Karl Nolle, MdL

spiegel.online.de, 19:57 Uhr, 01.10.2009

Schwarz-Rot in Thüringen

Matschie will Politikwechsel mit dem Gegner von gestern
 
Rot-Rot-Grün schien in Thüringen auf dem besten Weg - doch die SPD votierte doch noch für Koalitionsverhandlungen mit der CDU. Landesparteichef Matschie steht nun unter enormem Druck. Alte Widersacher rufen zur Revolte. Dabei könnte die SPD auch mit Schwarz-Rot einiges durchsetzen.

Berlin/Erfurt - Am Tag danach schlägt Bodo Ramelow mal wieder die ganz große Pauke. "Es ist tragisch, dass die SPD in dem Bundesland, in dem sie gegründet wurde, Selbstmord begeht." Gerade einmal vier Wochen ist es her, da sah sich der Linke-Politiker nach den 27 Prozent seiner Partei schon als Ministerpräsident einer rot-rot-grünen Koalition in Thüringen. Von diesem Anspruch rückte er ziemlich rasch ab - doch nach dem überraschenden Votum der SPD-Führung wird Ramelow nicht einmal Minister in der künftigen Landesregierung sein: Die Sozialdemokraten wollen nun doch lieber mit der CDU regieren.

Der Linken bleibt erneut nur die Opposition - aber die will ihr Spitzenmann umso gnadenloser ausüben. Die parlamentarische Rache des Bodo Ramelow wird in etwa so aussehen: "Wir werden alle Anträge aus dem SPD-Wahlkampf in den Landtag einbringen", sagt er.

Was - wenn man die Suizid-These Ramelows wörtlich nimmt - gar nicht mehr nötig sein sollte. Aber noch lebt die Thüringer SPD. Allerdings graust es, nach der Entscheidung des Landesvorstands aus der Nacht zum Donnerstag, auch manchen Thüringer Sozialdemokraten vor der Zukunft der Partei. Viele fragen sich: Wie soll der politische Wechsel, den Spitzenkandidat Christoph Matschie im Landtagswahlkampf versprochen hatte, mit der CDU gelingen?

Sozialdemokraten sind entsetzt und enttäuscht

"Ich bin entsetzt", sagt ein einflussreiches SPD-Mitglied am Donnerstagmorgen. Und zwar nicht, weil seine Liebe zur Linken und den Grünen so groß ist. Sondern weil nach dem Bundestagswahlergebnis vom Sonntag ein rot-rot-grünes Bündnis in Thüringen auch vielen moderaten Sozialdemokraten im Freistaat zwingend erschien.

Peter Metz, Thüringer Juso-Chef und gerade in den Landtag gewählt, gehörte zu den sechs Vorstandsmitgliedern, die in der Nacht für rot-rot-grüne Koalitionsverhandlungen stimmten - 18 waren dagegen. "Ich bin sehr enttäuscht", sagt Metz. Die SPD müsse sich gegenüber der Linken öffnen, da habe man nun eine Möglichkeit verpasst. "Das ist die falsche Entscheidung", sagte er SPIEGEL ONLINE. Man hätte wenigstens in die Gespräche einsteigen sollen, auch auf die Gefahr des Scheiterns hin. Parteichef Matschie nimmt Metz von der Kritik allerdings aus. "Der hat sich wirklich bemüht."

Aus der Spitze der Bundes-SPD äußerte sich am Donnerstag offiziell niemand zum überraschenden Schwenk in Thüringen. Was daran liegen mag, dass Koalitionsverhandlungen eines mäßig wichtigen Landesverbands angesichts der Turbulenzen in der Parteiführung nach dem Wahl-Desaster am Sonntag momentan nicht unbedingt oberste Priorität besitzen. Zudem lautet die kategorische Ansage aus dem Willy-Brandt-Haus, dass man sich in die Angelegenheiten von Landesverbänden nicht einmische. Natürlich hätten es manche gerne gesehen, wenn man das Wagnis mit Linken und Grünen versucht hätte. "Das wäre ein weiterer Schritt gewesen, solche Bündnisse zu entdämonisieren", sagt der SPD-Chef eines westdeutschen Flächenlandes. "Wenn die Linke uns als Juniorpartner den Posten des Ministerpräsidenten überlässt, muss man eigentlich zugreifen."

SPD sorgt sich wegen der Großen Koalition

Die Angst in der Thüringer SPD: Zwar wird die CDU durch den Abgang von Ministerpräsident und Parteichef Dieter Althaus nicht nur ihren bisherigen Kopf, sondern auch einen großen Teil des alten Machtapparats und ideologischer Festlegungen los. Aber für viele Sozialdemokraten bleibt die CDU, die den Freistaat seit der Wende regiert, der Gegner Nummer eins. Die Erfahrungen aus der Großen Koalition im Bund dürften dieses Gefühl nicht mindern, genau wie die Erinnerung an das letzte Bündnis mit der Thüringer Union: Nach vier schwarz-roten Jahren landete die SPD 1999 bei 18 Prozent - die CDU bei 51.

Dennoch kommt offene Kritik an Landeschef Matschie nur von denen, die ihn schon immer für den Falschen an der Spitze hielten. Beispielsweise von Richard Dewes, Vorgänger von Matschie als Parteivorsitzender. Dieser sei ein "Scharlatan", sagt Dewes, Matschie habe Partei wie Öffentlichkeit getäuscht und nie ernsthaft auf ein Bündnis mit Linken und Grünen hingearbeitet. Dewes hielt schon die Festlegung des SPD-Chefs vor der Landtagswahl für falsch, die Wahl eines Linke-Ministerpräsidenten auszuschließen. Deshalb kam es zu einer Urwahl zwischen den beiden um den Parteivorsitz - weil Matschie daraus als klarer Sieger hervorging, war dies seitdem eine Bedingung für ein Bündnis mit der Linken.


Warum die Sondierung von Rot-Rot-Grün scheiterte


Richtig ist: Ohne diesen Ausschluss würde Rot-Rot-Grün inzwischen wohl schon in Thüringen regieren. Denn an der Führungsfrage scheiterte am Ende der Versuch eines linken Bündnisses. Obwohl die SPD am 30. August neun Prozent hinter der Linken landete, blieben die Sozialdemokraten bei ihrem Ministerpräsidenten-Junktim. Zwar gab Matschie am Montagabend seinen Anspruch auf die Staatskanzlei auf, aber zu weiteren Zugeständnissen war seine Partei nicht bereit. Er sagte SPIEGEL ONLINE: "Dem einfachen Satz 'Die SPD stellt den Ministerpräsidenten' wollten die Linken nicht zustimmen."

Vor allem aber, darin sind sich Vertreter von SPD und Linken einig, habe man kein Vertrauensverhältnis zueinander aufbauen können. Seine Partei sei "Teil einer billigen Schmierenkomödie" geworden, findet Bodo Ramelow. Die Erfahrung von Matthias Machnig, Mitglied der SPD-Sondierungsgruppe: "Wer wirklich ein Ergebnis will, geht nicht über die Medien. Wer das tut, möchte seinen Partner treiben, vorführen und ihn nicht gewinnen." Das hätten die Linke und insbesondere Ramelow nie verstanden, sagte er SPIEGEL ONLINE. Von mangelndem Vertrauen war auch bei den Grünen seit Beginn der Sondierungen die Rede, noch am Mittwochabend hatte sich Parteichefin Astrid Rothe-Beinlich deshalb "skeptisch" zu möglichen Koalitionsverhandlungen geäußert. Das Spiel der Grünen war jedoch ebenso wenig von besonderer Fairness: Ein Teil der Sondierer glaubte offenbar ernsthaft an eine Chance für ein Bündnis mit SPD und Linke, der andere wollte die Grünen nur in eine gute taktische Position bringen. Was man jetzt zweifellos geschafft hat. Kaum einer wird nun behaupten, die Linkskoalition sei an den Grünen gescheitert.

Selbstkritik auf beiden Seiten

Nach außen sind wie immer die anderen schuld - intern gibt es aber hier und da Selbstkritik. So heißt es etwa in dem Papier eines an der Sondierung beteiligten Linke-Politikers, "das Beharren auf bundespolitische Differenzen" sei zunächst nicht besonders hilfreich gewesen. Aus der SPD wiederum ist zu hören, man habe sich zu breitbrüstig aufgeführt. Was SPD-Verhandler Machnig natürlich nicht stehen lässt. "Das ist eine glatte Legende", sagt er.

Was die SPD-Spitze genauso wenig hören will, ist der Vorwurf des "Sich-Kaufen-Lassens". Klar scheint nach der letzten Sondierungsrunde mit der CDU: Jede Seite wird vier Ministerien bekommen, an die SPD sollen Wirtschaft/Arbeit, Bildung/Wissenschaft, Soziales und Justiz gehen, die CDU besetzt dazu das Ministerpräsidentenamt mit ihrer designierten Parteichefin Christine Lieberknecht. Das wäre für die 18-Prozent-Partei SPD kein schlechtes Ergebnis. Zudem gibt es offenbar die Ansage aus der CDU, dass einige hundert Posten im Verwaltungsbereich des Landes neu besetzt werden könnten - mit Sozialdemokraten. Und auch inhaltlich ist man der SPD wohl sehr weit entgegengekommen: Selbst gemeinsames Lernen bis zur achten Klasse - für die Thüringer CDU bisher undenkbar - soll in den Koalitionsvertrag. "Wir haben intensiv mit der CDU verhandelt", sagt SPD-Chef Matschie, der wohl Bildungs- und Wissenschaftsminister wird. Parteifreund Machnig, offenbar künftig für Wirtschaft und Arbeit zuständig, sagt: "Das entscheidende Kriterium ist: Trägt das?"

Landesparteitagsmehrheit noch nicht sicher

Ein nicht ganz unwichtiges Kriterium dürfte allerdings auch sein, ob die SPD die Bündnispläne der Parteiführung trägt. "Da ist die Mehrheit noch lange nicht sicher", ist immer wieder von Sozialdemokraten zu hören. Bis zu dem Landesparteitag, der in einigen Wochen einem schwarz-roten Koalitionsvertrag zustimmen muss, wird Matschie noch eine Menge Überzeugungsarbeit leisten müssen.

Vielleicht sollte er den SPD-Linken Karl Lauterbach dabei als PR-Helfer einladen. Denn Lauterbach feiert Matschie geradezu für seine Standhaftigkeit. "Die SPD würde einen großen Fehler machen, wenn sie unter allen Bedingungen und kompromisslos der Linken anbiedern würde, nur weil wir die Bundestagswahl verloren haben", sagt der Bundestagsabgeordnete. "Wir müssen gerade in der Lage, in der wir uns jetzt befinden, unsere Würde bewahren." Matschies Schritt sei auch deshalb richtig, weil er vor der Wahl gesagt habe, nicht als Juniorpartner in ein Linksbündnis zu gehen: "Illoyalität gegenüber dem Wähler ist schließlich eine besondere Form der Dummheit", sagte Lauterbach SPIEGEL ONLINE.

Aber dass Matschie und sein Landesvorstand gegenüber der eigenen Partei nicht illoyal waren - dafür steht für viele Thüringer Sozialdemokraten der Beweis noch aus.
Von Florian Gathmann und Veit Medick