Karl Nolle, MdL
spiegel.online.de, 17.06.2010
Bundespräsidenten-Wahl
CDU-Politiker Biedenkopf will Wahlleute frei entscheiden lassen
Der frühere sächsische Ministerpräsident Biedenkopf übt Kritik am Lagerwahlkampf um die Köhler-Nachfolge: Die Parteien, auch die Union, sollen es den Mitgliedern der Bundesversammlung überlassen, ob sie für Gauck oder Wulff votieren. Für Angela Merkel kommt dieser Zwischenruf zur Unzeit.
Berlin - Gerade erst zeigten sich FDP und Union wieder demonstrativ geschlossen - die Querelen um den eigenen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten, Christian Wulff, sollten der Vergangenheit angehören. Doch jetzt flackert der Streit wieder auf: Der frühere sächsische Ministerpräsident und CDU-Politiker Kurt Biedenkopf fährt den Koalitionären in die Parade und kritisiert den Lagerwahlkampf um das höchste Staatsamt scharf.
Biedenkopf fordert von den Parteien, sie sollen es den Mitgliedern der Bundesversammlung freistellen, wem sie ihre Stimme geben - Wulff oder dem von SPD und Grünen nominierten Joachim Gauck. Der Respekt vor der Verfassung gebiete die Freigabe der Abstimmung, schreibt Biedenkopf in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
Der Bundespräsident sei auf "Glaubwürdigkeit und Autorität" angewiesen, argumentiert Biedenkopf. Er wirft den politischen Parteien vor, sie würden den Eindruck erwecken, mit der Wahl des Staatsoberhaupts sei das Fortbestehen der Regierung verbunden. Damit gefährdeten sie "nicht nur die Autorität der Bundesversammlung", sondern auch "die Würde des Amtes des Bundespräsidenten selbst".
Warnung vor Vertrauensverlust in der Bevölkerung
Biedenkopf fürchtet, das Vertrauen der Bevölkerung in die Überparteilichkeit des Staatsoberhauptes sei somit gefährdet. Er räumte aber auch ein, dass streng genommen die Parteien die Wahl gar nicht freigeben könnten, die nach dem Grundgesetz ohnehin frei sei.
Die Regierungsparteien CDU, CSU und FDP sollen nach Biedenkopfs Überzeugung Gaucks Beliebtheit als Signal verstehen: "Die breite Zustimmung in der Bevölkerung zur Kandidatur Joachim Gaucks ist nicht nur seinen allseits gerühmten Qualitäten geschuldet. Sie ist zugleich Ausdruck eines zunehmenden Misstrauens gegenüber dem umfassenden Anspruch der politischen Parteien. Dieser Anspruch wird auch in dem Versuch sichtbar, sich der Bundesversammlung für die Entscheidung ihrer machtpolitischen Fragen zu bedienen."
Biedenkopf war Mitte der siebziger Jahre Generalsekretär der CDU. Von 1990 bis 2002 amtierte er als Ministerpräsident von Sachsen.
Wulffs Vorsprung schwindet
Die Äußerungen kommen für die Kanzlerin und ihre Regierung zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt: Zum einen hatten in den vergangenen Wochen zahlreiche Politiker der FDP sich ausdrücklich dagegen gewandt, Wahlleuten eine Empfehlung auszusprechen. Die Proteste gegen Wulff waren vor allem aus ostdeutschen Landesverbänden gekommen. Doch auch CDU-Politiker hatten für Gauck geworben, wie etwa die frühere DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld.
Zum anderen wird die Mehrheit in der Bundesversammlung für den Kandidaten von Union und FDP dünner. Nach der Benennung der Wahlleute in Sachsen und Bremen darf die CDU nun drei Abgesandte weniger nach Berlin schicken als bisher errechnet - und nicht alle Liberalen wollen für Wulff stimmen. Der Kandidat hatte daher bei den Bundestagsfraktionen um Unterstützung geworben.
Biedenkopf fordert einmalige siebenjährige Amtszeit
Bereits zuvor hatte sich Biedenkopf in die aktuelle Diskussion eingemischt. Er sprach sich nach der Nominierung der Kandidaten für eine Direktwahl des Bundespräsidenten aus. Bei dem anstehenden Votum sei dies zwar kein Thema mehr, aber danach sollte "man überlegen, ob man das Amt des Bundespräsidenten durch eine Direktwahl auch in seiner Qualität und in seiner Autorität verändert", so Biedenkopf.
Zudem falle auf, dass bei allen Bundespräsidenten einer starken ersten eine schwächere zweite Amtszeit folgte. Er halte es deshalb für sinnvoll, darüber nachzudenken, ob vielleicht eine einmalige siebenjährige Amtsperiode besser wäre, schlug der CDU-Politiker vor.