Karl Nolle, MdL

SPIEGEL Nr. 22/2010, Seite 36+38, 31.05.2010

"A K T - D E R - W I L L K Ü R"

Der SPD Landtagsabgeordnete und Unternehmer Karl Nolle muß sich wegen Subventionsbetruges veranworten. Will die schwarz-gelbe Regierung so ihren schärfsten Kritiker loswerden?
 

Inhaltsverzeichnis  -  S P I E G E L   22/2010

Deutschland


Außenminister: Guido Westerwelle und
der Niedergang der FDP ..................................... 30

Sachsen: Steckt die CDU-Regierung
hinter Betrugsvorwürfen gegen
einen kritischen SPD-Abgeordneten? .......... 36


* * *
Sachsen
"A K T - D E R - W I L L K Ü R"
 
Nolle. Karl Nolle. In Dresden ein Name wie Donnerhall. Ministerpräsidenten stürzten über den sächsischen Sozialdemokraten. Minister gerieten ins Wanken, Ministerialbeamte verdanken ihm zahlreiche Überstunden. Wenn der stets gut informierte Zwei-Zentner-Mann im Landtag seine inquisitorischen Anfragen einbrachte, blieb der jeweiligen Regierung häufig nur noch der geordnete Rückzug.

Nolle, der furchtlose Verfechter der Demokratie, ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Der Mann hat heute Angst vor seinem Briefkasten. Wenn er nur in die Nähe der silbernen Blechkiste kommt, spielt der Kreislauf verrückt. Einschreiben mag der Abgeordnete gar nicht mehr öffnen. An Opposition ist nicht zu denken.


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Der bundesweit bekannt gewordene Politiker kämpft um die nackte Existenz. Die Staatsanwaltschaft Dresden will den Unternehmer wegen Subventionsbetrugs belangen, diese Woche soll dafür seine Immunität als Abgeordneter aufgehoben werden. Nolles Druckhaus mit seinen 70 Arbeitsplätzen stehe, so sagt er, auf der Kippe, wenn die Banken nicht einen Zahlungsaufschub gewährten. Treiben die sächsischen Steuerbehörden noch eine umstrittene 188 000-Euro-Forderung ein, sei er privat wie geschäftlich am Ende.

Und die Staatsregierung wäre ihren größten Kritiker los.

So scheint die Causa Nolle nicht nur ein Betrugsfall für die Justiz, sondern womöglich auch ein politisches Lehrstück darüber, wie unabhängig gewählte Volksvertreter tatsächlich sein können. Denn die Ermittlungen gegen den Abgeordneten weisen Merkwürdigkeiten auf. Sie seien, befindet sein Anwalt Stefan Strewe, "ein Akt der Willkür". Angestrengt, um Nolle "in seinem Ansehen zu beschädigen und in seiner Arbeit als Abgeordneter zu behindern".

Es war ein Tag Mitte 2007, der das Leben des sächsischen "Chefaufklärers" Karl Nolle nachhaltig ändern sollte. Der Unternehmer hatte wie jedes Jahr Investitionszulagen für seine Druckerei im Stadtteil Gruna beantragt. Eine Prüferin des Dresdner Finanzamts I kam vorbei, es ging wie üblich um tausend Kleinigkeiten. Um Bürostühle, die nicht anrechenbar sind, um Kosten für die Außenanlage und um die Software einer Druckmaschine. 118 000 Euro kostete das Spezialprogramm. Es blieb strittig, ob die Maschine tatsächlich ohne die Software wirtschaftlich zu betreiben ist.

Die Prüferin fand, so sagte sie später den Ermittlern, es sei ein angenehmer, offener Termin gewesen. Ohne lange Debatten. Im Büro füllte sie ein Formular aus. Sie erklärte darin, dass Nolle zwar einige Positionen unberechtigt beantragt habe. Vorsatz oder Leichtfertigkeit mochte sie dabei aber nicht erkennen. Geld gab es für die strittigen Posten ohnehin nicht, sie wurden gestrichen.

Doch der Fall nahm eine wundersame Wandlung. Eine Sachgebietsleiterin änderte den Vermerk handschriftlich ohne Datumsangabe und Unterschrift. Nun wurde Nolle Leichtfertigkeit unterstellt, was tatsächlich strafbar ist. Der Vorgang landete im November 2007 bei der Bußgeld- und Strafsachenstelle. Jetzt gab es einen Anfangsverdacht. Das Verfahren nahm seinen Lauf.

In einer dienstlichen Erklärung versichert die Frau, sie habe einfach eine andere Rechtsauffassung gehabt. Doch interessant ist der Zeitpunkt, an dem es zu der Anzeige gegen Nolle kam. Im Sommer 2007 war die Sächsische Landesbank nur knapp dem Bankrott entronnen. Ministerpräsident Georg Milbradt stand massiv unter Druck. Er regierte zwar mit der SPD, doch einer seiner schärfsten Kritiker war deren Abgeordneter Karl Nolle. Die Emotionen kochten hoch. Der CDU-Generalsekretär musste gar eine Unterlassungserklärung wegen falscher Anschuldigungen gegen den Druckereibesitzer unterzeichnen. Die Union wütete lautstark gegen den renitenten Sozi.

Der Vorgang erinnert an einen anderen sächsischen Steuerfall, der Ende der neunziger Jahre die Gemüter im Freistaat erhitzte. Der Rechtsanwalt Rainer Maria Wollny hatte die Regierung monatelang mit Verfahren um den Flughafen Leipzig/Halle genervt. Er gewann reihenweise Prozesse um Grundstücke, die Sachsen teuer zu stehen kamen. Bis er im Sommer 1998 in den Urlaub fuhr und die Steuerfahndung bei ihm einrückte: Wollny sollte Steuern hinterzogen haben.

Es gab damals den Verdacht illegaler Absprachen zwischen Justiz- und Finanzbehörden. Beweise fand man nicht. Das Wollny-Verfahren wurde eingestellt, doch die Banken wollten dem Juristen keine Kredite mehr geben, Mandanten sprangen ab. Wollny verlor die Anwaltszulassung.

Heute lebt der Jurist in Kambodscha. Er beklagt sich noch immer über willkürliche Ermittlungen gegen missliebige Bürger in Sachsen.

Auch Nolle erinnert sich an eine Sonderprüfung im Jahr 2002. Es war das Jahr, als Kurt Biedenkopf zurücktrat. Der Prüfer habe zu ihm gesagt: "Die Königstreuen haben mich geschickt."

Das Finanzamt will sich zu den aktuellen Vorwürfen gegen den Unternehmer nicht äußern. Das Finanzministerium versichert, nur die Staatsanwälte seien Herr des Verfahrens. Dort wird eine eventuelle politische Einflussnahme kategorisch ausgeschlossen.

Unstrittig ist: 2008 intensivierten die Steuerprüfer ihr Interesse an Nolles Buchführung. Sie kontrollierten längst abgeschlossene Vorgänge. Und so geriet eine Druckmaschine, die Nolle 2005 für rund drei Millionen Euro angeschafft hatte, ins Visier der Ermittler: Am 22. Dezember war der Koloss angeliefert worden. Viele Firmen bestellen zum Jahresende, weil sich so die Frist bis zur Auszahlung der staatlichen Investitionszulage - in diesem Fall knapp eine Million Euro - verkürzen lässt. Seit Herbst hatte Nolle schon elf neue Leute eingestellt und zusätzliche Druckaufträge akquiriert. Am 30. Dezember war die Maschine nach Nolles Angaben komplett aufgebaut.

Doch war sie damit im alten Jahr auch in Betrieb? Oder wurden die finalen Arbeiten erst im Januar erledigt? Und wäre die Maschine folglich erst im Jahr 2006 förderfähig gewesen? Eine Frage, die normalerweise vor Finanzgerichten geklärt wird. Bei Nolle führte es jedoch zu einer zweiten Anzeige bei der Strafsachenstelle im Oktober 2008.

Wieder ein denkwürdiges Datum. Der Sozialdemokrat war erneut bei den Regierenden unangenehm aufgefallen. Er hatte in den Wochen zuvor CDU-Justizminister Geert Mackenroth mehrfach zum Rücktritt aufgefordert.

Im Wahljahr 2009 übergaben die Finanzbehörden den Fall der Staatsanwaltschaft Dresden. Sie waren auch im Antrag von 2008 fündig geworden. Damals hatte das Finanzamt die über 600 000 Euro Fördermittel für Nolles Druckerei um 3600 Euro gekürzt, weil falsch beantragt worden war. Der Behörde genügte es als dritter Verdacht auf Subventionsbetrug - für einen kompromisslosen Streiter für Sauberkeit und Lauterkeit ein Desaster.

Der Finanzminister wird informiert. Weil Nolle Abgeordneter ist, muss vor den Ermittlungen die Immunität aufgehoben werden. Noch bevor der dafür zuständige Ausschuss entscheiden kann, berichtet schon die "Freie Presse" aus Chemnitz: "Ermittlungen gegen Nolle wegen Betrugs. SPD-Aufklärer unter Verdacht". Die Nachricht ist in der Welt, bei Nolle stehen die Telefone nicht mehr still.

Der Landesdatenschützer, der den Vorgang untersuchte, hält es für "nahezu ausgeschlossen", dass der Tipp an die Presse aus der Finanzverwaltung stammte. Im Landtag hätten den Vorgang nur der Präsident und seine Sekretärin gekannt. Bliebe die Justiz, die jede Schuld von sich weist.

Es gab Ermittlungen gegen Unbekannt und ein anonymes Schreiben, das bei einem der drei Nolle-Anwälte einging. Darin wird das Justizministerium beschuldigt, die Nachricht verbreitet zu haben. Dort zeigt man sich entrüstet.

Nolles Probleme wachsen weiter. Die Wirtschaftskrise macht vor den Druckern nicht halt, erste Kunden und Banken erkundigen sich wegen des angeblichen Subventionsbetrugs. Auch ein CDU-Abgeordneter *** wird tätig. Er fragt bei der Staatsregierung nach Aufträgen von Staatsministerien und Behörden an Nolles Druckunternehmen.

Die Staatskanzlei von Ministerpräsident Stanislaw Tillich antwortet in seltener Genauigkeit: Auf 26 Seiten werden sämtliche Auftraggeber und Auftragsvolumen gelistet. Es ist jetzt ein gläsernes Druckhaus - auch für Konkurrenten. Wegen der öffentlichen Debatte springen erste staatliche Auftraggeber ab. Nolles kritische Fragen im Parlament werden seltener. Der Quergeist ist schon jetzt diszipliniert, er liegt wochenlang krank danieder.

Seine Anwälte, darunter der renommierte Berliner Wirtschaftsstrafrechtler Daniel M. Krause, sind irritiert. Es sei, so Krause, äußerst selten, dass "sich eine Staatsanwaltschaft auf der Hand liegenden Entlastungsmomenten derart verschließt". Nie habe Nolle in seinen Subventionsanträgen etwas verschleiert, immer seien sämtliche Belege angehängt worden. Gab es im Finanzamt eine andere Meinung, sei die Position eben herausgenommen worden - wie bei jeder privaten Steuererklärung.

Die Prüferin sagte den Ermittlern, dass Subventionen für Software häufig irrtümlich beantragt würden. Oft auch jedes Jahr wieder. Die Gesetzeslage sei eben schwierig.

Die Frage, ob die Druckmaschine zum Ende des Jahres vollständig einsatzbereit sein musste oder nicht, hält Anwalt Krause für entschieden: Der Bundesfinanzhof sehe den Tag der Anlieferung von Maschinen als maßgeblich für eine Förderung an.

Die Staatsanwaltschaft wirft Nolle indes eine Verletzung seiner Prüfungs- und Nachforschungspflichten vor - also leichtfertigen Subventionsbetrug. Die Ermittler wollen einen Strafbefehl erreichen.

Inzwischen erhielt Nolle wegen der Druckmaschine einen Bescheid auf Zahlung von 188 100 Euro. Es sind Zinsen, nicht etwa für das eine Jahr, in dem die Investitionshilfe angeblich zu früh gezahlt wurde. Sondern von 2006 bis heute. Dabei hat selbst die Staatsanwaltschaft nur einen Zinsschaden von 47 000 Euro ermittelt.

Der Unternehmer hat Einspruch eingelegt. Wenn er die Summe wirklich zahlen solle, sagt er, dann könne dies das Ende der Firma sein.

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***  Die Kleine(n) Anfrage(n) zur Ausforschung von Kunden, Aufträgen und Umsatzvolumen der Druckhaus Dresden GmbH, stellte der damalige Parlamentarische Geschäftsführer der CDU Landtagsfraktion, Heinz Lehmann, MdL ein Hinterbänkler, der versehentlich in die erste Reihe geraten war, einer der Blockflötentraditionalisten der CDU, die immer auf der richtigen Seite waren. (Anmerkung Karl Nolle)