Karl Nolle, MdL
Süddeutsche Zeitung, 14.05.2010
Friede den Palästen - Koch spart bei der Bildung
Ein Kommentar von Heribert Prantl
Wer die Finanzindustrie schont, aber wie Hessens Ministerpräsident Koch bei Schule und Bildung sparen will, treibt verantwortungslose Politik..
Der neue hessische Landbote heißt Roland Koch. 176 Jahre nach Georg Büchner hat er dessen Botschaft umgedreht. Büchner hat 1834 angesichts der furchtbaren sozialen Missstände den Palästen den Krieg und den Hütten den Frieden verkündet. Ministerpräsident Roland Koch macht es in der großen Finanzkrise umgekehrt: Er lässt die Paläste in Frieden und verkündet den Hütten den Krieg. Die Hütten von heute sind die Kindergärten, die Horte, die Tagesstätten, die Hauptschulen und Gymnasien, die Berufsschulen und die Universitäten.
Dort soll, so verlangt es der CDU-Ministerpräsiden von Hessen, drastisch gespart werden - auf dass in den Palästen weiter in Frieden viel Geld verdient werden kann. Die Paläste von heute sind die Spekulationshäuser, die Investmentfirmen, die Goldmänner und Sachse, die in den vergangenen Monaten schon wieder Irrsinns-Summen verdient haben - zwischen 25 Millionen und 199 Millionen Dollar täglich. Die Milliardenpakete, die der Staat gepackt hat, um spekulationsgeschädigte Banken zu retten und den spekulationsgeschädigten Euro zu stabilisieren, sollen mit Sparpaketen bei Bildung und Forschung aufgewogen werden. Mit brutalen Kürzungen ist in Hessen schon begonnen worden: Im Hochschulpakt, der in Wahrheit ein Anti-Hochschulpakt ist, wird das Budget schon mal um 30 Millionen Euro gekürzt: Lehrstühle können so nicht mehr besetzt werden, Forschungsinstitute trocknen aus. Auch in Bayern wird Ähnliches proklamiert: die lang versprochenen tausend neuen Lehrerstellen sollen gestrichen werden. Es müssen ja die Milliardenschulden der Landesbank finanziert werden. Der gesetzliche Anspruch auf einen Kindergartenplatz, die Integration der Migrantenkinder - soll all das nun in den Klingelbeutel der Finanzindustrie fallen?
Natürlich hilft ein bloßes Lamento gar nichts; die Schulden sind da. Sie ausgerechnet bei Kindern, Schülern und Studenten eintreiben zu wollen, ist nicht nur ein soziales Verbrechen, sondern ein wirtschaftlicher Fehler, weil so die Zukunft des Landes verspielt wird. Koch & Co handeln wie die Bauern, die ihr Saatgetreide verfressen und die Pflanzkartoffeln an die Schweine verfüttern.
Wenn in den Schulen der Schimmel die Wände hochklettert, während in den Geldhäusern Gewinne und Tantiemen ins Absurde steigen, dann ist nicht Zeit für eine neue Wertedebatte, sondern für eine andere Politik: Es ist Zeit, dem Finanzmarkt die Rechnung zu präsentieren - die Rechnung für staatliche Milliardenbürgschaften und Nothilfen.
Politik besteht jetzt darin, Transaktionssteuern einzuführen und Auswüchse der Spekulation zu unterbinden. Solche Politik können nicht Bayern und Hessen verordnen, sie braucht den EU-Rahmen. CDU-Politiker können aber die Kanzlerin drängen, ihre Führungsaufgabe wahrzunehmen. Im Amtseid von Ministern, Ministerpräsidenten und Kanzlerin heißt es nicht: Schaden mehren, Nutzen wenden. Es ist genau umgekehrt.