Karl Nolle, MdL

spiegel-online.de, 18.01.2010

SPD in der Krise - sanfte Partei Deutschlands

Ein Kommentar von Veit Medick
 
Sigmar Gabriel verordnet der SPD eine Grunderneuerung - doch harte Opposition scheut die Partei bislang. Zu groß ist die Furcht, weitere Wähler zu verschrecken. So zaghaft kann der Neustart nicht gelingen.

Thesen sind immer gut. Sie können aufrütteln, Orientierung geben, Emotionen wecken. Insofern ist es nur folgerichtig, dass die SPD-Führung auf ihrer zweitägigen Klausur neben einem sogenannten "Arbeitsprogramm" auch ein paar Leitsätze beschlossen hat, zwölf an der Zahl. Immerhin geht es für die älteste Partei Deutschlands nach dem Wahldesaster vom September ja darum, zu retten, was zu retten ist.

Entsprechend dramatisch klingen die Leitsätze, die Sigmar Gabriel und Andrea Nahles den Genossen aufgeschrieben haben. "Der Status der SPD als Volkspartei ist gefährdet", beklagen sie etwa. Das Vertrauen in die Partei sei im Laufe der Jahre zerbröselt. Ohne Reform drohe der Untergang. Gerechter, offener und pluralistischer - so stellen sich Gabriel und Nahles das künftige Antlitz der Sozialdemokratie vor. Das klingt nach einem schonungslosen Bruch, und das ist es auch - jedenfalls was die Parteistruktur angeht.

Die wichtigste These ist eine, die völlig selbstverständlich klingt: Die SPD ist in der Opposition - ein Zustand, vor dem sie seit Jahren Angst hat. Dass die Parteispitze die Genossen jetzt an die neue Rolle gewöhnen will, ist ehrenvoll. Leider hat sie selbst noch große Probleme damit.

BPD statt SPD

Zwar poltert der Parteichef derzeit wo er nur kann, das allerdings ist nur ein Randaspekt der Oppositionsarbeit. Wichtiger ist es, sich auch inhaltlich unterscheidbar zu machen, klare Konzepte vorzulegen und Alternativen aufzuzeigen, die die Bezeichnung verdient haben.

Das alles tut die SPD nicht, jedenfalls noch nicht. In "Zukunftswerkstätten" will sie ihre politischen Linien entwickeln. Man kann nur hoffen, dass die Beteiligten forsch zu Werke gehen.

Denn so wie jetzt kann es nicht bleiben. Bisher vertritt die Partei noch immer Dinge, die so oder so ähnlich auch die Kanzlerin mittragen würde. Sie tut schlicht so, als sei sie noch immer in der Regierung. Da kann man den Apparat noch so weit öffnen wollen - es wird niemand kommen.

Statt Hartz IV grundlegend überarbeiten zu wollen, plädiert die SPD für vorsichtige Korrekturen. Statt den raschen Abzug aus Afghanistan zu forcieren, spricht sie sich lediglich gegen eine Erhöhung der Kampftruppen aus. Wenn jemand aus ihren Reihen den Solidarpakt in Frage stellt, um den westdeutschen Kommunen beizuspringen, nehmen die Genossen schleunigst die neuen Länder in Schutz. Und die Rente mit 67? Ein ein bisschen aus dem Fokus gerutscht. Eigentlich müsste die SPD BPD heißen. Sie ist nämlich die bravste Partei Deutschlands.

Und das ist ein großes Problem.

Derzeit agiert die SPD derart konturlos, dass sie sich nicht wundern muss, wenn ihr noch mehr Wählerinnen und Wähler abhanden kommen. Sie tut das, weil sie überall um eine Glaubwürdigkeit fürchtet, die längst nicht mehr vorhanden ist.

Sprache und Ideen müssen verständlicher und überraschender werden

Gut illustrieren lässt sich das am Beispiel von Hartz IV. Selbstverständlich ist der Vorstoß von Nordrhein-Westfalens CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, das Arbeitslosengeld II einer Grundrevision zu unterziehen und die Hinzuverdienstmöglichkeiten zu erhöhen, ein arg durchsichtiges Manöver im Landtagswahlkampf. Aber wenn man so umständlich dagegen hält, wie die Sozialdemokraten das derzeit tun, hat er leichtes Spiel.

Statt penetrant zu fragen, wo denn bitte die konkrete Bundesratsinitiative des selbst ernannten Arbeiterführers bleibe, verzettelt sich die Parteispitze mit dem Argument, mit höheren Zuverdiensten subventioniere der Staat Hungerlöhne, wenn er denn nicht einen flächendeckenden Mindestlohn einführe. Das mag richtig sein. Aber bis das jemand verstanden hat, ist die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gelaufen - und Rüttgers wieder in der Staatskanzlei.

Es müssen ja nicht gleich Ideen à la Rüttgers oder Roland Koch sein, der Hartz-IV-Empfänger zur Arbeit zwingen will. Vor solchem Brachial-Populismus hütet sich die SPD zu Recht. Aber wenn man die zwölf Thesen richtig liest und sich die Partei den Menschen wieder stärker öffnen will, müssen Sprache und Ideen wieder klarer werden. Verständlicher. Kreativer. Und auch mal überraschend.

Gelegenheiten dafür gibt es. Da muss man nicht auf Konzepte verweisen, die erst noch ausgearbeitet werden müssen. Gabriel oder Nahles könnten sich einfach mal in ein Theater im Ruhrgebiet stellen, dessen Existenz aufgrund der Steuergeschenke von Schwarz-Gelb bedroht ist. Sie könnten überlegen, die Riester-Förderung auf Geringverdiener zu beschränken, wie das manch Wirtschaftsweiser tut. Und sie könnten dafür plädieren, die Hartz-IV-Sätze pauschal zu erhöhen und Wohlhabendere stärker zu besteuern. Man muss das alles nicht gut finden. Aber so wäre die SPD immerhin mal wieder erkennbar.

Ansonsten geht sie im tagespolitischen Klein-Klein unter.