Karl Nolle, MdL

Hans Eggert "Die Wettiner Ohne Thron und Krone", 11.02.2010

Ein Epilog in die Zukunft "Die Wettiner und Sachsen"

"Königliche" Fundsache zu den drei Ministerpräsidenten, Biedenkopf, Milbradt und Tillich
 
Auszug aus: Christoph Jestaedt, Die Wettiner und Sachsen
in Hans Eggert, Die Wettiner Ohne Thron und Krone,
Dresden 2009, Seite 185-187

„....Die nachrevolutionären Machthaber taten so, als könnte ein Entgegenkommen gegenüber den Wettinern eine ganz und gar unberechtigte Bevorzugung darstellen, obgleich eigentlich niemand so recht zu sagen wusste, wem gegenüber die Mitglieder des vormaligen sächsischen Königshauses ungleich behandelt werden könnten. Man versteckte sich vielmehr hinter solchen Gedanken, schob formale Gesichtspunkte vor und machte damit eine politische Lösung unmöglich, die nicht nur im Interesse der alten sächsischen Familie, sondern vor allem auch im Interesse des wiedererstandenen Freistaates Sachsen hätte sein können.

Das gute bayrische Vorbild des Umgangs mit dem bayrischen Königshaus der Wittelsbacher, das beispielgebend vor aller Augen stand, wurde nicht zur Kenntnis genommen. Dieses Vorgehen sollte offenbar die vermeintlich eigenen Positionen, die eigene Machtstellung, nicht einer Gefahr auszusetzen, die in Wirklichkeit in einer Demokratie gar keine Gefahr darstellt. Schließlich ging es nicht um eine Restauration der Monarchie, sondern um die Ermöglichung einer Existenz des Hauses Wettin in der sächsischen Zivilgesellschaft.
 
Aber das war in der „Biedenkopfzeit“ wohl schon zuviel, denn der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf fürchtete offenbar eine Konkurrenz für seine alleinbeherrschende Machtstellung, die für ihn umso schlimmer war, als er sie überhaupt nicht einzuschätzen wusste. Daher hielt man die Wettiner auf Distanz und beschäftigte sie mit unendlichen Streitereien über Vermögensansprüche, die ohne Weiteres mit einem großzügigen Federstrich zu regeln gewesen wären und die im Übrigen den Freistaat Sachsen wahrscheinlich auch materiell wesentlich weniger gekostet hätte, als dies am Ende bei dem Kampf um jedes einzelne Mokkatässchen herauskommen wird.

Mancher mag diese Vorgehensweise für einen Erfolg gehalten haben, weil man den bösen Feudalherren wieder einmal ein Schnippchen geschlagen und das zusammengeklaute Volkseigentum vor Rückgabe bewahrt hatte und diese Adeligen ohnehin ein höchst überflüssiges Pack darstellen – die Sprache wird hier bewusst prekär oder, wie manche meinen werden, zutiefst „volksnah“.

Alle diese Beweggründe waren aus den Jahrzehnten der Herrschaft der Nationalsozialisten und der Einheitssozialisten bereits bekannt, nicht anders als ihre fatalen Auswirkungen für Sachsens Geschichte und Identität. Von daher hätte nichts näher gelegen, als 1989/90 wirklich an die besseren Zeiten der sächsischen Geschichte anzuknüpfen und den zweiten Freistaat Sachsen in die große sächsische Tradition und Identität zu stellen. Ein wenig wurde dies versucht, allerdings nur dort, wo „König Kurt“ nicht der Gefahr begegnete, gegenüber früheren Herrschern ins Hintertreffen zu geraten.

Schon die Bezeichnung „König Kurt“ zeigt die ambivalente und zwielichtige Anknüpfung an die Vergangenheit. Obwohl man mit den Wettinern nichts zu tun haben wollte, tat man doch so, als trete man in ihre Fußstapfen. Heute lässt sich feststellen: Die Fußstapfen waren bei weitem zu groß. Sieht man auf das zwanzigste Jahrhundert zurück, so ist es wohl Friedrich August III., der letzte König, der mit Abstand der volkstümlichste und auch bekannteste Herrscher und Lenker Sachsens war. Die vergessenen Regierungschefs aus der Weimarer Zeit, die Diener der beiden Diktaturen sind keine Konkurrenten für ihn. Aber auch Biedenkopf, der möglicherweise die Chance gehabt hätte, ein „Vater des Vaterlandes“ zu werden, nutzte diese Chance nur sehr unzureichend, weil seine Eitelkeit seiner möglichen Größe fühlbare Grenzen setzte. Hätte er demütig an die sächsische Identität angeknüpft und sich als ein Erneuerer Sachsens betätigt, der sehr wohl weiß, dass Sachsen auch vor Biedenkopf manch Großes, Beeindruckendes und Vorzeigbares zu bieten hat, dann würde man heute anders von ihm reden können.

Sein Nachfolger Georg Milbradt, ein Kurzzeitregierungschef, dessen Bild in der Geschichte von einer schlimmen Bankpleite und einer landschaftszerstörenden Brücke geprägt ist, wird ohnehin bald vergessen sein.

Mit Spannung wird man sehen, was der Übergang der tatsächlichen Macht in sächsische Hände für die Wettiner bedeuten wird. Bisher gibt es keine besonderen Anzeichen dafür, dass Ministerpräsident Tillich von dem Beispiel seiner beiden Vorgänger gelernt haben könnte. Auch er lässt 20 Jahre nach dem Ende des SED-Regimes den Streit über Gemälde oder Mokkatässchen in ein neues Jahrzehnt gehen und zeigt sich völlig unsensibel für die Überlegung, dass es fast unanständig ist, zwar die Hinterlassenschaft der Wettiner stolz vorzuzeigen, die Familie selbst aber nur mit Ignoranz und Arroganz zu behandeln. Auch er sollte sich vor Augen halten, dass nach den Erfahrungen der vorangegangenen Jahrzehnte derjenige, der diese sächsische Familie mit Missachtung straft, sich letztlich nur selbst schadet, weil er eine Selbstverstümmelung sächsischer Identität Vorschub leistet....“