Karl Nolle, MdL

spiegel-online.de, 25.01.2010

Nach Lafontaine-Rückzug - Oskars wahrer Erbe

Ein Kommentar von Roland Nelles
 
Noch ziert sich Sigmar Gabriel, doch der Abgang Oskar Lafontaines ist für den SPD-Chef eine Steilvorlage: Er kann die Lücke füllen, die der Linke-Populist von der Saar hinterlässt. Selbst eine Fusion von Linkspartei und Sozialdemokratie ist nun möglich - unter Gabriels Führung.

In der SPD gab es bislang drei klare Grundannahmen. Nummer eins lautete: "Die Person" Oskar Lafontaine macht eine Zusammenarbeit mit der Linken auf Bundesebene unmöglich. Annahme Nummer zwei hieß: Oskar Lafontaines Aufstieg bei der Linken hat den Aussöhnungsprozess von westdeutschen Sozialdemokraten und ostdeutschen Postkommunisten um zehn Jahre zurückgeworfen. Und Annahme Nummer drei ging so: Ohne Oskar Lafontaine wäre die Linke im Westen kaum existent.

So weit, so wahr.

Nun hat eine neue Zeitrechnung begonnen. Seit dem Wochenende muss die SPD anders denken. Die Grundannahmen stimmen nicht mehr. Oskar Lafontaines Abgang verschiebt nicht nur die Machttektonik in der Linken, er verändert auch die strategische Ausgangslage der SPD grundlegend. Ja, die neue und bunte bundesdeutsche Fünf-Parteien-Welt wird noch einmal gehörig durcheinandergewirbelt.

Lafontaines Rückzug ist für die Linkspartei ein Drama und für die SPD ein Segen. SPD-Chef Sigmar Gabriel bemüht sich, nicht allzu sehr zu triumphieren. Dabei weiß er genau: Lafontaines wahrer Erbe ist er.

In der modernen Mediendemokratie werden Parteien über Namen, über starke Figuren "verkauft". Lafontaine war eine Marke, er setzte Themen, er gab den linken Sound in der Republik vor. Dieses Talent hat Gabriel auch. Bei SPD, Grünen und der Linken gibt es niemanden, der mehr Freude am rot gefärbten Populismus, an der einfachen Formel hat als der SPD-Chef. Gregor Gysi hat seine beste Zeit hinter sich. Klaus Ernst von der Linken fehlt die politische Durchschlagskraft, ebenso wie den anderen potentiellen Lafontaine-Nachfolgern.

Opposition pur

Das ist schön für Gabriel. So kann er der neue Meinungsführer in diesem Spektrum werden. Er übt schon eifrig. Er verändert die Afghanistan-Politik der SPD und macht die Partei zum neuen Sprachrohr für einen baldigen Truppenabzug. Er geißelt Union und FDP als Lobbyistenparteien, er giftet gegen Merkels Steuerpläne.

Man könnte darauf wetten: Es wird nicht mehr lange dauern, dann wird sich die SPD unter Gabriels Führung vollständig von ihrem pragmatischen Politikstil aus Regierungszeiten verabschieden. Opposition pur wird das neue Motto lauten. So kann Gabriel die Linke plattmachen. Vor allem im Westen.

Dass er genau dies vorhat, ist klar zu erkennen. In Nordrhein-Westfalen, wo im Mai ein neuer Landtag gewählt wird, macht Gabriel bereits Wahlkampf gegen die Linke. Mit linken Sprüchen will er in der einstigen Herzkammer seiner Partei all jene wieder einsammeln, die aus Frust und Wut über die Agendapolitik der SPD Lafontaine hinterherliefen. Er will den linken Rand seiner Partei wieder öffnen und dann abdichten, endgültig. Mit Spekulationen über ein rot-rot-grünes Bündnis in Düsseldorf hält er sich gar nicht groß auf. Warum auch? Eine Koalition kann er mit den Linken am Ende immer noch eingehen. So wird seine Strategie auch bei der nächsten Bundestagswahl aussehen.

Die Linke als Anhängsel der SPD

Für die Linke sind das keine guten Nachrichten. Sie droht im Bund wie in den Ländern ihre Strahlkraft zu verlieren. Im besten Fall wird sie zum Anhängsel der SPD, im schlechtesten Fall geht sie - zumindest im Westen - ganz unter. Gabriel kann dann irgendwann die Reste eingemeinden. Selbst die Ost-Linke wäre eines nicht allzu fernen Tages in die SPD integrierbar, als eine Art linke CSU in der SPD. Planspiele für ein solches Modell gibt es in der SPD bereits.

Dann hätte Lafontaine in seinem Leben zwei Parteien in die politische Insolvenz geführt. Ein einsamer Rekord.

Und noch jemandem dürfte der Abgang des Linken-Lenkers Sorgen bereiten: Kanzlerin Angela Merkel. Bislang konnte sie mit ihrer schwarz-gelben Regierung vor sich hinmurksen. Die Spaltung ihrer Gegner auf der Linken schien einigermaßen sicher. So war wirkliche Konkurrenz nicht in Sicht. Das ändert sich nun.

Allerdings gibt es in der schönen neuen SPD-Welt auch ein Risiko für die Genossen. Und das heißt: Gabriel. Er kann strategisch denken und handeln. Aber er kann auch überdrehen. Zu viel linkes Trallalla kann ihm in der Mitte gehörig Stimmen kosten. Dann wäre nichts gewonnen.

Es ist eben wie im richtigen Leben: Auch politische Erben können alles verzocken.