Karl Nolle, MdL

Freie Presse, 29.07.2009

Schwerer Kampf für den Kumpel aus der Lausitz

Thomas Jurk will die Regierungsteilnahme der sächsischen SPD verlängern — Vom Funkmechaniker zum respektierten Wirtschaftsminister — Drahtseilakt Koalition und Partei
 

Dresden. Der Kandidat kämpft, er spürt. den Gegenwind. Er weht von der Bundespartei, und er bläst ihm aus dem eigenen Koalitionslager ins Gesicht. Thomas Jurk (47), SPD-Chef in Sachsen und Wirtschaftsminister in der Koalitionsregierung mit der CDU, stemmt sich gegen die Wechselstimmung. „Schwarz-Gelb kann nicht gut sein für Sachsen", lautet seine Warnung. Schwarz-Gelb, also eine Ehe zwischen CDU und FDP, das wäre gleichbedeutend mit dem Ende der SPD-Machtteilhabe, vielleicht auch mit seinem Absturz auf den Platz eines einfachen Landtagsabgeordneten.

Kämpfen kann er. Da nimmt sich Jurk ein Beispiel an seinem Bundesvorsitzenden Franz Müntefering und dessen Lebenslauf. Beide kommen von ganz unten, ohne Abitur und Studium. Auch das erklärt ein hohes Maß an Bodenhaftung und Instinktschärfe. Jurk nimmt seine Witterung in der Lausitzer Heimat auf. Die ist in Weißkeißel, unweit zur Grenze Polens. Gern erzählt er, wie er zu DDR-Zeiten eine r 5 Meter hohe Antenne gebaut hatte, um West-Sender hören zu können. Schließlich ist er gelernter Funkmechaniker. Kommt das Thema auf Kommunikationstechniken, so ist er unverändert in seinem Element. Der chinesischen Lebensgefährtin seines persönlichen Referenten montierte er kürzlich die Satellitenschüssel in ihrer Dresdner Wohnung und richtete den Empfang auf chinesische Programme aus.

An Selbstbewusstsein zugelegt

Ein Kumpeltyp mit Familiensinn, jovial und zuverlässig: Vielleicht hätte so die Beschreibung gelautet, wäre Jurk in seinen beruflichen Fußstapfen geblieben. Doch 1989, unmittelbar nach der Wende, entschied er sich für ein neues Leben. Jurk trat der SPD bei, ein Jahr später, im Oktober, zählte er bereits zu den Gründungsmitgliedern des Landtages, 1994 wählte ihn die SPD-Fraktion zu ihrem stellvertretenden Vorsitzenden. Die Politik und der rasante Absturz der sächsischen SPD veränderten seinen Rhythmus. Die Wahlschlappe 1999 hievte ihn auf den Posten des Fraktionschefs. 2004, bei der letzten Landtagswahl, ging es mit der Partei noch ein weiteres Stück bergab. Doch trotz eines bundesweit einmalig schlechten Ergebnisses zog die SPD in die Regierung ein, verbündet mit einem anderen Verlierer, der CDU.

Fünf Regierungsjahre mit SPD-Beteiligung sind laut Jurk eine Erfolgsgeschichte. Tatsächlich hat der Juniorpartner Spuren hinterlassen, ob im Bildungsbereich oder in der Arbeitsmarktpolitik. Die Sozialdemokraten haben an Selbstbewusstsein zugelegt. Beim schwierigen Trapez-Akt, hin- und hergerissen zwischen Koalitionsverantwortung und Partei-Forderungen, war die Standhaftigkeit Jurks allerdings stets bedroht. So schminkt eine positive Bilanz das Dauergezerre mit der Union, die auch mit persönlichen Demütigungen verbunden war. Und sie verklärt die Wirkung der permanenten Querschüsse des parteiinternen Rivalen Karl Nolle.

,,DDR nicht schönreden"

Stundenlang hat er mit Nolle diskutiert. Auf Kurs gebracht hat er ihn nicht. „Der Karl ist ein Überzeugungstäter", lautet Jurks Urteil, anerkennend — und noch mehr resignierend. Nolles Buch -über CDU-Blockflöten lehnt er ab. „Uns hat es nichts gebracht", sagt er, und zu früheren Kampagnen und den Machtwechsel von Georg Milbradt auf Stanislaw Tillich fügt er an: „Damit hat Nolle der CDU geholfen, ein Personalproblem zu lösen". Jetzt ist Wahlkampf, und Nolles Buchs löst ein zwiespältiges Echo aus. „Ich warne davor, die DDR schön zu reden", lässt sich Jurk ein. Er jedenfalls habe im SED-Staat keine Karriere machen wollen. So klingt es, wenn sich ein Partner absetzt.

Als Wirtschaftsminister und „stellvertretender Ministerpräsident", wie er gern hinzufügen lässt, hat der Lausitzer an Statur gewonnen. Zwar wirkt er in seinen eng geschnittenen Anzügen immer noch konfirmandenhaft und bei Kritik dünnhäutig. Doch für seine Reden benötigt er kein Manuskript, auf Auslandsreisen machte er stets eine gute Figur. Sächsische Unternehmen wissen seine Türöffner-Funktion für osteuropäische Märkte zu schätzen. Mit dem Verband der Sächsischen Wirtschaft pflegt er dagegen ein distanziertes Verhältnis. Die Wirtschaftslobby hält nicht viel vom starken Einfluss der Gewerkschaften auf sein Ministerium und favorisiert unverhohlen ein neues Bündnis, am liebsten mit einem Wirtschaftsminister von der FDP.

Der Kandidat kämpft. Für die SPD und für sich. Auf 9,8 Prozent kam die SPD 2004. „15 bis 20 Prozent sind diesmal drin", erwartet Jurk. In diesem Fall wäre er ein akzeptabler Gesprächspartner — oder würde weich fallen und als Fraktionschef auf seinen früheren Posten zurückkehren, sollte sich die CDU gegen ihn und für sein Schreckgespenst FDP entscheiden. Und wenn alles schief läuft? — „Einen Dienstwagen brauche ich nicht", baut er vor, „auch nicht für die Urlaubsreise."
von Hubert Kemper

-------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Was möchten Sie in den nächsten fünf Jahren unbedingt erreichen?

Ich wünsche mir, dass wieder mehr Kinder geboren werden, weil die Menschen eine gute Zukunft sehen. Dafür will ich die Voraussetzungen schaffen: mit guter und kostenfreier Bildung von der Kita bis zum Studium und mit guter Arbeit. Ich möchte familiengerechte Jobs statt jobgerechter Familien und eine Schule, die durch längeres gemeinsames Lernen jedem Kind eine Chance gibt.

Was wollen Sie tun, damit wieder mehr Menschen in Sachsen ihre Heimat finden?

Alles unterstützen, was Ausbildungs- und Arbeitsplätze schafft. Bei den Ausbildungsplätzen sind wir gut vorangekommen, alle haben ein Angebot erhalten. Das muss auch das Ziel bei den Arbeitsplätzen sein, wo es auch um gut bezahlte Arbeitsplätze geht. Der Mindestlohn ist überfällig. Sachsen hat als Billiglohnstandort keine Zukunft, unser Trumpf ist Oualität.

Was wollen Sie tun, um Sachsen in der aktuellen Wirtschaftskrise zu stärken?

Ich möchte weiter den Ideenreichtum unserer Unternehmen unterstützen. Dabei kann und muss der Freistaat mit klug eingesetzten Fördermitteln helfen. In den vergangenen fünf Jahren haben wir mehr Geld in die Förderung von Ideen und Kreativität gesteckt, denn Forschung und Entwicklung von heute sind die Arbeitsplätze von morgen. In diese Richtung gehen wir weiter.

Wie wollen Sie der Politikverdrossenheit entgegenwirken?

Ich möchte allen klar machen, dass Sie es in der Hand haben, wie sich Sachsen in den kommenden Jahren entwickelt. Ich setze mich ein für ein Sachsen, in dem Jung und Alt einander unterstützen, in dem jeder willkommen ist, auch wenn er länger bleiben möchte, und in dem die Starken für die Schwachen einstehen. Dafür brauchen wir alle — an der Wahlurne und darüber hinaus.

Was zählt für Sie mehr als Politik?

Meine Familie — und gute Freunde.