Karl Nolle, MdL

spiegel online, 20:39 Uhr, 27.09.2009

Wählerwanderung: Sofa statt Steinmeier

SPD-Wähler blieben massenhaft zu Hause
 
Taktik, Abstinenz, Kompetenz: Der Sieg von Schwarz-Gelb, der Triumph der FDP und die SPD-Niederlage haben eine Reihe einander verstärkender Ursachen. SPD-Wähler blieben massenhaft zu Hause, die Liberalen profitierten vom taktischen Stimmen-Splitting, der Kanzlerin nutzte ihr Image.

Berlin - Es gibt eine dramatische Zahl, die das ganze Ausmaß der Niederlage der SPD illustriert: 1998, als sie mit den Grünen die Regierung übernahm, erhielten die Sozialdemokraten die Stimmen von 20 Millionen Wählern. Am diesjährigen Wahlabend waren es wohl nicht einmal mehr zehn Millionen.

Allein zwei Millionen Wähler, die zuletzt noch SPD gewählt haben, blieben dieses Mal daheim. Jeweils gerundet eine Million, so die ARD am Wahlabend, liefen zusätzlich zu Union, Grünen und zur Linken über. Von den Wählern, die insgesamt zu Hause blieben, neigt zudem eine Mehrheit der SPD zu. Das bedeutet, dass das konservative Lager bei der Mobilisierung erfolgreicher war.

1,2 Millionen Unionsstimmen für die FDP

Die Union verlor ihrerseits demzufolge etwa 1,2 Millionen Wähler an die FDP. Wobei "verloren" nicht wirklich stimmt: Es waren die Stimmen taktischer Wähler, die Schwarz-Gelb ihre Stimme geben wollten - und nicht einer Fortsetzung der Großen Koalition. Darunter hatte insbesondere die CSU in Bayern zu leiden, die dort nur knapp über 40 Prozent holte, bundesweit entspricht das rund 6,5 Prozent.
Die Verstörung darüber war den CSU-Granden am Wahlabend bereits deutlich anzumerken. "Vorpropagandiert" habe die FDP dieses taktische Abstimmen, sagte CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer angesäuert.

Auf diese Weise sind regelrechte FDP-Hochburgen entstanden: In Nordrhein-Westfalen, in Rheinland-Pfalz, in Bayern und in Baden-Württemberg holten die Liberalen jeweils zwischen 15 und 18 Prozent der Zweitstimmen, berichtet die ARD. In eben diesen Ländern ist die FDP nun fast auf Augenhöhe mit der SPD.

SPD im "Strategischen Dilemma"

Die SPD muss sich weiter von einst traditionell mit ihr verbundenen gesellschaftlichen Gruppen verabschieden. Bei den Arbeitslosen etwa liegt nunmehr im Bund Die Linke vorne.

Unter dem Strich hat auch die CDU Prozentpunkte verloren, wenn auch nur in geringfügigem Ausmaß. Dass sie sich halbwegs auf dem Niveau von 2005 halten konnte, liegt laut einer ersten Analyse der Forschungsgruppe Wahlen vor allem an den guten persönlichen Werten von Angela Merkel. Eine Kanzlerin mit "bester Reputation" habe den Ausschlag gegeben; dabei hatte auch SPD-Kandidat Frank-Walter Steinmeier verhältnismäßig gute Werte. Aber keinen Amtsbonus. Vor der Wahl wollten 56 Prozent der Wähler lieber Merkel als Regierungschef, nur 33 Prozent Steinmeier. Das schlug am Wahlabend durch.

Zudem stellt die Forschungsgruppe ein "strategisches Dilemma" der SPD fest: "Neben einer stärker in die Mitte gerückten Union verliert sie links Wähler, deren Wünsche sie als Regierungspartei nicht bedienen kann."
Von Yassin Musharbash