Karl Nolle, MdL
SPIEGEL Nr. 09/2010, Seite 18, 28.02.2010
L e i s t u n g s s t u f e 4 - (Treffender wäre der Titel: "MP Tillich der käufliche 'Sachse' aus Panschwitz-Kuckau", meint Karl Nolle, MdL)
Die "Affäre Rüttgers" erhellt einen bislang unterbelichteten Bereich der Parteienfinanzierung: das Sponsoring von Firmen und Verbänden. Dreist ließ sich auch der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich vermarkten.
Heinrich Wiedemann hat sich für diese Woche etwas Besonderes gegönnt. Dass seine Firma "W + M 2000" an der "Denkfabrik Sachsen" im neuen Terminal des Dresdner Flughafens als Sponsor teilnehmen würde, war für den Unternehmer schon lange ausgemacht. Die entscheidende Frage war nur, welche Leistungsstufe er sich und seiner Firma genehmigen solle.
Die sächsische CDU hatte Wiedemann und anderen Sponsoren in einem 17-seitigen Anschreiben verschiedene Präsentationspakete zur Auswahl gestellt: Das Angebot der Christdemokraten reichte von Leistungsstufe 1 für 500 Euro bis zur Leistungsstufe 4 für 8000 Euro.
Für 500 Euro, entnahm Wiedemann dem Angebot, würde seine Firma als Sponsor im Programmheft erwähnt werden. Für "Präsentationsstufe 2" (1900 Euro) hätte er zudem Werbematerial in die Tagungsunterlagen mischen dürfen und obendrein ein Anrecht auf ein Foto mit Ministerpräsident Stanislaw Tillich zur "freien Verwendung" gehabt. Ab 3900 Euro, so die Botschaft, sei der mächtigste Sachse dann zu deutlich mehr bereit: "Kurzes Gespräch mit dem Landesvorsitzenden Stanislaw Tillich", so stand es unter Punkt 12 der "Präsentationsstufe 3". Im Premiumangebot ist noch ein "separates Fachgespräch" mit - wem auch immer.
Wiedemann entschied sich schließlich für eines der teureren Pakete mit eigenem Stand und dem Gespräch mit dem Ministerpräsidenten. An diesem Montag wird seine Firma zudem in der Begrüßungsrede des Generalsekretärs erwähnt werden. Auch diese Leistung ist Teil des Pakets.
"Das Programm hat uns überzeugt", sagt Wiedemann. Für seine Firma ist die Nähe zur Macht besonders wertvoll. Wiedemann betreibt einen Ausbildungs-Fernsehkanal. Jährlich fließen mehrere hunderttausend Euro aus öffentlichen Kassen in das Unternehmen. Alle vier Jahre wird das lukrative Geschäft neu ausgeschrieben. Es schade ja nicht, sagt der Unternehmer, "im Land gute Kontakte zu haben".
Es vergeht kaum ein Tag, ohne dass neue Vorgänge bekanntwerden, die die deutsche Politik in den Verdacht rücken, käuflich zu sein. Die Geschichte der deutschen Parteienfinanzierung ist eine schmutzige. Sie ist reich an Affären und Skandalen. In den achtziger Jahren stand FDP-Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff vor Gericht, die politische "Landschaftspflege" des Flick-Managers Eberhard von Brauchitsch erschütterte das Vertrauen in die politische Klasse. Später installierte Helmut Kohl sein System der schwarzen Kassen, in denen er Millionenspenden an seine CDU versteckte. Erst kürzlich erhielt die Debatte über die Käuflichkeit von Politik neue Nahrung, als Spenden der Eigentümerfamilie der Mövenpick-Hotelkette an CSU und FDP in Höhe von insgesamt fast zwei Millionen Euro bekanntwurden. Beide hatten kurz nach Regierungsübernahme durchgesetzt, dass die Mehrwertsteuer auf Hotelübernachtungen deutlich gesenkt wurde. Die halbseidenen Sponsoring-Tricks von Rüttgers und Tillich gesellen sich nun nahtlos in diese unrühmliche Reihe.
Vor einer Woche hatte der SPIEGEL die Existenz von Werbebriefen enthüllt, in denen die nordrhein-westfälische CDU Sponsoren "Einzelgespräche mit dem Ministerpräsidenten" Jürgen Rüttgers in Aussicht stellte und unter anderem für diese Sonderleistung einen Aufpreis von 6000 Euro verlangte. Seither verspottet die Opposition den selbsternannten Arbeiterführer, wo es geht. Sie lästert über den "MP zum Mieten" oder "Rent a Rüttgers".
Sein Generalsekretär Hendrik Wüst musste als Konsequenz bereits zurücktreten. Nun richten sich die Rücktrittsforderungen gegen den Chef selbst. Dabei steht Rüttgers zehn Wochen vor seiner Landtagswahl, die Umfragen sind ohnehin mies, jetzt droht ihm der Verlust der Macht.
Die Schicksalsfrage ist nun, was Rüttgers selbst über die windigen Methoden seines Landesverbands gewusst hat. War er wirklich so ahnungslos, wie er dieser Tage beteuert?
Von NRW lernen heißt kassieren lernen, haben sich die Kollegen aus Sachsen offenbar gedacht. Ihre "Denkfabrik" ließen sich die Konservativen schon im vergangenen Jahr von Sponsoren finanzieren und scheuten sich dabei nicht, Gespräche mit ihrem größten Zugpferd, dem Ministerpräsidenten, für einen Aufpreis anzubieten.
Wie das ist, den "All-inclusive-Tillich" zu bestellen, weiß die Komsa AG in Hartmannsdorf zu berichten. Bei der Denkfabrik 2009 schaute der Ministerpräsident wie gebucht auf dem Stand des IT-Dienstleisters für ein kurzes "Drop-in" vorbei. Komsa-Manager und Tillich kamen ins Gespräch über Steuerpolitik und die Notwendigkeit eines zügigen Baus der Autobahn zwischen Chemnitz und Leipzig.
Der Sponsor müsse "eine Leistung bekommen", erklärt der sächsische CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer die Methode. Sonst wäre die finanzielle Unterstützung ja eine Parteispende, die auch als solche im Rechenschaftsbericht verbucht werden müsste. Die Leistung müsste zur Höhe der Zahlung zudem in einem "angemessenen Verhältnis stehen", deswegen gebe es auch die unterschiedlichen Präsentationspakete. "Wer 8000 Euro gibt, muss mehr bekommen als derjenige, der nur 500 Euro zahlt", erläutert Kretschmer das System. Es sei aber "eher eine Nebensache", dass bei den teuren Paketen auch ein kurzes Gespräch mit Tillich inbegriffen sei. "Wir verkaufen Standplätze, nicht den Ministerpräsidenten", sagt Kretschmer. Außerdem würden die Gespräche "in aller Öffentlichkeit" stattfinden, in der Regel, wenn Tillich die Stände besucht. Nur, das räumt auch Kretschmer ein, wissen die Denkfabrik-Teilnehmer nicht, dass die Unternehmen für die Stippvisite des Ministerpräsidenten gezahlt haben. Aber "wir veröffentlichen ja auch nicht, wie viel welches Unternehmen für den Stand bezahlt hat".
Die Affären Rüttgers und Tillich drehen den Scheinwerfer auf einen Bereich der Parteienfinanzierung, der bislang im Schatten lag. Im Bemühen, an das Geld der Wirtschaft zu gelangen, haben die Parteimanager in den vergangenen Jahren immer neue, immer aggressivere Methoden entwickelt. Sie erinnern dabei an Handlungsreisende, die unbedingt ihr Produkt an den Mann bringen wollen.
Juristisch betrachtet bewegen sie sich dabei an der Grenze zum Verbotenen. Für den Bonner Staatsrechtsprofessor Wolfgang Löwer ist ein Gespräch mit einem Regierungsmitglied "kein zulässiger Geschäftsgegenstand": "Es liegt auf der Hand, dass die Zeit eines Amtsträgers nicht käuflich ist." Auch der Berliner Staatsrechtslehrer Ulrich Battis hält den Verkauf von Gesprächen mit Amtsinhabern durch die Partei für unzulässig: "Das Regierungsamt darf nicht zu parteipolitischen Zwecken verwendet werden."
Das Eintreiben von Geldern über Veranstaltungssponsoring, Fundraising und Spendendinner ist der amerikanische Weg der Parteienfinanzierung. Die Bundesrepublik aber habe sich einst bewusst für eine überwiegend staatliche Parteienfinanzierung entschieden, gerade um den Einfluss privater Geldgeber zu reduzieren. Wenn man sich für ein solches System entscheide, müsse man sich auch daran halten, so Battis. "Man kann nicht beides haben."
So aggressiv und plump wie die CDU in Nordrhein-Westfalen und in Sachsen sind in den vergangenen Jahren nicht alle Parteien vorgegangen. Aber das Prinzip, Unternehmen nicht nur als Spender, sondern ebenfalls als Sponsoren zu gewinnen, ist inzwischen überall gängige Praxis.
Auch die SPD wirbt für ihre Veranstaltungen gern mit ihren Amtsträgern um Aussteller. So finden sich gleich oben auf dem Flyer, mit dem sie um Sponsoren für ihren Bundesparteitag Mitte November in Dresden warb, die Schlagworte "Spitzenpolitiker", "Ministerpräsidenten" und "Bundesminister".
Auch die Genossen boten den Firmen verschiedene Pakete an, die Variante "Ausstellung Pro" etwa für 350 Euro je Quadratmeter oder die Option "Ausstellung Spezial", in dem einige Zusatzleistungen enthalten sind: eine doppelseitige Anzeige im Ausstellerkatalog, das "Logo auf der Homepage" zur Veranstaltung.
"Wie das fließende Wasser das Meer erreicht, erreicht das Geld stets die Parteien", ist der Osnabrücker Staatsrechtler Jörn Ipsen überzeugt. So wirkte es etwas verzweifelt, als Bundestagspräsident Norbert Lammert in der vergangenen Woche die Parteien aufforderte, klare Regeln für das Sponsoring zu schaffen. Schon im Jahr 2001 habe eine unabhängige Kommission im Auftrag des Bundespräsidenten angeregt, nach gesetzlichen Wegen zu suchen, um Sponsoring-Praktiken einzuhegen. "Ich kann nicht finden, dass sich diese Empfehlung in der Zwischenzeit als überholt erwiesen hat", sagte Lammert.
Das Polit-Sponsoring bietet im Vergleich zu klassischen Parteispenden etliche Vorteile. Während Spenden über 10 000 Euro im Rechenschaftsbericht mit dem Namen des Spenders veröffentlicht werden müssen, verschwinden die Sponsoren in der Anonymität eines Buchhaltungspostens mit dem schönen Namen "Einnahmen aus Veranstaltungen, Vertrieb von Druckschriften und Veröffentlichungen und sonstiger mit Einnahmen verbundener Tätigkeit".
Ein beliebtes Instrument, Spenden zu umgehen, sind auch teure Anzeigen für Parteiorgane wie die SPD-Zeitung "Vorwärts" oder im "Hessen-Kurier", der Mitgliederzeitung der hessischen CDU, für die nach Darstellung eines Inserenten mehr als 8000 Euro fällig sind.
Für Firmen bietet das Sponsoring noch einen weiteren Vorteil. Anders als Spenden können sie Ausgaben für Annoncen, Standmieten oder Firmenpräsentationen bei Parteiveranstaltungen komplett von der Steuer absetzen.
So wundert es nicht, dass jener Posten in den Rechenschaftsberichten bei manchen Parteien wächst, vor allem bei CDU und FDP (siehe Grafik Seite 19). Während die Liberalen im Jahr 2003 nur 700 000 Euro aus Veranstaltungen und dem Vertrieb von Druckschriften einnahmen, waren es 2008 bereits 2,4 Millionen. Im selben Zeitraum stiegen diese Einnahmen bei der CDU von 10,9 Millionen auf 15,7 Millionen Euro. Spitzenreiter im unionsinternen Wettstreit war 2008 mit 5,2 Millionen Nordrhein-Westfalen, der Verband von Jürgen Rüttgers.
Der Ministerpräsident erkannte in der vergangenen Woche gleich, wie sehr ihm die jüngste Enthüllung im Wahlkampf schaden kann. Als er am Samstag von der SPIEGEL-Meldung erfuhr, rief er von seinem Haus bei Köln seinen Generalsekretär Hendrik Wüst an. "Was sind das für Briefe?", wollte er wissen. Es dauerte bis zum Abend, ehe eine Kopie der Sponsoren-Schreiben aus dem Faxgerät in Rüttgers' Arbeitszimmer lief.
Schon am Samstag bot Wüst seinen Rücktritt an, doch Rüttgers lehnte zunächst ab. "Das bringt ja nichts", sagte er zu Vertrauten. "Dann stehe ich ganz allein im Wind."
Am Montag war das Presseecho so verheerend, dass Rüttgers dann doch die Notbremse zog und Wüst den Stuhl vor die Tür stellte. Die Frage ist nur, ob mit dem Rauswurf die Sache für Rüttgers erledigt ist.
Der Parteichef behauptet, nicht gewusst zu haben, dass seine eigenen Leute ihn gegen Geld an Gesprächspartner vermieten wollten. Er sagt auch, niemals ein Einzelgespräch mit einem Sponsor geführt zu haben. In Düsseldorf hoffen die Christdemokraten nun genauso wie im Berliner Kanzleramt, dass Rüttgers die Wahrheit sagt. Sie wissen, dass die meisten Politiker nicht über den eigentlichen Skandal, sondern über ihren Umgang mit demselben stürzen.
Wie glaubwürdig ist es, dass die Partei ihren Sponsoren über Jahre hinweg "Einzelgespräche" mit dem Ministerpräsidenten feilbot, ohne dass Rüttgers dies wusste?
Sehr glaubwürdig, beteuert die Führung und schiebt die Verantwortung an einen Mann weiter, der auf Werbefotos freundlich lächelt: Karl-Herbert Düker, bis vergangenen Montag Finanzbeauftragter der NRW-CDU. Briefe mit den dubiosen Gesprächsangeboten tragen Dükers Unterschrift, und glaubt man Rüttgers' Leuten, hat dieser solche Offerten eigenhändig in die Welt geschickt.
Düker ist ein Mann mit bewegter Vergangenheit. Der Diplomkaufmann organisierte einst das Marketing von Melitta-Filtertüten in den USA, 2002 heuerte er als Kreisgeschäftsführer bei der CDU Minden-Lübbecke an. Wie es mit seiner Karriere weiterging, darüber gibt es zwei Versionen.
Glaubt man Düker, hat die CDU-Zentrale in Düsseldorf ihn dringend gebraucht - als erfahrenen Marketing-Mann. Die andere Version, die Düker bestreitet, wird von alten Weggefährten gestreut: Düker habe einen neuen Job gebraucht, weil der örtliche CDU-Chef ihn loswerden wollte. Die Parteizentrale habe ihm dann Unterschlupf gewährt - als Versorgungsfall.
Warum aber legt man die Verantwortung für die Finanzen einer Landespartei in die Hände eines "Versorgungsfalls", der nicht einmal die Geschäfte eines Kreisverbands zu führen weiß? Und wieso lässt die NRW-CDU Düker noch im Januar für die Konrad-Adenauer-Stiftung ein zweitägiges Seminar zum Thema Fundraising abhalten, wenn sie so wenig von seinen Fähigkeiten hält?
Düker jedenfalls kann die ganze Aufregung über seine Briefe nicht verstehen. "Marketingtechnisch" habe er nichts Unrühmliches getan, verteidigte er sich vor Parteifreunden.
Jürgen Rüttgers scheint das Vorgehen seiner Mitarbeiter inzwischen tatsächlich zu bereuen. Vergangenen Montag traf er sich mit seiner Entourage im zehnten Stock der Staatskanzlei, um zu prüfen, ob es kompromittierende Gespräche mit Sponsoren gegeben hat. Für die Überprüfung seiner Terminkalender wurde eigens ein Besprechungszimmer geräumt. Das Ergebnis - es gab ein Treffen, 15 Minuten mit dem damaligen T-Mobile-Chef René Obermann, auf einer gemeinsamen Fahrt in Rüttgers' Dienstwagen zum Zukunftskongress in Bonn im Jahr 2006. Aber in den Augen von Rüttgers' Leuten wirft das keine Probleme auf. Das ist die Verteidigungslinie eins.
Zur Verteidigungslinie zwei zählt, dass die Briefe nicht an alle potentiellen Partner verschickt worden sind. Der SPIEGEL hat rund 60 Sponsoren befragt, die CDU-Landesparteitage als Präsentationsbühne nutzten. Keiner kann - oder will - sich erinnern, die Sonderkondition einer exklusiven Unterredung mit Rüttgers genutzt zu haben.
Wie groß die Aufregung über die jüngste Affäre im Rüttgers-Lager ist, zeigt auch ein Schreiben aus der NRW-Parteizentrale an die "Sponsoren des 31. Landesparteitags der CDU NRW", aufgesetzt am vergangenen Mittwoch: Aufgrund der "momentan fälschlichen Medienberichterstattung", heißt es darin, möchte man "nochmals höflichst verdeutlichen, dass ausschließlich der geschlossene Mietvertrag" Grundlage der Sponsoring-Vereinbarung sei: "Darüber hinaus gibt es keine weiteren Vereinbarungen."
Rüttgers will mit dem Brief das leidige Thema aus der Welt schaffen. Doch das geht nicht so schnell. Müde sieht er aus, als er am vergangenen Freitag im schwarzen Audi an der Veltins-Arena in Gelsenkirchen vorfährt. Im Nieselregen stehen wieder Reporter und fragen nach der Sponsoren-Affäre. Drinnen am Rednerpult spricht Rüttgers vor 400 Jugendlichen von einem "alarmierenden Zustand". Davon, dass man "genau hinsehen" müsse und "nichts schönreden" dürfe. Doch er spricht nicht von sich selbst, sondern über die Situation von Migrantenkindern.