Karl Nolle, MdL

Süddeutsche Zeitung, 10.11.2009

Verantwortung der Arbeitgeber: Die globale Billiglohn-Olympiade

Ein Gastbeitrag von Norbert Blüm
 
Die Arbeitgeber machen sich vom Acker des Sozialstaats, doch sie werden dafür einen hohen Preis zahlen müssen.

Einst zogen Hans-Olaf Henkel und die Seinen mit großen Worten aus, die Tarifautonomie zu beerdigen. "Tarifkartell" nannte der damalige BDI-Präsident die Tarifpartnerschaft. Und einer seiner Nachfolger, Michael Rogowski, wünschte sich in einem Anfall von cowboyhafter Wild-West-Romantik, die Tarifverträge und die Mitbestimmung sollten im Lagerfeuer brennen.

Andere Arbeitgeber brüsteten sich damit, dass sie mit billigen Leiharbeitern geltende Tarifverträge unterlaufen können.

Kein Dortmunder fliegt nach Mumbai zum Frisör

Die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände forcierte sogar einen Tarifvertrag mit den Christlichen Gewerkschaften, in dem Hungerlöhne vereinbart wurden.

Dabei wusste die BDA sehr wohl, dass die Christlichen Gewerkschaften so wenig mit einer Gewerkschaft vergleichbar sind wie die Potemkinschen Dörfer mit einer Festung.

Es wurde in den neunziger Jahren chic, aus den Arbeitgeberverbänden auszutreten und die Sozialpartnerschaft als Klimbim aus vergangenen Zeiten lächerlich zu machen. Doch die Konsequenzen des neoliberalen Rausches folgen wie der Kater der Trunkenheit.

Ohne allgemein verbindliche Tarifverträge geraten Löhne leicht in den freien Fall. Und der Wettbewerb läuft Gefahr, zu einer Konkurrenz um die billigsten Löhne zu verkümmern.

Das westdeutsche Wirtschaftswunder war jedoch nicht das Ergebnis einer Billiglohn-Konkurrenz. Der Wettbewerb war ein Qualitätswettbewerb, in dem Innovation, Service und Solidität eine große Rolle spielten - "Made in Germany" hat einen guten Klang, das ist bis heute die Stärke der deutschen Wirtschaft.

Wenn wir uns auf die globale Billiglohn-Olympiade einlassen, werden wir auch die Kinderarbeit wieder einführen müssen, denn die ist am billigsten.

Im Übrigen ist der Hinweis auf Globalisierung in manchen Fällen auch nur eine billige Ausrede für Niedriglöhne. Wenn in Dortmund Haare für 1,50 Euro Stundenlohn geschnitten werden, dann nicht aus globalen Wettbewerbszwängen.

Kein Dortmunder fliegt nach Prag, Mogadischu oder Mumbai, weil dort das Haareschneiden billiger ist. Und Fenster werden zwecks Reinigung auch nicht nach China geflogen.

Immer weiter abwärts

Die Lohnspirale dreht sich seit einigen Jahren nach unten. Wenn der Staat hier nicht bald Stoppschilder setzt, werden auch noch die anständigen Arbeitgeber durch Dumpinglöhne in den Ruin getrieben oder gezwungen, ebenfalls niedrige Löhne zu zahlen.

Es kann auch kein Staat sehenden Auges eine Lohnpolitik hinnehmen, bei der er mit Sozialhilfe einspringen muss, um die Löhne auf das Existenzminimum aufzustocken. Dies würde Tür und Tor für die Ausbeutung des Staates durch die Arbeitgeber öffnen.

Ein Unternehmer könnte dann mit gutem Gewissen Hungerlöhne zahlen, denn er weiß: Den Hunger stillt zur Not der Staat. Deshalb wird paradoxerweise auf die Zerstörung der Tarifautonomie der staatliche Mindestlohn stehen. Er verhindert das Schlimmste.

Er ist Notwehr für den ausgefallenen Tarifschutz. Und die auszogen, der Freiheit des wirtschaftlichen Handelns eine Gasse zu schlagen, kehren als Verstaatlicher heim. Sie wollten mehr Markt erstreiten - und haben mehr Staat bewirkt.

Sichtlich zufrieden kommentierte der BDA-Präsident Dieter Hundt den Koalitionsvertrag der neuen Regierung aus Union und FDP. Er hat Grund zur Zufriedenheit. Der Arbeitgeberausstieg aus der paritätischen Finanzierung der Sozialversicherung wird fortgesetzt.

Schon in der großen Koalition stiegen die Arbeitgeber zuerst aus der Finanzierung der Riester-Rente aus, dann mussten die Arbeitnehmer bei der Krankenversicherung 0,9 Prozentpunkte Solobeitrag übernehmen, den bislang die Arbeitgeber gezahlt hatten. Es waren die Vorboten des Arbeitgeber-Abschieds von der gemeinsamen Sozialversicherung.

Jetzt kommt der nächste Schritt: Die geplante Kopfpauschale in der Krankenversicherung soll exklusiv von den Arbeitnehmern bezahlt, der Arbeitgeberbeitrag eingefroren werden. Kostensteigerungen in der Krankenversicherung zahlen also fortan nur die Arbeitnehmer. Die Arbeitgeber sind aus dem Schneider. Schleichend machen sie sich vom Acker des Sozialstaates.

Was sie nicht merken: Sie werden einen Preis dafür zahlen. Zukünftig geht jede Beitragserhöhung der Krankenversicherung voll in die Lohnverhandlungen ein. Bisher galt bei Tarifverhandlungen das ungeschriebene Gesetz, die Beitragssteigerungen in der Sozialversicherung nicht in die Rechnung einzubeziehen, weil diese von Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam bezahlt wurden.

Das ändert sich nun.

Die einseitigen Arbeitnehmerbeiträge werden Teil der allgemeinen Preissteigerung, und die ist neben der Produktivitätsentwicklung die wichtigste Begründung aller Lohnforderungen. Die Ersparnis durch eingefrorene Beiträge kommt die Arbeitgeber noch teuer zu stehen. Kurzsichtigkeit kostet auf lange Sicht viel Geld.


Die Katze aus dem Sack gelassen

Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Hans Heinrich Driftmann, hat jetzt die Katze ganz aus dem Sack gelassen. Er will die Arbeitgeberbeiträge völlig in allen Sozialversicherungen streichen und durch Steuergelder ersetzen.

Es geht aber nicht nur ums Geld. Der Arbeitgeberbeitrag ist nicht nur Kostenbestandteil, sondern hat eine hohe symbolische Funktion: Der Sozialstaat funktioniert durch die Partnerschaft von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Die gemeinsame Finanzierung der Sozialversicherung ist das Fundament der gemeinsamen Verantwortung der Sozialpartner.

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Tarifverträge und Selbstverwaltung waren die Schule der Sozialpartnerschaft. Hier lernten sich die Kontrahenten kennen und schätzen. Dies hat unserer Gesellschaft den Klassenkampf erspart. Soll das jetzt aufgegeben werden? Konsequenterweise müssten die Arbeitgeberverbände jetzt auch die Selbstverwaltung der Sozialversicherungen verlassen, wo bislang die Sozialpartner gemeinsam entscheiden.

Die Privatisierer sind die fünfte Kolonne der Verstaatlicher. Es fehlt den deutschen Arbeitgebern die strategische Begabung, die einst so eindrucksvolle Interessenvertreter wie Hanns Martin Schleyer, Hans-Günther Sohl oder Gerhard Erdmann demonstrierten. Es dominieren die Taktiker. Wie der Hund beim Wurstschnappen kennen sie nur den Reflex: Beim Hund ist's die Wurst, beim Arbeitgeber das schnelle Geld.

Es gibt Baumpfleger, die sägen den Ast ab, auf dem sie sitzen. Und wundern sich anschließend im Krankenhaus, dass sie vom Baum gefallen sind.