Leipzig. Es hätte das Aufeinandertreffen zweier Wahlkampf-Schlachtrösser werden können: SPD-Chef Franz Müntefering und Linke-Bundestagsfraktionschef Gregor Gysi stiegen am Montagabend in Leipzig nur hundert Meter voneinander entfernt aufs Podium – doch die beiden gingen sich nicht nur aus dem Weg, auch der Kontrast hätte kaum schärfer sein können.
Es fällt schwer, an einen Zufall zu glauben. Müntefering, mit Aufbau-Ost-Minister Wolfgang Tiefensee sowie Sachsens Wirtschaftsminister Thomas Jurk im Schlepptau, und Gysi zur gleichen Zeit am nahezu gleichen Ort – nein, das kann kein Zufall sein. Ist es auch nicht, wie die SPD zerknirscht verrät: Wir waren zuerst da, heißt es knapp. Genutzt hat es wenig.
Während sich die Sozialdemokraten in der Marktgalerie zwischen verglasten Wänden und cognacfarbenen Sesselreihen eher staatstragend geben, feiert die Linke auf dem Leipziger Marktplatz ein Volksfest. Größer könnten die Gegensätze kaum sein: Hier das edle Interieur aus Lederimitat und Korbgeflecht, da Bierzeltgarnituren und eine Konzert-Bühne; in der Ladenpassage dominieren dunkle Anzüge auf dem einer Talkshow nachempfundenen Podium, draußen T-Shirts, durch die Gysis heller Sommeranzug schimmert. Von der Resonanz ganz zu schweigen. Auf dem Markt drängen einige tausend Zuhörer, nebenan sind es mit Wohlwollen etwa 300.
Das Duell scheint ungleich, schon vorab entschieden. Doch die SPD-Genossen verspüren an diesem Tag nur wenig Lust, sich zu verkriechen. Landtagskandidat Gernot Borris, SPD-Chef in Leipzig, spricht immer wieder Passanten an, die eigentlich auf der Suche nach neuen Schuhen oder dem Eingang zur Tiefgarage sind. Die Eine oder der Andere verharrt tatsächlich für einige Minuten an seiner Seite. So sieht Wahlkampf aus, so muss sich Wahlkampf anfühlen. Vom Podium hallt Borris dann energisch: „So einer wie Volker Külow darf kein Direktmandat mehr gewinnen.“
Etwa zur gleichen Zeit bereitet besagter Külow, Landtagsabgeordneter und ehemaliger IM, auf der Markt-Bühne das Feld für Gysi. Der Leipziger Linken-Vorsitzende schimpft auf die Regierungen in Dresden und Berlin, fordert unter anderem den sofortigen Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan. Ab und an muss er unterbrechen, weil seine Worte im Zwischenapplaus unterzugehen drohen. Gysi geht es später ähnlich. Der Fraktionschef faucht, kratzt, beißt – er verinnerlicht seine Mission, ist durch dutzende Wahlkämpfe gegangen. „Wir brauchen eine Garantie für den Sozialstaat“, ruft Gysi, und setzt nach einer Jubelpause hinzu: „Nach der Wahl will Schwarz-Gelb die kleinen Leute für die Krisenkosten zur Kasse bitten.“ Er redet von sozialer Kälte, und davon, dass es einen Aufstand der Anständigen geben müsse.
Das Kontrastprogramm läuft in der Marktgalerie. Müntefering, der wahrscheinlich zwanzigmal mehr Wahlkämpfe hinter sich hat als Gysi, wirkt seltsam müde, in sich gekehrt. Nach einem heißen Wahlkampf-Tag in Thüringen ist es sein letzter Termin für heute. „Wer an der Spitze dieses Landes steht, aber nicht die Traute hat zu sagen, wie die Arbeitslosigkeit bekämpft werden soll, hat nicht verdient, dieses Land zu regieren“, spricht er ins Mikrofon. Und meint Angela Merkel.
An Münteferings Flanke rätselt Sachsens Vize-Regierungschef Jurk: „Einerseits sollen wir Arbeitsplätze schaffen und sichern – machen wir das dann mit staatlichen Geldern, werfen die Leute uns das vor.“ Zusammen mit Tiefensee, der in Leipzig ein Direktmandat für den Bundestag gewinnen will, versucht Jurk allerdings tatsächlich so etwas wie Interesse zu entfachen. Dafür preist der ehemalige Leipziger OBM die Erfolge beim Aufbau Ost und bemüht auch die Geschichte, geht auf Ferdinand Lassalle zurück, definiert die Wurzeln der Sozialdemokratie. Doch alles hat den Anschein: Es ist in diesen Tagen nicht einfach, ein Sozialdemokrat zu sein.
Kaum ist die Talkrunde in der Marktgalerie beendet, findet der SPD-Chef sein Lächeln wieder. Gut eine viertel Stunde lang muss er, wie auch Tiefensee, Autogramme schreiben, für Erinnerungsfotos posieren. „Wählen Sie das Original – uns“, bittet Müntefering noch mehrfach. Auf dem Marktplatz ist Gysi nach anderthalb Stunden Schwerstarbeit soeben durchgeschwitzt von der Bühne gestiegen. Und als seine dunkle Limousine Richtung Thomaskirche rollt, singt die von der Linken engagierte Rockband Die Ekla-Tanten „Das ist ein guter Tag“. Die SPD-Spitze erholt sich im Café Madrid