Karl Nolle, MdL

stern.de, 03.09.2009

Sächsische Schweiz: Wo SPDler nur noch Exoten sind

Im Südosten Sachsens kam sogar die NPD bei der Landtagswahl auf mehr Stimmen als die SPD. Besuch bei einem Häuflein Sozis auf verlorenem Posten.
 

Manchmal wäre Ralf Wätzig gerne wie Tom Sawyer. Der Held aus Mark Twains Lausbubengeschichten wurde ausgerechnet an einem sonnigen Sonnabend dazu verdonnert, den schier endlosen Gartenzaun seiner Tante neu zu streichen. Statt aber Trübsal zu blasen, ging Tom fröhlich pfeifend ans Werk - so fröhlich, dass sich die anderen Dorfbengel bald darum balgten, bei diesem Riesenspaß auch mitmachen zu dürfen.

Doch selbst wenn Wätzig fröhlich pfiffe, bliebe es ein Pfeifen im Walde. Der 35-jährige Familienvater leitet das Bürgerbüro des SPD-Kreisverbandes Sächsische Schweiz-Osterzgebirge im Elbstädtchen Pirna - und sitzt damit mitten in der sozialdemokratischen Diaspora. Von den gut 260.000 Einwohnern des gleichnamigen Landkreises, der von der südlichen Stadtgrenze Dresdens bis zur tschechischen Grenze reicht, haben aktuell rund 160 ein SPD-Parteibuch. Und das ist noch nicht einmal Wätzigs größtes Problem: Das südöstliche Viertel des Landkreises macht regelmäßig bundesweit Schlagzeilen - als Hochburg militanter Neonazis und der rechtsextremen NPD.

Sächsische Schweiz ist NPD-Stammland Während die Skinheads Sächsische Schweiz mittlerweile seit geraumer Zeit verboten sind, hat sich die NPD zwischen Königstein und Sebnitz, Neustadt und Bad Schandau etabliert.

Bei den Landtagswahlen am vergangenen Sonntag schafften die Rechtsextremen den Wiedereinzug in den Landtag, auch, weil der Wahlkreis Sächsische Schweiz II mittlerweile NPD-Stammland zu sein scheint. 11,8 Prozent der Wähler gaben ihre Erststimme dem Kandidaten der rechtsextremen Partei, im Örtchen Reinhardtsdorf-Schöna, das bereits bei den Kommunalwahlen 2008 als NPD-Hochburg Schlagzeilen machte, erreichte die Partei mit 19,8 Prozent das sachsenweit höchste Zweitstimmen-Ergebnis.
 
Immerhin: Die Ergebnisse sind ein ganzes Stück zurückgegangen", macht sich Ralf Wätzig Mut. Denn das kleine, zurzeit mit ausgedienten Wahlplakaten vollgestellte Büro dient auch als Koordinationszentrale des Projektes "Mit Leidenschaft für Demokratie". Es ist einer der Anlauf- und Aktivposten des Netzwerks gegen Rechtsextremismus, das im Landkreis seit 2005 mit Erfolg immer dichter geknüpft wird.

Rotes Leuchttürmchen in der Provinz

Mit dieser Arbeit kann man - zumal im Wahlkampf - auch Parteiprominenz wie Außenminister Frank-Walter Steinmeier oder Juso-Chefin Franziska Drohsel nach Pirna locken. Sie schauten Ende August vorbei und waren vom Engagement des Außenpostens "sehr angetan". Doch ansonsten, deutet Wätzig an, hatte es das SPD-Leuchttürmchen in der sächsischen Provinz nicht immer leicht bei den Partei-Managern im Willy-Brandt-Haus. "Die Erwartung der ersten Zeit nach der Eröffnung war, dass wir haufenweise Mitgliedsanträge nach Berlin liefern", erzählt Wätzig.

Dagegen hätte er im Grunde nicht einmal etwas einzuwenden: Mehr Mitstreiter könnte der SPD-Mann gut gebrauchen. "Die paar Handvoll Leute, die sich hier engagieren, haben in der Regel gleich mehrere Ämter zu bewältigen." So ist Ralf Wätzig nicht nur Leiter des Bürgerbüros, sondern auch eines von zwei SPD-Ratsmitgliedern in Pirna und Mitglied der gemeinsamen Kreistagsfraktion von SPD und Grünen Dass es mit dem Einzug in den Landtag, für den Wätzig im Wahlkreis Sächsische Schweiz I gekämpft hat, nicht geklappt hat, enttäuscht den kompakten Brillenträger nicht einmal sonderlich. Dass seine Erst- und Zweitstimmenergebnisse aber noch - und wieder - hinter denen des NPD-Kandidaten liegen, wurmt ihn ganz persönlich.

Hier macht die SPD sogar Hausbesuche

Wir können hier ackern, wie wir wollen, aber es ändert sich an den Zahlen nicht viel", sagt auch Wätzigs Parteifreund Karlheinz Petersen. Der ursprünglich aus Schleswig-Holstein stammende Bartträger, im Hauptberuf Geschäftsführer der sächsischen Arbeiterwohlfahrt, ist im Wahlkreis Sächsische Schweiz II als SPD-Landtagskandidat angetreten und satte fünf Prozentpunkte hinter dem NPD-Kandidaten gelandet

Dabei haben Wätzig, Petersen und die beiden anderen Kandidatinnen des Kreisverbandes, Stefanie Willuhn und Dagmar Neukirch, auch zu unkonventionellen Mitteln gegriffen, um mit den Wählern ins Gespräch zu kommen. Sozi frei Haus hieß die auf Flyern und im Internet beworbene Aktion, bei der die Kandidaten unkompliziert für Hausbesuche gebucht werden konnten. "Die einzige Bedingung war, dass es mindestens fünf Interessierte sein sollten - egal ob Nachbarn, Freunde, Vereins-Mitglieder oder Arbeitskollegen", erzählt Karlheinz Petersen. Die Resonanz sei zwar nicht überwältigend gewesen, aber doch so zufriedenstellend, dass die Aktion auch nach der Wahlkampfzeit fortgesetzt werden soll.

Die Partei als belastender Rucksack
 
"Denn vieles funktioniert allein über persönliche Kontakte und Bekanntschaften", betont auch Ivo Teichmann. Der 42-jährige Diplom-Verwaltungswirt hält im 2600-Einwohner-Städtchen Königstein die SPD-Fahne hoch, als einziger Vertreter der Partei im ansonsten von der CDU und einer freien Wählergemeinschaft dominierten Stadtrat. In der Stadt selbst gibt es noch zwei weitere Mitglieder, der Ortsverein, der auch einige umliegende Gemeinden umfasst, zähle "insgesamt 15 bis 20 Mitglieder, davon etwa die Hälfte Aktive.
 
Einer davon ist Teichmann, der nach eigenen Angaben bereits seit knapp 20 Jahren Kommunalpolitik betreibt - und als Vorsitzender und Mitbegründer des Tourismusvereins Elbsandsteingebirge in der Region ohnehin bekannt ist wie ein bunter Hund. Teichmann versteht sich als jemand, "der vor Ort etwas bewegen will". Die Partei ist ihm dabei "so etwas wie ein Rucksack - manchmal hilfreiches Gepäck, manchmal auch durchaus eine Last." Zum Beispiel, als Teichmann sich im August durch cleveres Agieren auch einen Sitz im Verwaltungsausschuss des Königsteiner Stadtrates sicherte. Dass er bei der entscheidenden Abstimmung - "ohne vorherige Absprache" - spontan auch mit dem Vertreter der Linken zusammenarbeitete, räumt er offen ein. Allein das brachte ihm bereits Ärger mit seinem Ortsverein ein. Woher aber die ausschlaggebende dritte Stimme für seinen Ausschuss-Sitz kam, weiß Teichmann selbst nicht.

NPD sorgt für Zwist unter den Demokraten

Das Pikante daran: Sie könnte theoretisch auch von der NPD-Stadträtin gekommen sein. Denn auch im Pirnaer Rathaus haben die Rechtsextremen die anderen Parteien kürzlich damit überrascht, dass sie deren Vertreter für Ausschuss-Sitze vorschlugen. Ralf Wätzig vermutet dahinter durchaus eine Strategie, um "unter den demokratischen Parteien für Zwist zu sorgen. "Deren Ratsmitglieder hätten sich dann aber kurz besprochen und den Versuch ins Leere laufen lassen. Daraus, sagt Wätzig, habe er gelernt. Beim fröhlichen Pfeifen muss er auch noch aufpassen, dass er nicht die falschen Mitstreiter anlockt.
Von Lars Radau, Pirna