Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 14.06.2010

Zwiespältiger Stimmungstest für SPD-Erneuerer

Parteitag bestätigt Martin Dulig mit 77,4 Prozent als Landeschef / Über ein Fünftel der Basis verweigert Zustimmung
 
Chemnitz. "Ehrlich" nennt man in der Politik ein Ergebnis, das nicht gerade berauschend ist. 74,2 Prozent hatte SPD-Chef Marin Dulig nach dem Wahldebakel im Herbst 2009 geholt, und diese Quote für den neuen Mann an der Spitze war genau das: ehrlich. Am Wochenende stellte sich der 36-Jährige auf einem Parteitag in Chemnitz erneut der Basis - ein erster Stimmungstest für die propagierte Erneuerung der SPD in Sachsen. Dabei konnte er leicht zulegen, exakt 77,4 Prozent der Delegierten sprachen sich für ihn aus. Der Rest aber war dagegen oder enthielt sich der Stimme - ohne Gegenkandidat, einfach so.
Das zog sich quer durch den Konvent im Kongresszentrum von Chemnitz. Egal, wer hinter Dulig für den Landesvorstand kandidierte, immer verweigerte sich rund ein Fünftel der SPD-Basis. Das gilt nicht zuletzt für die Landesvize Petra Köpping und Eva-Maria Stange, zwei Kandidatinnen, die unterschiedlicher kaum sein können. So gilt die eine, Ex-Wissenschaftsministerin Stange, als ehrgeizig, hat Machtinstinkt und eine Vorliebe für Details; Ex-Landrätin Köpping dagegen ist seit ihrem Einzug ins Landesparlament 2009 kaum durch politische Initiativen aufgefallen. Die Ergebnisse für die beiden SPD-Frauen in Chemnitz aber waren exakt dieselben: 103 Ja- und 18 Neinstimmen bei acht Enthaltungen - 79,8 Prozent.

Ein ähnliches Bild zeigte sich beim Vierten im Bunde, Generalsekretär Dirk Panter. Wie Köpping und Stange trat auch der Leipziger ohne Gegenkandidaten an und erhielt am Ende eine Quote von 76,7 Prozent. Eine Ausnahme machte lediglich Sven Schulze, der für das polit-strategisch wenig bedeutsame Amt des Schatzmeisters kandidierte. Für ihn sprachen sich immerhin 91,8 Prozent der Delegierten aus.

Für Dulig ist all das keine Katastrophe, er steht weiter alternativlos an der Spitze. Ein wenig ernüchternd allerdings ist es schon. Denn es zeigt: Von Aufbruchstimmung, wie der 36-Jährige sie gefordert hatte, ist Sachsens SPD derzeit weit entfernt. Dabei war das Bild vom Hausbau, das Dulig in seiner Rede gezeichnet hatte, durchaus passend. Die Erneuerung, rief er in den Saal, sei nach dem Debakel bei der Landtagswahl 2009 durchaus spürbar, aber nicht abgeschlossen. Vor neun Monaten sei "die Bodenplatte gegossen" worden, daraufhin sei "das Kellergewölbe" entstanden. "Wir haben damit das Sichtfeld erreicht, wir sind nicht mehr unterirdisch."

Jetzt aber geht es laut Dulig um eine entscheidende Frage: "Was setzen wir auf dieses Fundament? Eine Gartenlaube, wo wir es uns bei Sonnenschein draußen gemütlich machen - oder ein großes Haus?" Für den SPD-Mann ist die Frage entschieden, er favorisiert den größeren Wurf. Dabei erhält er Rückendeckung aus Berlin. SPD-Bundesvize Klaus Wowereit meinte als Gastredner, die Sozialdemokratie habe "wieder Tritt gefasst", auch wegen des schlechten Zustands der CDU/FDP-Koalition. Doch die SPD dürfe nicht nachlassen. "Die Schwächen der anderen sind noch nicht die eigene Stärke" - Worte, die auch von Dulig stammen könnten.

Ob dessen Erneuerungsprojekt am Ende gelingt, ist derzeit nicht ausgemacht. Zwar kann die Sachsen-SPD in Umfragen zulegen, und mit dem Leitantrag "Fortschritt und Gerechtigkeit", der in Chemnitz verabschiedet wurde, hat die Partei die Linie bis zur Landtagswahl 2014 festgelegt. Entscheidend für Dulig aber dürften die kommenden zwei Jahre sein. Denn 2012 muss er sich turnusmäßig erneut der Basis stellen - und mehr präsentieren als eine Zwischenbilanz der ersten Monate. Und dann wird sich zeigen, ob sein Ergebnis wieder so ausfällt wie jetzt: ehrlich.
Jürgen Kochinke