Karl Nolle, MdL

Deutschlandfunk, 14.11.2009

Neue Spitze, Blick nach vorn? Der SPD-Bundesparteitag in Dresden

Kommentar von Frank Capellan, Deutschlandfunk
 
Genossen hört die Signale, sonst wird es das letzte Gefecht! Die Botschaft scheint angekommen bei den Sozialdemokraten. Sie haben noch eine Chance, 50 Jahre nach Godesberg Volkspartei zu bleiben.

Sie haben noch einen Versuch, den Weg in den Untergang zu stoppen. Der Schock des 23-Prozent-Debakels sitzt tief, so tief, dass allen klar geworden ist. Eines können sie jetzt nicht mehr gebrauchen: heftigen Streit untereinander. Die Flügel dürfen nicht länger gegeneinander schlagen, seit Helmut Schmidt haben sie sich das schon Hunderte Mal geschworen.

Versprochen, gebrochen aber war stets sozialdemokratisches Ritual. Die Linken haben bis heute nicht verstanden, dass die Zeit der Arbeiterpartei ein für alle Mal vorbei ist, sie haben sich nach Kräften gegen die Reformen Gerhard Schröders gestemmt, von "Fördern und Fordern" wollten sie nichts wissen, die Konservativen dagegen verfielen des Kanzlers neuer Mitte so sehr, dass sie sich treiben ließen, sogar von denen, die die Sozialdemokraten heute so gern als die hässlichen Marktradikalen beschimpfen.

Selbst Kündigungsschutz und Mitbestimmung stellten sie infrage, selbst Hedge-Fonds und Private Equity hielten sie für unverzichtbar. Wir haben Münteferings Heuschrecken erst das Fliegen gelehrt, klagte ein Delegierter in Dresden.

Tatsächlich verloren die Sozialdemokraten spätestens mit der Finanzkrise ihr Alleinstellungsmerkmal: Partei des sozialen Ausgleichs zu sein. Beide Flügel, Linke und Seeheimer, bekämpften sich jahrelang bis aufs Messer, meist hinter den Kulissen, viel zu häufig aber auch öffentlich. Der Riss in der SPD wurde immer größer, nur die Regierungsverantwortung zwang noch zur Raison. Und jetzt? Ausgerechnet Sigmar Gabriel soll die zerstrittene Partei nun einen, ausgerechnet der Mann, der immer wieder polarisierte. "Soweit musste es mit der SPD kommen, dass ich Parteivorsitzender werden soll", bemerkte er mit gesunder Selbstironie nach der Bundestagswahl.

Gabriel ein Alphatier aus dem Hause Schröder, das sich nun ausgerechnet Andrea Nahles an seine Seite holt, kann das gut gehen? Ein 50-Jähriger und eine 39-Jährige, die beide nur so vor Ehrgeiz brennen, die beide keinen Hehl daraus machen, dass sie noch etwas werden wollen, die sich bis vor ein paar Wochen nichts zu sagen hatten? Das Duo Nahles/Gabriel steht symbolisch für die Zerrissenheit der Partei - Gabriel trug einst die Politik Schröders mit, erst als dem damaligen Ministerpräsidenten von Niedersachsen der Wind ins Gesicht blies, drehte er das Fähnchen nach demselben, zu spät, um noch dem Vorwurf des Populismus zu entgehen. Nahles dagegen machte gegen Hartz IV und die Rente mit 67 mobil, war lange Zeit die schärfste Kritikerin der eigenen Regierung. Immer wieder ist es ihr gelungen, ihren linken Flügel zum Gegenschlag zu bringen. Sie sah sich von einem Franz Müntefering provoziert, weil er selbstherrlich seinen politischen Liebling zum Generalsekretär machen wollte. So groß war das gegenseitige Misstrauen, dass sie ihn - damals noch eine weitgehend unumstrittene Ikone der SPD - in den Rücktritt vom Parteivorsitz trieb. 2007 verhinderte sie den Einzug Sigmar Gabriels ins Präsidium, damals war sie es, die eine personelle Vorliebe umsetzte, indem sie ihren linken Parteifreund Ralf Stegner in die SPD-Führung brachte.

Nahles repräsentiert das Flügeldenken wie kaum eine andere, sie und Gabriel stehen für eine Hinterzimmerpolitik, die sie nun so lautstark beklagen. Der Niedersachse griff noch am Wahlsonntag nach Partei- und Fraktionsvorsitz, Müntefering verhinderte, dass er beides bekam. Doch die Selbstnominierung von Chef, Stellvertretern und Generalsekretärin fädelte er dann gekonnt ein. Müntefering widerfuhr durch Gabriel das, was der Sauerländer ein Jahr zuvor am Schwielowsee mit Kurt Beck praktizierte. Politischer Meuchelmord im Hinterzimmer. Mit der nun so oft propagierten Basisdemokratie hatte das alles nichts zu tun.

Skepsis ist deshalb angebracht, ob die beiden Neuen nun alles anders machen werden - mit Nahles und Gabriel wächst nicht zusammen, was zusammengehört, es ist keine Liebesheirat, sondern eine Vernunftehe. Immerhin - Seit an Seit in einer Vernunftehe, das ist schon ein Fortschritt. Beide wissen, dass sie zum Erfolg verdammt sind. Gabriel wird die Wandlung vom Saulus zum Paulus abgenommen, er ist ein begnadeter Rhetoriker, seine Rede hat Zweifler umgestimmt. Selbstkritisch und selbstbewusst zugleich ist er aufgetreten. Hat zu Optimismus und Fröhlichkeit aufgerufen, dazu, sich die Deutungshoheit in der Wirtschaftspolitik nicht vorschreiben zu lassen. Er hat die einbezogen, mit denen man bitter umgesprungen ist - Kurt Beck allen voran. Gabriel hat dazu ermahnt, Solidarität vorzuleben. Dass dies nicht gelang, erklärt ein wenig den Widerspruch, dass ausgerechnet die marktliberale FDP am meisten von der Finanzkrise profitiert.

Andrea Nahles wird noch nicht als Person des Neuanfangs betrachtet - nur 69 Prozent der Delegierten hat sie hinter sich, da gilt es, noch viel Vertrauen zu gewinnen. Eines aber darf man ihr abnehmen: Auch sie hat die Signale gehört - die vor dem allerletzten Gefecht!