Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 30.07.2009

„Ich bin der Anführer der Partei“

Sachsens SPD-Chef Thomas Jurk über Parteikollegen Nolle, die Quimonda-Pleite, aktuelle Wahlumfragen und Tillichs Leben in der DDR.
 
Herr Jurk, seit fünf Jahren sind Sie stellvertretender Ministerpräsident und Wirtschaftsminister – was war Ihr schönstes Erlebnis in dieser Zeit?

Das Schönste für einen, der erst 1989 in die Politik gegangen ist, war das Selbst-gestalten-Können. Bis 2004 war ich zunächst in der Opposition. Da können Sie viele kluge Gedanken entwickeln und Anträge schreiben, aber Sie können es nicht umsetzen. Gefreut habe ich mich danach als Minister, dass es mit der SPD in der Regierung gelungen ist, das kostenlose Vorschuljahr einzuführen und für Sachsen eine Studiengebühr zu verhindern.

Und Ihr persönlich schönster Moment?

Das war als Regierungsmitglied auf der ersten Auslandsreise nach Wien. Damals traten SPD- und CDU-Teilnehmer geschlossen auf, um zu zeigen: Wir wollen etwas für Sachsen erreichen. Das kam auch bei den Gastgebern gut an.

Sie haben seit 2004 mit Ex-Ministerpräsident Georg Milbradt als auch mit dessen Nachfolger Stanislaw Tillich zusammengearbeitet. Was unterscheidet die beiden am stärksten?

An Georg Milbradt habe ich die große Fachkompetenz geschätzt. Häufig haben wir uns nicht nur über tagesaktuelle Dinge ausgetauscht, sondern auch über strategische Ziele. Zum Beispiel, ob und wie man die Automarke Audi wieder nach Sachsen zurückholen kann.

Mit Stanislaw Tillich verbindet mich dagegen mehr die gemeinsame Biografie als Ostdeutscher. Beide haben wir erlebt, was bis 1990 in der ehemaligen DDR passiert ist. Das ist ein Stück gemeinsamer Boden – bei aller unterschiedlicher politischer Wahrnehmung der damaligen Probleme.

Mit Herrn Tillich kommen Sie also besser klar?

Sagen wir, es ist eine andere Art des Umgangs, da uns die gemeinsame Geschichte verbindet. Von Georg Milbradt habe ich dagegen viel über Finanzpolitik erfahren, auch wenn das Kapitel Landesbank sicher kein Ruhmesblatt für ihn war.

Und wie war das bei Ihnen? Als Wirtschaftsminister trugen Sie für die ehemalige Landesbank ebenfalls Verantwortung?

Der habe ich mich wie auch mein Staatssekretär immer gestellt, auch vor dem Untersuchungsausschuss. Es gab von uns kritische Einwürfe und Nachfragen in den Aufsichtsratssitzungen zu den Geschäften der ehemaligen Landesbank. Letztlich hat der damalige Bankvorstand die Risiken nicht klar genug benannt und der Aufsichtsrat diese wiederum zu spät erkannt. Das war angesichts der aktuellen Finanzkrise übrigens auch bei anderen Banken deutschlandweit der Fall.

Sie haben sich also gemeinsam mit den anderen geirrt?

Nein, wir haben entsprechend gehandelt, je nachdem, was wir erfahren und gewusst haben oder auf Nachfragen gesagt bekamen.

Als Wirtschaftsminister sind Sie auch für in Not geratene Firmen zuständig. Welche konnten Sie eigentlich retten?

Eine ganze Menge. Bei mir in der Lausitz waren das der Waggonbau Niesky, die Olaf GmbH oder Nickel-Fenster in Weißwasser. Die Delitzscher Schokolade war ein schwieriger Fall. Unterm Strich haben wir mit dem Geld des Steuerzahlers sehr erfolgreich Unternehmen und Arbeitsplätze in Sachsen gerettet.

Und was ist dann bei Qimonda schief gelaufen?

Es sind dort in den Jahren der Hochkonjunktur der Chipindustrie unternehmerische Fehler gemacht worden. Modernste Technik wurde zu spät auf Serienreife gebracht. Dazu kommt, dass die Bedeutung, die die Chipindustrie in Europa hat, bei der EU zu gering eingeschätzt wird. Entsprechend gering war dort auch die Bereitschaft, bei Qimonda mitzuhelfen. Ganz anders übrigens als aktuell beim Autobauer Opel.

Hat dafür die Landesregierung alles getan, was möglich war?

Ich hatte oft den Eindruck, dass mir die CDU-Landtagsfraktion beim Rettungsversuch in den Rücken fällt. Aber auch im Kabinett hat die CDU nicht immer mit den SPD-Vertretern am gleichen Seilende gezogen. Hinzu kam, dass das Finanzierungskonzept von Qimonda am Ende nicht mehr tragfähig war. Das Rettungskonzept ging nicht mehr auf. Dass wir Qimonda nicht helfen konnten, schmerzt mich sehr.

Laut Wahlumfragen wird die sächsische SPD künftig nicht mehr als Regierungspartei für die Lösung solcher Probleme verantwortlich sein?

Umfragen sind wie Wasserstandsmeldungen. Man sollte sie ernst nehmen, aber am Ende dem Wähler als Souverän das abschließende Urteil überlassen. Jetzt ist für mich als SPD-Chef die Zeit zum Kämpfen.

Dennoch könnte bald die FDP mit der CDU am Kabinettstisch sitzen. Was halten Sie vom FDP- Landeschef Holger Zastrow?

Herr Zastrow ist sicher ein guter Werbeexperte. Aber nicht jeder, der was von Werbung versteht, versteht auch etwas von guter Politik. Man sollte sich auch nicht allein mit dem Parteichef auseinandersetzen, sondern mit den Inhalten, die hinter der FDP stehen. Nehmen Sie nur deren Wahlslogans. Wenn wir hören „Schulen sanieren!“, „Kitas bauen!“ und „Steuern senken!“, da frage nicht nur ich mich, wie die Gleichung jemals aufgehen soll. Das geht nur über neue Schulden, die die FDP offiziell ablehnt, oder später das Wort brechen müssen.

Welche Ziele hat die sächsischen SPD, wenn sie in der Regierung verbleibt?

Wir werden fortführen, was wir erfolgreich begonnen haben. Zum kostenlosen Vorschuljahr wollen wir künftig beitragsfreie Kitas für alle Kinder ab drei Jahren. Und wir wollen weiter massiv in die Qualität von Bildung investieren – von der Vorschule über die Gemeinschaftsschule, die zur Regel werden soll, bis zu den gebührenfreien Universitäten. Das Ganze führt sich fort in erneut großen Investitionen in die Wirtschaft und in Arbeitsplätze. Und genau da sehe ich die Gefahr einer CDU-FDP-Koalition. Die würde sicher vieles sofort wieder streichen. Eine solche Koalition würde Sachsen nur zurückwerfen.

Und mit der CDU können Sie Ihre Ziele durchsetzen?

Ja, auf jeden Fall.

Auf andere Koalitionsmöglichkeiten setzen Sie gar nicht?

Leider liegen wir in den Umfragen noch nicht da, wo wir gern hinwollen. Das schränkt die Möglichkeiten anderer Regierungsbündnisse natürlich ein. Wir haben in der sicher nicht leichten Koalition mit der CDU viel Gutes für das Land erreicht. Das darf man nicht unter den Tisch kehren.

Was ist mit einem Linksbündnis? Wären Sie dafür bereit?

Um diese Frage zu beantworten, müsste ein solches Bündnis rechnerisch erst einmal möglich sein. Also warten wir das Wahlergebnis ab und prüfen dann die Optionen. Vor allem muss die SPD stark abschneiden. Sonst haben wir, sonst hat Sachsen – egal bei welcher Koalition – keine guten Karten. Momentan haben wir noch nicht unsere volle Stärke erreicht, daher müssen wir intensiv Wahlkampf machen.

Sollte man dem Wähler nicht vorher klar sagen, mit welcher Partei man nach der Wahl zusammenarbeiten würde und mit welcher nicht?

Die Wähler entscheiden sich nach klaren Kriterien für eine Partei. Koalitionen stehen nicht auf dem Stimmzettel. Über Koalitionsdebatten werden nur inhaltliche Debatten kaputt gemacht. Ich will auch nicht immer über die DDR-Biografie von Stanislaw Tillich reden, sondern darüber, wie wir die Zukunft für Sachsens Bürger gestalten. Dafür braucht es eine starke SPD.

Ein bekannter Sozialdemokrat, der Abgeordnete Karl Nolle, redet dennoch lieber über Tillich und dessen Umgang mit seiner DDR-Biografie. Schadet Nolle damit seiner Partei?

Karl Nolle ist ein Überzeugungstäter, und er hat ein Problem mit der CDU und ihrer Vergangenheit. Das ist eine Sache, mit der man sich beschäftigen kann, die uns aber bei der Entwicklung Sachsens nicht wesentlich voranbringt. Und Meinungen, Karl Nolle tanze der SPD auf der Nase herum, sind völlig falsch. Ich bin der Anführer der Partei, wurde erst kürzlich mit großer Mehrheit als Vorsitzender bestätigt und bleibe das auch.

Inwieweit schadet Herrn Tillich die Debatte über seine DDR-Vergangenheit?

Ich glaube nicht, dass sie ihm schadet, weil die Menschen hierzulande nicht schwarz-weiß denken. Aus ihrer Erfahrung heraus meinen viele, die Sache wird überzogen. Ich glaube zwar nicht, dass es jeder toll findet, dass Herr Tillich stellvertretender Vorsitzender des Rates des Kreises war. Ich, der selbst aus einem christlichen Elternhaus stammt, hätte keine Gründe gehabt, in die CDU einzutreten. Bei der Einschätzung von Tillichs Lebensleistung sollten jedoch die letzten 20 Jahre auch mit betrachtet werden. Ich verstehe aber nicht, warum er lange Zeit nur Teile seiner Vergangenheit eingeräumt hat. Souveräner Umgang sieht anders aus.

Notiert von Gunnar Saft