SPD-Chef Thomas Jurk hat lange die Oppositionsbank gedrückt und ist seit 2004 Minister. Weil er seitdem etwas verändern kann, will er weiter im Amt bleiben.
Ist er sauer? Natürlich ist er das. Wäre jeder andere auch. Gut acht Kilometer ist Thomas Jurk an diesem Sonnabend von Weißkeißel, seinem Wohnort, nach Weißwasser, seinem Wahlkreisbüro, gefahren. Unterwegs hat er die Plakate gesehen: CDU hängt da, FDP, Linke, die Tierschutzpartei; die NPD hat jeden Mast beklebt. SPD? Fehlanzeige. 22Tage vor der Landtagswahl. Einen Tag vorm Wahlkampfauftakt seiner Partei.
Sachsens SPD-Chef ist alles andere als begeistert. Dennoch greift er nicht hektisch nach dem Telefon und faltet irgendwen in der Geschäftsstelle zusammen. Oder in der Agentur, die dafür bezahlt wird, dass sie die Plakate aufhängt. Es soll die gleiche sein, die auch für die CDU klebt. „Und diese Plakate hängen. Merkwürdig, nicht?“, sagt der Politiker. Auch, dass die CDU ja Unmengen Plakate raushaut – „ich glaube, das wird den Leuten zu viel.“ Und, dass er schon viele zerstörte Plakate gesehen hat. „Vielleicht ist es gar nicht schlecht“, denkt er laut, „wenn unsere dann erst später kommen?“ Es klingt wie das Pfeifen im dunklen Wald.
Diäten für seine Station
Jurk setzt sich in seinen weißen Audi und fährt zweimal ums Eck. „Station für Technik, Natur und Kunst Weißwasser e.V.“ steht auf dem Schild. Seine Station. An den Bungalows auf dem weiträumigen Gelände kleben noch die zweisprachigen Schilder, mit denen die Teilnehmer des Deutsch-Polnischen Wolfscamps begrüßt wurden. Jurk liest laut den polnischen Gruß und – es klingt perfekt. Ein halbes Jahr habe er mal Polnisch gelernt, erzählt er. „Einmal habe ich als Wirtschaftsminister eine halbstündige Rede auf Polnisch gehalten“, erinnert er sich. „Und viel Applaus bekommen, ich wurde offenbar verstanden.“ Jetzt grinst er ein wenig.
Vom Kunstkurs der Station bekommt er heute eine Tuschezeichnung. „Dass es uns hier überhaupt noch gibt, haben wir Herrn Jurk zu verdanken“, sagt Stationsleiter Bernd Frommelt. 70 Mitglieder hat der Treff, 18 Arbeitsgemeinschaften – übers Jahr können hier bis zu 4000 Kinder und Jugendliche der Freizeitbeschäftigung nachgehen, die ihnen Spaß macht. Keine Selbstverständlichkeit in der strukturschwachen Region.
Die Station, die es seit 1953 gibt, und in Thomas Jurk selbst als Schüler viel Zeit verbracht hat, stand seit der Wende immer wieder auf finanziell wackeligen Füßen. Seit sechs Jahren fließt von Jurk Monat für Monat ein erklecklicher Betrag auf das Konto der Station: seine Diätenerhöhung. Die hatte sich zuvor Sachsens Landtag genehmigt – der Abgeordente Jurk hatte dagegen gestimmt. „Da kann ich das Geld doch nicht einfach einsacken.“
Kurz vor dem Besuchsende sieht er das Modell der hölzernen Sprungschanze von Sagar. Daneben liegen Originalzeichnungen des Erbauers der richtigen Schanze aus dem Jahr 1964. Jetzt ist Thomas Jurk, der Sportler, entfesselt. Das wüssten nicht viele, sagt er stolz, „das Neißetal hatte bis zur Wende eine Skisprungtradition.“ 27Meter hätte man auf der Schanze springen können. 31, wird er korrigiert. Das, sagt er, hätte er sich nie getraut. Auf einer anderen Schanze habe er es mal gewagt. „Sieben Meter, also keine großen Sprünge.“
Kräftige Statur, viele Wünsche
Die machte der 1962 in Görlitz geborene und bis heute in Weißkeißel an der polnischen Grenze lebende Jurk tatsächlich erst im geeinten Deutschland. „In der DDR hätte ich es vermutlich noch bis zum Meister gebracht.“
Funkmechaniker hat er gelernt, gearbeitet in einer Produktionsgenossenschaft des Handwerks, „zuletzt in der Konsumgüterproduktion“. Er blieb parteilos, war aber politisch interessiert. Dass er ausgerechnet den Wendeherbst 1989 in Bad Kösen verbringen musste, „war richtig Mist“. Beim Löten mit Kolophonium hatte er sich eine chronische Atemwegserkrankung zugezogen, in Bad Kösen sollte er kuriert werden. Der in einem streng christlichen Elternhaus aufgewachsene junge Mann ging dort regelmäßig in die Kirche. Wo es hochpolitisch zuging. Eines Tages habe der Pfarrer die Anwesenden geschockt: „Sie können jetzt Genosse zu mir sagen.“ Das, wo doch gerade die Genossen die SED in Scharen verließen! Und ein Pfarrer! In die „Es-De-Pe“, die im Osten erst später SPD heißen sollte, sei er jetzt eingetreten, habe der Kirchenmann erklärt. Das, so Jurk, sei wie eine Initialzündung für ihn gewesen. Sozialdemokrat werden, das konnte er sich, der schon damals Helmut Schmidt verehrte, gut vorstellen. Zurück in Weißwasser, führte sein erster Weg zum SDP-Ortsverein. Heute führt Thomas Jurk den Landesverband der SPD in Sachsen mit knapp 4500 Mitgliedern an.
Wie so oft macht der Politiker an diesem Tag noch einen Abstecher in den Findlingspark Nochten. Nicht nur, weil er auf dem 20Hektar großen Areal Pate einer Zereiche und froh darüber ist, „dass die ihre schwere Durststrecke überwunden hat“. Nochten und die Parks von Bad Muskau und Kromlau sind Glanzlichter seiner Heimat. Und darauf ist er stolz. Weil er an diesem Glanz auch mitgewirkt hat, als Abgeordneter und seit 2004 als Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident. „Nein, in diese Regionen sind nicht plötzlich die Millionen geflossen, weil mir das Wirtschaftsressort untersteht“, sagt er heute. „Aber in diese Region ist die 14 Jahre zuvor herzlich wenig geflossen.“ Mitgestalten, das war der Anspruch, der ihn einst in die Politik gedrängt hat. „Dass wir dort so viele Jahre auf den Oppositionsbänken Platz nehmen mussten, war ärgerlich. Viele unserer guten Ideen landeten einfach im Papierkorb“, sagt der 47-Jährige.
Wenngleich er die Karriereleiter in rasanten Schritten genommen hat, ist er nicht das typische Alphatier geworden. Er ist nicht der eloquente aalglatte Politiker, der auch Wasserstandsmeldungen nur im Sinne seiner Partei auslegen würde. Der große kräftige Mann hat eine verdammt dünne Haut. Und die lässt sich schon mal trefflich reizen.
Rasen mähen, Reden halten
Ja, es wurmt ihn, dass in der Koalitionsregierung mit der CDU seine Rolle die des ewigen Zweiten ist. Der Ministerpräsident ist der Star. Etwa in der Delitzscher Schokoladenfabrik. Vor der Insolvenz gerettet, legt das Werk jetzt eine Erfolgsgeschichte hin. „Mein Haus war daran nicht ganz unbeteiligt“, sagt Jurk. Doch feiern lassen sich im Wahlsommer die CDU-Ministerpräsidenten von Sachsen und Sachsen-Anhalt, Tillich und Böhmer. „Ich freue mich“, und es klingt gequält, „dass Tillich jetzt überall dort ist, wo wir etwas gerettet haben. “
Thomas Jurk guckt auf die Uhr. Der Nachmittag ist angebrochen. Morgen muss er wieder zeitig das Haus verlassen, in dem er mit seiner Frau, einem ungarischen Hirtenhund und zwei Katzen lebt. Die beiden erwachsenen Kinder sind ausgezogen. Heute hätte eigentlich der Rasen gemäht werden müssen. Aber er muss sich auf seine morgigen Reden auf dem Open-Air-Parteitag und beim Wahlkampfauftakt vorbereiten. Und das Lied einstudieren, das er dort auf dem Akkordeon spielen soll. Abba-Titel hat er sich früher ja selbst beigebracht. „Wa-ter-loo, dididi-dididi-dididi“, singt Jurk und lacht. „Oder das Rennsteiglied, Herbert Roth hätte seine Freude gehabt.“ Was er morgen spielen soll, müsse er sich erstmal auf Youtube anhören: „Save the last dance for me“. Frei übersetzt: Hebt den letzten Tanz für mich auf. Eine glückliche Wahl?