Karl Nolle, MdL

Die Sachsen Zeit - www.d-sz.de, 19.07.2009

Letzte Chance für SPD-Chef Jurk

Warum die Sozialdemokraten in Sachsen die große Koalition noch vor der Wahl verlassen müssen
 
Dresden. Wer in den vergangen Wochen gehofft hatte, die Diskussion um Sachsens angeschlagenen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich (CDU) würde früher oder später im Sande verlaufen hat sich geirrt. Das Gegenteil ist der Fall. Stand Tillich bisher vor allem wegen seines fragwürdigen Umgangs mit der eigenen Biografie in der Kritik, muss er sich zunehmend Fragen gefallen lassen, die unmittelbar mit seiner Vergangenheit zu tun haben.

Nach der Welt berichtet ausgerechnet die SuperIllu aus dem Hause Burda - auch bekannt als Zentralorgan aller Ostdeutschen - über einen Fall, der den CDU-Politiker als einen besonders üblen Handlanger des SED-Regimes in Erscheinung treten lässt. Sofern die in diesem Zusammenhang veröffentlichten Unterlagen keine Fälschungen sind, hat Tillich im Juni 1989 Peter Kurras die Lizenz zum Betrieb des Hutberghotels in Kamenz entzogen. Kurras, zuvor Bautzenhäftling und später Stasi-IM, behauptet: "Tillich hat mein Leben ruiniert."

Wie üblich reagieren die sächsische CDU und die Staatskanzlei mit den üblichen Floskeln. "Absurde Debatte", heißt es aus der Parteizentrale. Aus dem Hause Tillich wird verlautet: "20 Jahre nach der Wende könne "quasi jeder alles behaupten." Im übrigen könne er, der Ministerpräsident, nach so langer Zeit aus der Erinnerung heraus zu diesem Vorgang nichts sagen.

Zugegeben 20 Jahre sind eine lange Zeit, aber 1989 war schließlich kein Allerweltsjahr. Tillich war seinerzeit 30 Jahre alt als er zum stellvertretenden Rat des Kreises für Handel und Versorgung emporstieg. Es war das Jahr der Wende in der DDR. Viele können sich bis heute detailgenau an die aufregende Zeit erinnern. Doch ausgerechnet der CDU-Politiker leidet mit Blick auf seine eigene Biografie an einer augenscheinlich besonders schweren Form des Vergessens.

Dass es jemand mit einer derartigen Vergesslichkeit bis zum Ministerpräsidenten des Freistaates Sachsen gebracht hat ist erstaunlich. Während andere mit einer vergleichbaren Vergangenheit nach der Wende nicht mal mehr Pförtner im öffentlichen Dienst sein durften, halfen Tillich seine Erinnerungslücken auf dem Weg zur Macht.

Mit Blick auf die bevorstehenden Landtagswahlen Ende August scheint ihm die Debatte um den Umgang mit seiner Biografie, trotz zahlreicher Widersprüche und Ungereimtheiten bislang kaum geschadet zu haben. Die CDU verliert in Umfragen mal gerade ein Prozent, Tillichs Werte auf der Beliebtheitsskala sinken von 78 auf 74 Prozent. Die SPD verschlechtert sich um drei Prozent, kann von der Debatte nicht profitieren. Das Gegenteil scheint sogar der Fall zu sein.

Hier scheint eine nähere Betrachtung angebracht. Fakt ist. Die seit Monaten anhaltende Diskussion um Tillichs Umgang mit der eigenen Vergangenheit, hat der CDU geschadet. Die sächsische Union kann längst nicht mehr von dem Rückgewinn der absoluten Mehrheit wie zu Biedenkopfs-Zeiten träumen. Die Schwäche der SPD hat vor allem eine Ursache: Während die CDU jeden Angriff mit einer Attacke auf SPD-Aufklärer Karl Nolle pariert, tun sich die Genossen um Parteichef Thomas Jurk schwer sich klar zu positionieren. Von der Distanzierung Jurks zu Nolle scheint man inzwischen zwar abgerückt. Aber ein klares Bekenntnis zum sicher unbequemen Parteifreund sieht anders aus.

Dabei fürchten die führenden CDU-Politiker im Freistaat nichts so sehr wie einen Schulterschluss bei den Genossen. Solange die SPD den Eindruck hinterlässt, sie sei weder Fisch noch Fleisch braucht es der Union nicht Bange werden, wenn es um die Frage des Machterhaltes geht. Schließlich buhlt die FDP schon seit Monaten um die Gunst von Tillich und hält sich in der Debatte um dessen Vergangenheit auffallend zurück.

Sollten die Genossen aber die Zeichen der Zeit erkennen und nicht nur zusammenrücken, könnte es am Ende noch einmal eng werden für eine schwarz-gelbe Koalition. Noch einmal hat sich in diesen Tagen das Fenster für die SPD geöffnet, um sich gegenüber dem Wähler als ernstzunehmende Alternative zu präsentieren. Doch dazu müssten die beiden SPD-Minister Jurk und Stange die Regierung verlassen und die Sozialdemokraten die Koalition aufkündigen.

Sicher kein leichter Schritt - vor allem nicht für einen Parteichef und stellvertretenden Ministerpräsidenten Thomas Jurk, der für seine Harmoniesucht selbst bei etlichen Genossen in der Kritik steht. Doch wenn Jurk ernsthaft eine Koalition von CDU und FDP verhindern will, bleibt ihm keine andere Wahl als diese letzte Chance für einen Austritt aus der Koalition zu nutzen. Ansonsten hat sich auch seine eigene Zukunft als politisches Schwergewicht in diesem Land erledigt.
von Gregor Tschung