Karl Nolle, MdL

SUPERillu Nr. 30 / 2009, 16.07.2009

War da noch was, Herr TILLICH ? Heikle Vergangenheits-Diskussion in Sachsen...

Sachsens Ministerpräsident, schon zur DDR-Zeit bei der CDU, unter Druck. Ein Ex-Gastwirt meint, Tillich habe damals seine Existenz zerstört. SupERillu-Spurensuche.
 
Den verhängnisvollen Brief vom Rat des Kreises Kamenz hat Peter Kurras (66) bis heute aufgehoben. Dem Wirt des renommierten Hutberghotels in Kamenz (Sachsen) wurde im Juni 1989 die Gewerbeerlaubnis entzogen, binnen vier Wochen sollte er sein Hotel nebst Gaststätte räumen. Kurras: „Dieser Brief hat mein Leben ruiniert.“ Den Mann, der ihm den Brief schickte, hat er damals nur einmal kurz persönlich getroffen. Er hat den Namen deswegen nicht sofort im Gedächtnis, als ihn SUPERillu-Chefreporter Gerald Praschl auf den Fall anspricht. „Tillich? Moment, da muss ich erst nachsehen. – Ja, das ist der Name, der hier steht.“ Im Archiv des Landkreises Kamenz war Praschl bei Recherchen auf den Namen Kurras und auf das Schicksal des Gastwirts gestoßen.

Der Verdacht.

Die Papiere tragen die Unterschrift von Stanislaw Tillich. Von April 1989 bis nach der Wende war er, damals 30 Jahre alt, Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Kreises Kamenz für Handel und Versorgung. Heute ist der CDU-Politiker Ministerpräsident von Sachsen. Ein Umstand, der dem »Fall Hutberghotel« besondere Relevanz verleiht. Tillich ist der erste Sachse, der nach der friedlichen Revolution gegen die SED-Diktatur 1989 Ministerpräsident von Sachsen wurde. Vorher waren es mit Biedenkopf und Milbradt zwei »West-Importe«. Auch deshalb, weil am Anfang »unbelastete« Spitzenleute aus dem Osten fehlten. Und ausgerechnet dieser »unbelastete« Kandidat kämpft jetzt mit seiner Vergangenheit.

Stasiopfer: Als 17-Jähriger im Zuchthaus Bautzen Schicksal Bautzen.

Die Stasi hatte Peter Kurras durch sein ganzes DDR-Leben begleitet. 1960 wurde er, damals 17 Jahre alt und Fleischerlehrling in Ost-Berlin, von der Stasi verhaftet. Bei der Festnahme schlug man ihm die Vorderzähne ein. 27 Monate saß er in Haft, die meiste Zeit im gefürchteten Zuchthaus Bautzen.

Urteilsgrund: »Feindliche Nachrichtenübermittlung« und »Spionage«, zwei »politische« Gummi-Paragraphen, mit denen die SED in den 60er-Jahren viele echte und vermeintliche Gegner hinter Gitter schickte. 1963 wurde Kurras aus der Haft entlassen. Er wollte in den Westen, doch das ging nicht mehr, die Mauer stand. Kurras: „Ich lebte wie ein Gebrandmarkter, auf Bewährung, wie das hieß.“ Auf dem Bau fand er Arbeit. Später als Kellner machte er, bereits 30 Jahre alt, eine Lehre als Koch. Dann begann ein dunkles Kapitel seiner Biographie. Ganz offen erzählt er: „Die Stasi warb mich als IM. Die haben mich reingelegt, unter Druck gesetzt. Und mir auf der anderen Seite versprochen, dass ich irgendwann ausreisen darf, wenn ich bei denen mitmache. Es war ein großer Fehler, ich schäme mich heute dafür.“


»Ich merkte, mit was für Teufeln ich mich einließ«

Unter dem Decknamen »Dietrich« lieferte Kurras der Stasi und der »K1«, einer Spezialabteilung der DDR-Kripo, Informationen. Gleichzeitig stellte er wiederholt einen Ausreiseantrag, ohne Erfolg. Einmal wurde er in der Nähe der Mauer verhaftet, als er dort Möglichkeiten zur Flucht ausspähte. Die Hoffnung, dass man ihm die Ausreise genehmigt, gab er irgendwann auf. Kurras: „Ich merkte immer mehr, mit was für Teufeln ich mich da eingelassen hatte. Mitte der 80er-Jahre dachte ich endlich, ich bin diese Leute los, weil sie sich nicht mehr meldeten. Aber im Sommer 1988 kamen sie wieder bei mir an.“

Flucht in die Provinz.

Kurras arbeitete inzwischen als Koch in renommierten Ost-Berliner Gaststätten. Die Stasi wollte Informationen über Gäste und Kollegen. Kurras: „Ich wollte da nicht mehr mitmachen, aber ich hatte Angst. Die hatten mich doch in der Hand.“ Deshalb beschloss er, aus Ost-Berlin wegzugehen. Er suchte eine Gaststätte möglichst weit weg von Berlin, um sich dort eine neue Existenz aufzubauen. In Kamenz wurde er fündig. Der SED-Bürgermeister der Stadt, Peter Gommlich, suchte dort nach einem Pächter für das Hutberghotel. Eine Großgaststätte, hoch auf dem Hutberg, mit Blick über die Oberlausitz.


Erst die Glückwünsche,dann der Umschwung

Schnell bekam Kurras im Dezember 1988 vom zuständigen Abteilungsleiter für Handel und Versorgung beim Rat des Kreises, Schmidt, die Gewerbeerlaubnis. Weihnachten 1988 war Eröffnung, 250 Gäste gleich am ersten Tag. Kurras: „Der Laden lief sehr gut. Wir hatten große Pläne, wollten den Biergarten erweitern, eine neue Heizung einbauen.“



Die Verantwortlichen beim Rat der Stadt waren von dem in der Hauptstadt-Gastronomie erfahrenen Berliner sehr angetan. Kurz nach der Eröffnung gratulierte Bürgermeister Gommlich dem neuen Wirt sogar schriftlich (siehe rechts) und betonte, welch „wichtigen und geschätzten Beitrag zur gastronomischen Versorgung unserer Bürger“ Kurras leiste.


Die Schikanen.

Doch dann kippte die Stimmung urplötzlich. Kurras erinnert sich: „Unsere Pläne für den Umbau des Biergartens und der Heizung wurden abgelehnt. Dann wurde ich von der Volkspolizei vorgeladen. Dort saß einer mit einem Haufen Akten vor sich. Und schrie mich an, wie ich es wagen könne, so ein Hotel zu führen. Er hatte offenbar herausgefunden, dass ich früher als Politischer in Haft saß.“

»Ich merkte: Die wollen dich fertig machen!«

Dutzende Male bekam er dann Besuch von Kontrolleuren der Arbeiter-und-Bauern-Inspektion (ABI), „die akribisch unter die Lupe nahmen, ob die Gläser auch voll waren und die Fleischportionen das vorgeschriebene Gewicht hatten.“ Am 12. Mai 1989 kamen die Betriebsprüfer der HO und nahmen die Buchhaltung aufs Korn. Kurras: „Ich merkte mehr und mehr: Die wollen dich fertig machen!“ Und das, obwohl die Gaststätte eigentlich glänzend lief und bei den Gästen sehr beliebt war. Am Pfingstwochende 1989, Mitte Mai, saßen über 1 000 Gäste bei Sonnenschein im Biergarten. Für die folgenden Wochen hatten sich 90 Busse mit Ausflüglern zu Kaffee und Kuchen angemeldet. Kurras: „Ich hatte schon Probleme, so viele Würstchen, Bier und Kuchen heranzuschaffen.“

Das bittere Ende.

Doch das »Problem« war er bald los. Am 22. Mai teilte ihm Tillich mit, dass „aufgrund innerbetrieblicher Unstimmigkeiten“ der Rat des Kreises auf Tillichs Antrag hin über einen Entzug der Gewerbeerlaubnis entscheiden werde. Schon am 26. Mai beschloss der Rat des Kreises dann den Entzug. Begründung unter anderem: „Unvollständigkeit von Preisnachweisunterlagen für Speisen und Getränke“, „keine ordentliche Führung des Kassenein- und -ausgabenachweises“ und „Ignorierung von Vorladungen durch Staatsorgane“.





Am 5. Juni 1989 teilte Tillich Kurras schriftlich den Entzug der Gewerbeerlaubnis mit (siehe rechts). Die darin aufgeführten Gründe weist Peter Kurras auch heute noch als vorgeschoben und unzutreffend zurück. Kurras: „Ich bin allen Vorladungen aufs Amt immer gefolgt. Und wenn man jemandem mit der Buchhaltung ans Zeug flicken wollte, hätte man wahrscheinlich bei jedem Gewerbetreibenden in der DDR irgend etwas gefunden, wenn man nur etwas finden will. Der wahre Grund war doch meine politische Vorstrafe.“

Er glaubt, dass die Stasi dahinter steckte. Nicht nur, weil er sich der Stasi-Mitarbeit entzogen habe. Sondern auch noch aus einem anderen Grund: Unter dem Dach des Hutberghotels, des höchsten Punktes der Stadt, war damals eine große Funkanlage montiert, ein Relais für den zivilen Telefonverkehr der Stadt sowie den Funkverkehr der Volkspolizei. Kurras war es strikt verboten, das oberste Stockwerk zu betreten. Möglich, dass die Stasi deswegen keinen ausgerechnet wegen »Spionage« vorbestraften Wirt im Haus haben wollte. Und deshalb im Hintergrund die Fäden zog.

Die Zweifel.

Die Unterlagen, die SUPERillu zu dem Fall vorliegen, sind zwar ein Hinweis, aber kein Beweis dafür, dass Kurras wirklich aus politischen Gründen seine Gewerbeerlaubnis entzogen wurde. Und auch nicht, dass die Stasi dabei ihre Finger im Spiel hatte. Das kann nur eine intensive Suche in den Stasi-Akten der Birthler-Behörden klären, die SUPERillu zu dem Fall inzwischen dort beantragt hat.

»Das gehörte zum laufenden Geschäft«

Natürlich hat SUPERillu zuallererst Stanislaw Tillich gefragt. Der meint dazu: „Derartige Vorgänge gab es, Gewerbegenehmigungen und Gewerbeentzüge gehörten zum laufenden Geschäft. An Einzelheiten kann ich mich aber 20 Jahre später nicht mehr erinnern.“

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Die Häuser-Affäre und der Fragebogen-Streit

Vorwürfe. Schon seit seiner Amtseinführung als sächsischer Ministerpräsident im Mai 2008 muss sich Stanislaw Tillich immer wieder für Vorgänge aus der DDR-Zeit rechtfertigen. kritik kam vor allen Dingen deshalb auf, weil Tillich anfangs, andere als offen damit umging. So weigerte er sich lange, zu erzählen, was er bei seinem Eintritt in die sächsische Staatskanzlei 1999 in einem obligatorischen Fragebogen zu seiner DDR-Vergangenheit eingetragen hatte. Nach einem langen Rechtsstreit mit mehreren Medien, unter anderem dem »Spiegel« und der Tageszeitung »Die Welt«, Tageszeitung »Die Welt«, musste er zunächst einige Passagen und dann den ganzen Fragebogen öffentlich machen.

Pikant daran ist, dass er darin angibt, keine dienstlichen Stasi-Kontakte gehabt zu haben. Und inzwischen einräumen musste, dass es eben doch zwei solcher Kontakte gab. Auch wenn das sicher in seiner Funktion im Rat des Kreises nicht so ungewöhnlich war. In der Kritik stand er auch, weil er als Ratsmitglied 1989 fünf Enteignungen zugestimmt hat, unter anderem der Enteignung eines großen Hauses am Kamenzer Marktplatz.
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Tillich war in den letzten Monaten in der Kritik, weil er in Lebensläufen, die er seit 1991 von sich veröffentlichte, angab, er sei zur DDR-Zeit »Verwaltungsangestellter« gewesen. Und dass er in Interviews verbreitete, er habe sich in die »Nische« seiner katholischen Kirchengemeinde zurückgezogen. Die meisten katholischen Einwohner seiner sorbischen Heimatstadt Panschwitz-Kuckau kannten Familie Tillich anders.

Die Mühen der Ebene. Tillichs harter Job bei Handel und Versorgung

Fakt ist aber auch: Einen »Traumjob« hatte Tillich laut der Akten im Kreisarchiv wahrlich nicht, auch wenn er zu den »Privilegierten« gehörte. Als Verantwortlicher für Handel und Versorgung war er oft der Sündenbock für die Versorgungsengpässe in der Mangelwirtschaft. Im Sommer 1989 beschwerten sich viele umliegende Bürgermeister, dass es für die Kinder kein Eis zu kaufen gäbe. Im Sommer 1989 sollte er sich im Auftrag des Vorsitzenden des Rates des Kreises um die Qualität der Versorgungsleistungen im Waldbad Deutschbaselitz und im Freibad Caseritz kümmern. Im Landkreis fehlten 6-Volt-Glühlampen für Trabi-Scheinwerfer. Die ABI meckerte, dass in den Geschäften ranzige Butter angeboten werde. Chronisch knapp war Fleisch. Um wenigstens in der Woche vor dem 40. Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1989 genug Fleisch und Wurst in die Läden zu bringen, organisierte er eine Sonderschicht im Fleischkombinat.

Nur Stasi-Akten können die Sache jetzt klären

Klar ist auch, dass ein Job beim Rat des Kreises zur DDR-Zeit sich in weiten Teilen in denselben »Mühen der Ebene« abspielte wie heute auch bei jeder Kommunalverwaltung: Straßenbau, Versorgung mit Schulen und Kindergärten, regionale Entwicklung. Nur eben leider unter dem Vorzeichen der weltfremden und katastrophalen Wirtschaftspolitik der SED.

Der Druck der Wahl. Als Funktionär einer Block-Partei, Teil der »Nationalen Front«, war auch Tillich ein Rädchen in diesem Getriebe, was er auch nicht bestreitet. „Das war kein Ruhmesblatt“, bekennt er. War das so anders als das Leben der meisten DDR-Bürger, die in den schwierigen Verhältnissen der SED-Diktatur privat die Nische und beruflich das Machbare angestrebt haben? Genau diese Frage wird bei der bevorstehenden Landtagswahl in Sachsen am 30. August eine große Rolle spielen.
gerald.praschl@super-illu.de