Karl Nolle, MdL

Brennspiegel, Zeitung der SPD UB Dresden, Nr 03/09, 28.08.2009

Die Nische oder über den Umgang mit der Vergangenheit

 

„Das von der West-CDU mit Karrieren belohnte Wendemanöver der Ost-CDU gehört zu den widerlichsten Kapiteln der Deutschen Einheit." Tages-Anzeiger (Zürich), 28. Dezember 1991

Der Andrang am 19. Juni 2009 war zu groß für das Restaurant „Chiaveri" im Sächsischen Landtag. Zu viele waren gekommen, um Karl Nolles Ausführungen zu seinem soeben erschienen Buch „Sonate für Blockflöten und Schalmeien" zu lauschen. Letztlich war jedoch auch der Raum der Landespressekonferenz zu klein fürdie zahlreich erschienenen Medienvertreter, Politiker, politisch Interessierten und die „Vertreter von der anderen Elbseite" (die Karl Nolle zu begrüßen sich nicht nehmen ließ).

Verständlich, denn monatelang hatten Freund und Feind auf das Buch gewartet, in welchem beleuchtet wird, wie die Blockflötengruppe der CDU ihre Harmonie im Schalmeien-Orchester der Nationalen Front unter der Leitung der SED seit der Wende dissonant zu redenversucht.

Prof. Dr. Cornelius Weiss machte mit seinen einleitenden, im Buch als Vorwort zu lesenden Worten klar, worum es in diesem Buch geht: nicht um Beurteilung von Biographien, sondern um deren Manipulation. Dass dabei die CDU im Mittelpunkt steht, ist kein Zufall: ist sie es doch, die seit 20 Jahren nach dem Grundsatz „Haltet den Dieb" versucht, die SPD zu diskreditieren. Akribisch hat Karl Nolle die Quellen studiert, die übrigens öffentlich sind oder es zumindest sein sollten. Doch Duellen können sich auch über Nacht verändern oder gar versiegen, wie er feststellen musste - ein Schelm, wer an Orwells Roman „1984" denkt! Besondere Brisanz hat dabei der „Fall Tillich". Auf den Seiten 99 ff. des

Buches sind die salamitaktischen Veränderungen der Biographie des sächsischen Ministerpräsidenten dokumentiert - Ende nicht absehbar. Tillich war nach eigenen Worten in die CDU eingetreten, „um Ruhevor der SED zu haben". Und weiter: „Ich war kein Oppositioneller, sondern habe eswie viele andere gemacht, mir eine Nische gesucht und mich in meinem Heimatdorf in eine kleine Gemeinschaft der Kirche zurückgezogen." In dieser Nische agierte er als Staatsfunktionär von SED-Gnaden auf Kreisebene,wurde am 7. Mai 1989 in den Kreistag Kamenz gewählt

Das Spektrum der Reaktionen auf das Buch reicht von hilfloser Polemik, von haltlos-ratlosen Vergleichen über unflätige Beschimpfungen (auf dem CDU-Bundesparteitag in Stuttgart ebenso wie von anonymen Absendern) bis hin zu Dank und Mutzusprechung. Das Buch Karl Nolles ist ohne Frage ein wichtiger Beitrag zur Pflege demokratischer Werte in Sachsen. Dies drückt nicht zuletzt eine Reihe von Beiträgen anderer Autoren aus, selbst aus CDU-Kreisen.
von Dirk Wiegard

Sächsische Hefte Nr.7 ISBN 978-3-00-028062-7