Karl Nolle, MdL
welt-online.de, 12.02.2010
Gegen höhere Sätze
FDP-Chef Westerwelle legt bei Hartz-IV-Kritik nach
Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle sieht sich durch die heftigen Reaktionen auf seine Hartz-IV-Kritik bestätigt. Sie zeigten, dass er mit seinen Äußerungen den Finger in die Wunde gelegt habe, sagte er. DGB-Chef Michael Sommer hingegen warf dem Vizekanzler vor, er habe Millionen von Menschen diffamiert.
FDP-Chef Guido Westerwelle hat seine auf WELT ONLINE veröffentlichte Kritik an der Hartz-IV-Debatte (lesen Sie den Kommentar hier) bekräftigt. „Die Diskussion über das Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat sozialistische Züge. Von meiner Kommentierung dieser Debatte habe ich keine Silbe zurückzunehmen“, sagte Westerwelle der „Passauer Neuen Presse“. „Wenn man in Deutschland schon dafür angegriffen wird, dass derjenige, der arbeitet, mehr haben muss als derjenige, der nicht arbeitet, dann ist das geistiger Sozialismus“, erklärte er.
Kleine und mittlere Einkommen dürften nicht länger „die Melkkühe der Gesellschaft“ sein. „Wer arbeitet, darf nicht mehr und mehr zum Deppen der Nation gemacht werden“, sagte Westerwelle. Die wütenden Reaktionen aus dem linken Lager zeigten doch, dass er "den Finger in die Wunde gelegt habe".
Heftige Kritik an den Äußerungen des FDP-Chefs kam von der Opposition und Gewerkschaften. „Jetzt lässt Guido Westerwelle die Maske fallen“, sagte Verdi-Chef Frank Bsirske der „Passauer Neuen Presse“. Sozialleistungen seien keine Gnadengabe, sondern Verpflichtung eines demokratischen Rechtsstaats, der die Menschenwürde garantiert. Auch Grünen-Fraktionschefin Renate Künast kritisierte Westerwelle. „Wenn er in Zusammenhang mit Hartz IV von spätrömischer Dekadenz spricht, beleidigt Herr Westerwelle Millionen Langzeitarbeitslose in Deutschland“, sagte sie der Zeitung.
Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Michael Sommer, sagte den Dortmunder „Ruhr Nachrichten“: „Es ist für einen Vizekanzler unangemessen, Millionen von Hartz-IV-Beziehern so zu diffamieren.“Vielmehr wäre es seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die soziale Balance erhalten bleibe.
Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ist bei der Nachberechnung der Hartz-IV-Sätze für Kinder „entschlossen, neue Wege zu gehen“. Sie sagte der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“, das Bundesverfassungsgericht habe „sehr deutlich gesagt, dass wir bei Bildung auch Sachleistungen und Dienstleistungen anbieten können. Der Bund muss nicht direkt das Geld an die Familien geben, sondern kann ein Netzwerk der Hilfe aufbauen.“ Das Bundesverfassungsgericht hatte am Dienstag entschieden, dass die Bundesregierung die Regelsätze für alle gut 6,5 Millionen Hartz- IV- Bezieher neu berechnen muss.
Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) forderte unterschiedliche Sätze für Geschwisterkinder. „Wir sollten nun auch überlegen, ob für das zweite und dritte Kind der gleiche Bedarf besteht, wie für das erste Kind“, sagte sie der „Passauer Neuen Presse“. Denn es gebe Kosten, die nicht für jedes weitere Kind in vollem Umfang neu entstehen, wie Fläschchenwärmer, Kinderwagen oder Autositz. „Die Kleidung der größeren Kinder kann durchaus weitergegeben werden, so wie es in Familien üblich ist.“ Die Ministerin sprach sich zudem dafür aus, statt reiner Geldleistungen alle Bildungsangebote für Kinder umsonst anzubieten.
Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Johannes Vogel, wies die Forderungen von Linkspartei und Gewerkschaften nach einer milliardenschweren Erhöhung der „Hartz IV“-Sätze zurück. „Ich kann die Lügenmärchen nicht mehr hören“, sagte Vogel der „Rheinischen Post“. „Fakt ist doch, dass wir 'Hartz IV' nach dem Vorbild des liberalen Bürgergeldes fairer machen werden.“ Kaffeesatzleserei über die Höhe und die Kosten der Regelleistungen seien „unangebracht“, sagte Vogel. Entscheidend sei der tatsächliche Bedarf und keine „politisch opportunen Zahlen“.
Der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Gregor Gysi, sagte der „Berliner Zeitung" er sei sehr zufrieden, dass das Gericht auf die Teilhabe hingewiesen habe. „Das heißt eben auch“, so Gysi, „wie kommen die betroffenen Erwachsenen und Kinder an Bücher, an CDs, wie können sie ins Kino oder ins Theater gehen.“ Davon hänge auch das Bildungsniveau ab. „Und nicht davon, ob ein Kind mal kostenlos einen Zirkel bekommt, wie Frau von der Leyen das wohl vorschwebt.“