der Tillich-Faktor auf das Stimmverhalten der Sachsen haben wird - und befürchten zumindest hinter vorgehaltener Hand, dass die Union davon profitieren wird.
Für den Chemnitzer Politikwissenschaftler Eckhard Jesse ist der Fall jedenfalls klar. Er sei sich «sicher, dass die Debatte um die DDR-Vergangenheit dem Ministerpräsidenten jetzt im Wahlkampf nützt», erklärte er in der «Bild»-Zeitung, die zuvor den von der Staatskanzlei monatelang unter Verschluss gehaltenen Fragebogen von Tillich aus dem Jahr 1999 zu seiner DDR-Vergangenheit veröffentlicht hatte. «Ostdeutsche erkennen sich in Herrn Tillich wieder. Er steht darum besser da als vorher», schätzt Jesse.
Der Dresdner Politologe Werner J. Patzelt glaubt hingegen «nicht, dass die CDU von dieser Debatte profitieren wird». Es sei für «Nicht-Linke nichts besonders Rühmliches oder gar zu Belohnendes, sich mit der DDR arrangiert zu haben». Im für die Union «besten Fall wird die Debatte der CDU nicht schaden - dann nämlich nicht, wenn da wirklich nichts verborgen wird oder als verborgen glaubhaft gemacht wird».
In Meinungsumfragen liegt die Union derzeit stabil bei 40 Prozent (Wahl 2004: 41,1 Prozent). Laut einer Erhebung von Infratest dimap vor drei Wochen im Auftrag des MDR finden es 76 Prozent der befragten 1000 Sachsen unproblematisch, dass heutige Politiker schon zu DDR-Zeiten politische Funktionen hatten. Und 75 Prozent gaben an, dass die Biografie der Kandidaten keinen Einfluss auf die eigene Wahlentscheidung habe.
Diese Resultate sieht die Linke gelassen. Ihr Fraktionsvize Klaus Tischendorf ist «überzeugt davon, dass der CDU die Tillich-Debatte schadet». Dieser stehe nicht wegen seiner politischen DDR-Vergangenheit in der Kritik - dies hätte bei der aus SED und PDS hervorgegangenen Linken ja eher Solidarität auslösen müssen. «Es geht vielmehr um die Doppelmoral und die Glaubwürdigkeit von Tillich», sagt der 46-jährige Erzgebirger, der vor der Wende parteilos und einfacher Baufacharbeiter in Zwickau war.
Der SPD hat die Debatte um Tillich, der einst der für Handel und Versorgung zuständige stellvertretende Vorsitzende des Rates des Kreises Kamenz war, parteiinternen Krach beschert. Ihr Abgeordneter Karl Nolle hat ein Buch über Sachsens «CDU-Blockflöten» veröffentlicht und mit Passagen zu Familienangehörigen Tillichs nach Ansicht von SPD-Landeschef Thomas Jurk den «Bogen überspannt».
Nolles Buch waren Angaben von Tillich vorausgegangen, wonach dieser vor der Wende - als Familienvater auf dem Lande lebend - mit Politik wenig zu tun gehabt habe. Auch aus Furcht um eine erneute Wahlpleite der 2004 bei 9,8 Prozent gelandeten SPD wird ihr Fraktionschef Martin Dulig nicht müde zu betonen: «Es geht nicht um Herrn Nolle, sondern um die Glaubwürdigkeit von Herrn Tillich.»
Schon der Wahlkampf 2004 war von einer Personaldebatte überschattet: Der mit Stasi-Vorwürfen konfrontierte PDS-Spitzenkandidat Peter Porsch führte seine Partei mit 23,6 Prozent zu ihrem besten Wahlergebnis in Sachsen. Gegen Tillich gibt es keine Stasi-Vorwürfe. Die Nichtigkeit der von ihm eingeräumten zwei Kontakte vor der Wende, in denen es um ein aufgebrochenes Büro-Siegel und Engpässe bei der Brotversorgung ging, steht außer Zweifel.
Kritisiert wird, dass Tillich 1999 die Frage danach verneint hatte, «dienstlich, aufgrund gesellschaftlicher Funktionen oder sonstwie Kontakt» zur Stasi gehabt zu haben. Tatsächlich gab es nach der Wende offenbar eine Reihe von Sachsen, deren Weiterbeschäftigung im öffentlichen Dienst aus fragwürdigen Gründen scheiterte. Der «Spiegel» berichtete bereits Mitte Mai von einem 1992 gekündigten ehemaligen Professor an der Leipziger Musikhochschule.
Laut einer der ddp vorliegenden Begründung war ausschlaggebend, dass der Mann «im Gegensatz» zu seinen Angaben im Fragebogen für den öffentlichen Dienst «Kontakte zum MfS gehabt» habe. Als Beweis führte der damalige Wissenschaftsminister Hans Joachim Meyer (CDU) an, dass eine Studentin im Dienstzimmer des Hochschullehrers zur Stasi-Mitarbeit angeworben werden sollte -in Abwesenheit des Professors.
Von ddp-Korrespondent Tino Moritz
ddp/tmo/ple
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