Karl Nolle, MdL
SPIEGEL Nr. 09/2010, Seite 22, 28.02.2010
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Jürgen Rüttgers hat in Nordrhein-Westfalen Politik als Kunst des großen Plans betrieben. Nun zeigt die Sponsoring-Affäre seiner Partei: Der Mann hat offenbar weniger im Griff, als er vorgibt.
So, er soll also käuflich sein, der Rüttgers. Na gut, nicht auf diese ganz billige Art, "Cash in de Täsch", wie sie das im Rheinland nennen, direkt in seine Tasche. Aber für seine Partei. Für seine Macht. Noch so ein Politiker, der keine Skrupel hat, wenn es um Geld geht. Kein Gefühl dafür, wie Geld verdirbt.
Ein Ministerpräsident, der sein Ohr verleiht, aber nur denen, die genug an die Landes-CDU zahlen - schon der Verdacht ist jetzt Gift für ihn. Und reimt sich auf "käuflich" nicht auch "bestechlich"? Nicht nur in der SPD reimen sie sich das zusammen.
Kein Gefühl dafür, wie Geld verdirbt? Jürgen Rüttgers trägt seinen Ehering an der linken Hand, einen Ring aus Gold, aber so schmal wie Draht, dass man eher an Baumarkt denkt als an Juwelier. So schmal, dass innen nicht mal "Angelika" eingraviert ist, der Name seiner Frau.
Vielleicht war ja das Geld knapp, als sie heirateten? Nein, war es nicht, sagt Rüttgers, 1982 war er schon Vizechef der Stadtverwaltung Pulheim, natürlich hätte er Geld für etwas mehr Gold gehabt. Aber sie wollten eben nicht. Auch keinen Mercedes, nur VW. Auch keinen Architektentraum, nur ein simples Einfamilienhaus. Keine anderen Ringe.
Und dieser Mann soll keinen Instinkt haben für die Gefahr des Geldes?
So ein Ring ist bei Rüttgers nicht nur eine Frage des Geschmacks, sondern des Charakters und nicht nur des Charakters, sondern eines Gefühls: Immer schön bescheiden auftreten. Damit die Leute nicht missgünstig werden. Immer schön sparsam sein. Damit sie einen nicht für einen Hallodri halten. Immer schön vorsichtig mit dem Geld und vor allem: immer schön redlich. Damit die Leute nicht schlecht reden.
So haben seine Eltern gelebt, so hat er das von ihnen immer gehört, so steckt das bis heute in ihm drin. Und als er aufstieg, in den Bundestag, zum Bundesminister, und später zum Ministerpräsidenten von NRW, da fragte er Menschen, denen er traute, immer wieder: Habe ich mich verändert, hebe ich ab?
Nun aber reden die Leute. Über ihn. Über Geld. Schmutziges Geld. Über die Briefe der Landes-CDU, in denen es heißt, wer 20 000 Euro bezahlt, der bekommt auf dem Parteitag nicht nur einen großen Stand, sondern darf mit ihm und seinen Ministern auch ein "Einzelgespräch" führen. Zwar geht es da nicht um Geld für ihn persönlich. Aber es geht um etwas, was man nicht tut, nicht vermischt, Amt und Geld. Es geht um eine Affäre, und im Zentrum steht seine Person. Was hat er mit diesen Briefen zu tun gehabt? Kann man ihm glauben, wenn er sagt, er habe davon nicht mal etwas gewusst? Und eines kann der Polit-Profi jetzt noch so kleinreden, noch so wegtuschen: Er, kein anderer, ist der Landesvorsitzende. Er, kein anderer, ist verantwortlich für ihre Fehler. Wer bitte schön sonst?
Dass es jetzt um ihn als Person geht, macht es so gefährlich, denn eines war für den Politiker Rüttgers immer Gesetz und gesetzt: keine klebrigen Sachen, nichts, was man ihm persönlich anhängen kann. Da wollte er immer sicher sein, nur mit dieser Sicherheit im Rücken machte er dann, was wenige besser können als er: Politik als die Kunst des Planbaren.
Denn Rüttgers war der Mann, der daran glaubte, dass Erfolg in der Politik planbar sei. Er analysierte die Lage, kalkulierte seine Schritte und wohin sie am Ende führen sollen. Er achtete aufs Timing, auf Stimmungen, die er einfangen konnte, auch für seinen Populismus. Und er arbeitete an sich, damit er nicht mehr so wirkte, so analytisch-kalkulierend.
So eroberte er sich die Mitte, verbreiterte sie in beide Richtungen, gewann 2005 die Landtagswahl. Alles schien planbar, alles, auch die Wiederwahl im Mai. Mit der FDP, und wenn nicht mit denen, dann mit den Grünen, und wenn nicht mit denen, zur Not auch mit der SPD. Und vielleicht sogar später noch die Kanzlerschaft, er ist ja erst 58. So lange er nur das Risiko eines persönlichen Skandals ausschließen konnte. Nun aber kann ihm alles wegbrechen. Die Mehrheit. Das Amt. Das Ansehen. Wegen einer Geldsache. Ausgerechnet.
Rüttgers stammt aus Brauweiler, heute ein Ortsteil von Pulheim, Nähe Köln. Er kommt also aus einer Kleinstadt mit Kleinbürgern, seine Eltern hatten ein Elektrogeschäft, das nie größer wurde als ein Meister, ein Geselle und zwei Lehrlinge. Und Rüttgers ist nicht nur bis heute dort geblieben, hat ein Haus im nächsten Ortsteil Sinthern. Er ist es bis heute auch selbst geblieben: ein Kleinbürger. Nicht die Karikatur davon, engstirnig und piefig. Er plante schon Kommunalwahlkämpfe auf die amerikanische Art - Haustüren abklappern, den Wähler direkt ansprechen - das sogenannte Canvassing, als sein Kreisgeschäftsführer ihn noch verwirrt fragte: "Kann-Was?"
Aber wie man es zu etwas bringt im Leben, nur durch Fleiß, harte Arbeit, Selbstdisziplin, das hat ihm dieses Milieu in sein Wesen geätzt. Und mit dem Ehrgeiz die Angst. Die ewige Angst des Kleinbürgers zu verlieren, was er sich so sauer aufgebaut hat. Was man einmal hat, das muss man schützen. Misstrauen schützt.
Wenn Jürgen Rüttgers an seine Kindheit denkt, dann erinnert er sich an den Heiligabend, an dem es bei ihnen unten im Geschäft klingelte und sein Vater aufsperrte, weil irgendeiner noch eine Sicherung brauchte. Zuerst kam die Arbeit, dann das Vergnügen, aber bevor es zum Vergnügen kam, gab es schon wieder neue Arbeit. Der einzige Urlaub mit seinen Eltern war eine Fahrt in die Eifel, zweieinhalb Tage, zur Silberhochzeit. Nicht mal den ersten Farbfernseher hatten sie im Ort, obwohl sie die Dinger unten im Geschäft verkauften.
Dabei waren sie nicht arm, sie hatten nur die üblichen Sorgen, aber vorsichtshalber leisteten sie sich nicht mal, was sie sich hätten leisten können. Und als sie es sich dann leisteten, ihren Jürgen, ihr einziges Kind, nach Köln aufs Gymnasium zu schicken, damit was aus ihm wird, ging der mit dem festen Vorsatz, Leistung zu bringen. Seine Eltern stolz zu machen. Jeden Morgen. Pünktlich, im Anzug, Hausaufgaben im Ranzen.
Daran änderte sich auch nichts, als in der Republik die Zeit der Unruhe begann, dann des Aufruhrs. Rüttgers machte sein Abitur 1969, er nennt sich bis heute einen "Neunundsechziger", ein "Achtundsechziger" sei er nie gewesen. Denn so wie es damals die Wilden gab, die Rebellen, gab es auch noch die Willigen, die Rüttgers. Auch sie Getriebene, nur dass ihr Treibstoff aus Ehrgeiz war, dass sie nicht aussteigen, sondern aufsteigen wollten.
Auch deshalb ging er in die Junge Union. Er verteidigte damit den Lebensentwurf seiner Eltern, seinen eigenen. Er hatte seinen Vater nie gefragt, was der im Krieg so gemacht hatte, anders als viele Jugendliche es damals taten. Er wollte das nie so genau wissen, vermutlich erfährt er erst hier, dass Willi Rüttgers in der NSDAP war, eingetreten am 1. Mai 1933, kurz nach der Machtergreifung, einer der vielen Mitläufer, die schließlich bis nach Russland mitliefen. Jürgen Rüttgers aber ließ seinem Vater das Schweigen, es erschien ihm nicht opportun. So wie er viele Jahre später auch seinem politischen Ziehvater Helmut Kohl das Schweigen durchgehen ließ, als der damit im CDU-Spendenskandal fast die Partei kaputtmachte.
Einer wie Rüttgers war nie gegen die Alten. Sein Marsch durch die Institutionen war nie ein heimlicher, immer klar angesagt. Selbst bevor er zur Jungen Union wollte, fragte er erst mal einen früheren Lehrer: "Wo kann man da mitmachen?" Und schon damals blieb die Frage offen, die sich bis heute durch das ganze politische Leben des Jürgen Rüttgers zieht: Entschied er sich aus Überzeugung oder weil er sich am meisten davon versprach? Oder war es so, dass er in seinem Leben einfach nur oft genug das Glück einer nützlichen Überzeugung hatte? Das Glück des Opportunisten.
Was er sicher hat, ist seine Intelligenz. Die Fähigkeit, Kompliziertes zu durchdringen. Die richtigen Schlüsse zu ziehen. Schon 1972, im Wahlkampf Brandt gegen Barzel: Die SPD machte ihre Willy-Kampagne, Rüttgers aber war sicher, absolut sicher, dass die CDU gewinnen würde. "Wir haben unglaublich gekämpft", sagt er; sie waren verbissen, fast schon besessen. Und als es zu Ende war, hatten die Roten gewonnen. Triumphal. Zum ersten Mal mehr Stimmen als die Union.
Warum hatte er so eine falsche Wahrnehmung gehabt, fragte sich Rüttgers. Wie konnte er nur so fest daran glauben, dass man diese SPD doch auf gar keinen Fall wählen kann? Und er kam zu dem Schluss: Wenn in der Politik viele Standpunkte denkbar sind, dann darf man keinen einnehmen, mit dem man sich isoliert. Isolieren heißt verlieren. Wer gewinnen will, muss sich weit genug öffnen. Programmatisch.
So etwas vergaß Rüttgers nie wieder. Damals war es ihm eine Lehre, 38 Jahre später, als Ministerpräsident, sollte er ein Meister der programmatischen Öffnung sein. Zum rechten SPD-Flügel, sogar zu den Grünen. Für Rüttgers keine Frage der Überzeugung, nur eine Sache der Überlegung. Musste man denn nicht einfach nur denken, lenken, umschwenken, bis das Ziel erreicht war?
Mit etwas anderem aber, da sollte er sich immer viel schwerer tun: sich persönlich zu öffnen. Wähler mit Wärme gewinnen, sie mitreißen, als Mensch? So einer war er nicht, denn dazu müsste er sich selbst mitreißen lassen können. Aber so einer war er erst recht nicht.
Wie auch? Wer in den Siebzigern in der Jungen Union Rheinland war, lernte zu misstrauen, so zerstritten war der Haufen. Und als Rüttgers sich über den JU-Vorsitz endlich in den Bundestag hochgearbeitet hatte, fiel er Helmut Kohl auf. Kohl, den Rüttgers stets bewundert hatte. Kohl, der das Misstrauen zum Grundprinzip seines Regierungsstils gemacht hatte.
Der Kanzler hatte Wolfgang Schäuble, Rudolf Seiters, Friedrich Bohl, er hatte seine Büroleiterin Juliane Weber, seinen Fahrer Eckhard Seeber, seinen Berater Eduard Ackermann, das waren die, denen er vertraute, sein innerer Kreis, und nun kam Rüttgers dazu. Jurist, klarer Kopf, kein Angst-Schweiger. Sie trafen sich montags zum Abendessen, Kohl testete Ideen, Strategien. "Was meinst du?", fragte er, hörte zu, erwartete Widerspruch, es waren Gespräche, so offen, dass Rüttgers sie heute noch als "unglaublich schöne Erfahrung" erinnert. Es gab nur eine Spielregel: Dass später nichts davon in der Zeitung stand. "Man hatte Einfluss, die Gegenleistung war, dass man nicht redete." Nicht mit einem von draußen; denen durfte man allen nicht trauen.
Als dieses System Kohl dann unterging, ging Rüttgers, nun Minister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, mit unter. Am letzten Tag brachte ihn der Fahrer aus dem Ministerium nach Hause. Rüttgers fragte seine Frau, was er jetzt eigentlich machen sollte, er hatte keine Ahnung, kein Angebot einer Firma, aber er hatte seinen Ehrgeiz, den hatte er immer noch: Er wollte in Nordrhein-Westfalen gewinnen, einem Land, in dem seit 32 Jahren die SPD regierte. Nur wie?
Rüttgers hatte sein Ziel, machte seinen Plan, und er kopierte das System Kohl. Er nahm seinen Fahrer aus dem Ministerium mit, seine Sekretärin, zog seinen Staatssekretär hinterher, Helmut Stahl. Er baute seinen Kreis. Nur denen im Kreis vertraute er wirklich. Hier konnten sie reden. Aber wer draußen darüber redete, der flog. Das Prinzip Kohl.
Erst mal gewann er den Landesvorsitz, in einer Kampfabstimmung, damit wurde er Spitzenkandidat. Im Jahr 2000 hatte er keine Chance; gegen den Spendenskandal der CDU, der kurz vorher bekannt wurde, konnte er kaum gewinnen. 2005, als er es dann schaffte, war die SPD so ausgebrannt, dass es doch eher eine Abwahl der Roten war als eine Abstimmung für Rüttgers. Aber seitdem hat er getan, was er sich schon 1972, nach seinem Willy-Schock, vorgenommen hatte: Er hat sich breitgemacht im Land, von Mitte links bis Mitte rechts, breiter geht nicht.
Mitte rechts: Da steht das bürgerliche Stammpublikum. Rüttgers hat den Ausstieg aus dem Steinkohle-Bergbau durchgeboxt, bei dem schon lange der Staat die Zeche zahlte. Damit bediente er die Wirtschaftsliberalen. Er hat verhindert, dass bei der Polizei gut 1600 Stellen wegfielen, wie es Rot-Grün schon geplant hatte. Das war für die Law-and-Order-Fraktion. Und er hat zwei bereits abgewickelte Reiterstaffeln der Polizei wieder eingeführt, mit der Begründung, dass NRW immerhin doch das Pferd im Wappen trage. Rüttgers kann eben ein begnadeter Populist sein, erst recht, wenn mehr als 100 000 Bürger für die Hottehü-Polizei unterschrieben hatten. Nur keinen vergessen, auch nicht die Pferdefreunde. Und immer an die Wiederwahl denken.
Aber da ist ja noch Mitte links: Bis dort reicht der für Rüttgers wirklich entscheidende Flügel im Arbeiterland NRW. Bis Mitte links ist konservative SPD, steht eine Wählerschaft, die Johannes Rau vermisst und jedes Anbändeln ihrer Partei mit der Linkspartei verachtet. Für sie spricht Rüttgers, wenn er sich über das "hässliche Gesicht des Turbo-Kapitalismus" empört, am Tag, an dem General Motors den Verkauf von Opel platzen lässt. Für sie steht er am 1. Mai auf der Bühne des DGB und summt "Brüder, zur Sonne, zur Freiheit" mit. Für sie lässt er ihn auferstehen: ihren Bruder Johannes.
"Die soziale Kante ist auch Taktik, ganz klar, bei Rüttgers läuft alles geplant ab", glaubt selbst einer seiner CDU-Minister. Einen "Sozialschauspieler" nannte ihn deshalb die SPD. Aber ob das bei Rüttgers nun ehrlich ist oder nur nützlich oder wie so oft bei ihm beides - fest steht: Wenn er den Arbeiterführer nur spielte, dann spielte er ihn gut. Gerade weil seine Politik so kalkuliert gestrickt war, zwei rechts, zwei links, achtete er genau darauf, nicht nur zu reden. Er brachte im Bund zwei Hartz-IV-Änderungen auf den Weg: Ältere, die jahrzehntelang gearbeitet haben, bekommen länger Arbeitslosengeld. Und Hartz-IV-Empfängern bleibt mehr vom Ersparten übrig.
Dass er damit die Kanzlerin in Berlin schlecht aussehen ließ, war eingepreist; umso besser stand er selbst da. Und dass es so wirkte, als müsse er Angela Merkel an ihr Herz für Schwache erinnern, dürfte ihm vermutlich auch gefallen haben. Das geht nämlich schon seit 2006 so, als Rüttgers auf dem Dresdner Parteitag die neoliberale CDU-Wende unter Merkel drei Jahre zuvor in Leipzig auskonterte. Dafür kassierte er in Dresden zwar ein miserables Wahlergebnis. Aber für sein Bild in Nordrhein-Westfalen war das richtig, und heute gilt er auch in der Bundes-CDU als derjenige, der schon damals recht hatte.
So könnte jetzt eigentlich alles wunderbar für ihn zusammenlaufen: Kann sein, dass Merkel ihn nicht besonders mag, aus gutem Grund, aber sie braucht ihn; ohne Sieg für Schwarz-Gelb am 9. Mai in Düsseldorf verliert sie ihre Bundesratsmehrheit. Nicht aber Rüttgers die Macht in NRW. Natürlich will auch er mit der FDP weitermachen, wenn es reicht. Aber was, sagen sie in der Staatskanzlei, kann er dafür, wenn die Liberalen so dumm sind, nur ein Thema zu haben, Steuersenkung, und davon keiner mehr was wissen will?
Schlechte Planung, oder? Auch als der FDP-Landeschef Andreas Pinkwart kürzlich das Steuergeschenk fürs Hotelgewerbe zurückholen wollte. Kurz mal schlug sich Rüttgers auf seine Seite. Aber als klar war, dass Pinkwart das mit der Bundes-FDP nicht abgesprochen hatte, bewies Rüttgers seine Wendigkeit, drehte schnell weg vom Koalitionspartner. Strategischer Dilettantismus ist ihm zuwider.
Umso besser, dass sich Rüttgers gut mit der Grünen-Fraktionsvorsitzenden Sylvia Löhrmann versteht. Als Rüttgers Mitte Februar Washington besuchte, konnte er gar nicht oft genug erwähnen, wie sehr ihn gerade eine ganz dringende Frage beschäftige: Ob den Wählern im Mai wirklich noch die Wirtschaftskrise in den Köpfen steckt und sie einen Kümmerer wollen, der mit Staatsgeld Arbeitsplätze rettet. Oder ob sie dann schon weiter sind: Die Krise ist erledigt, jetzt braucht es einen harten Kämmerer. Der den Haushalt saniert, die Inflation niedrig hält. Und sicher nicht die Steuern senkt. Es klang nicht so, als ob er an die FDP als künftigen Partner dachte.
Er hatte also schon wieder kühl seine Optionen durchgespielt, sie mit Opportunismus sortiert, die Züge geplant. Für einen Richtungswahlkampf, nicht so eine Larifari-Wiederwahl-Kampagne wie bei Merkel im Bund. Aber dann kommt so etwas ans Licht, womit nicht mal er gerechnet hat. Diese unmoralischen Angebote der Landespartei an Sponsoren. Briefe, die Rüttgers entweder gekannt hat, dann hätte er gelogen und wäre erledigt. Oder die er nicht gekannt hat, aber dann war er als Parteichef verantwortlich. Ein Kontrollversagen, auch wenn er sich jetzt vor der Verantwortung drückt.
Natürlich fragt sich da jeder, wie ihm so etwas durchgehen konnte. Ausgerechnet ihm, mit seinem Ruf: Dass er sich persönlich kümmert, auch um Kleinigkeiten, dass er alles unter Kontrolle hat, wofür sein Name steht. Dass er doch immer übervorsichtig ist.
Fast schon paranoid. Nimmt er nicht normalerweise zu jedem Gespräch einen Zeugen mit, so wie er es bei Kohl gelernt hat? Und wollte er nicht sogar mal einen Rechenschaftsbericht der Partei nicht abzeichnen, mit der Begründung, was wisse er denn, ob die Zahlen wirklich richtig seien? Es sei außerdem "Rüttgers-Schule", keine unnötigen Papierspuren zu hinterlassen, schon gar nicht in heiklen Dingen, sagt einer, der lange mit ihm gearbeitet hat. Und gerade beim Geld, da kenne er keinen, der so vorsichtig sei wie Rüttgers.
Rüttgers hat sich deshalb sofort von Generalsekretär Hendrik Wüst getrennt, aber noch immer hat er nur erklärt, was angeblich passiert ist, nicht wirklich, wie es passieren konnte. Weil das die Sache nicht besser machen würde?
Am Ende ging das System Kohl auch daran kaputt, dass die Wirklichkeit nicht mehr zu ihm durchdrang. Aus dem Kreis wurde eine Mauer. Glaubt man CDU-Politikern aus Düsseldorf, geht es mit dem Kreis um Rüttgers in dieselbe Richtung. "Sie brauchen im Umfeld Leute, auf die sie sich verlassen können", sagt Rüttgers, "das sind mehr als Mitarbeiter, das geht bis zur Freundschaft." Aber wie viele echte Freunde kann ein Politiker wie Rüttgers schon haben, der keine Illoyalität verzeiht, wie Kohl damals.
Es gebe nur fünf, sechs Leute, auf die Rüttgers absolut vertraue, sagt einer, der die Verhältnisse kennt. Wer nicht dazu- gehöre, werde vom inneren Zirkel auch nicht so ernst genommen. Und deshalb sagten sich die Ausgeschlossenen, "dann lassen wir es eben laufen". Auch Wüst sei keiner aus dem engsten Kreis gewesen, habe für sich "rumgewurschtelt".
Zugegeben, nur eine Theorie, sie passt eigentlich nicht zum Rüttgers-Bild eines Kontrollfreaks, der selbst nach einem Pressegespräch, über das sowieso nichts geschrieben werden darf, seinen Sprecher fragt: "War ich zu offen?"
Aber was dann? War es Pech? Naivität? Unfähigkeit? Wäre das besser? Nicht für einen Mann, der den großen Plan hat.