Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 19.11.2010

"Er hätte sich offenbaren müssen"

Stasi-Affäre: Historiker Zwahr enttäuscht über Michael Richter / Hannah-Arendt-Institut verweist auf nächste Kuratoriumssitzung
 
Dresden/Leipzig. Die Stasi-Vergangenheit des führenden Wende-Chronisten Michael Richter vom Hannah-Arendt-Institut sorgt für Wirbel. Kritik kam von der Birthler-Behörden, den Grünen und der SPD. Ein internes Schreiben belegt zudem, dass es schon 1993 Bedenken von Seiten des sächsischen Stasi-Beauftragten gab.

Am Mittwoch war bekannt geworden, dass der Historiker Richter (57) als Stasi-Spitzel unter dem Decknamen IM Thomas umfangreich das Ministerium für Staatssicherheit informiert hatte (diese Zeitung berichtete). Für die Grünen im Landtag ist das hart am Rande eines Skandals. "Leider hat Michael Richter nie den Mut besessen, die dunkle Seite seines Lebens offenzulegen", sagte Fraktionsmanager Karl-Heinz Gerstenberg. "Wenn gerade er dann Mitte der 90er Jahre über die Staatssicherheit publiziert, dann ist das eine unglaubliche Provokation." Gleichzeitig ging Gerstenberg jene an, die Richter in den 1990er Jahren eingestellt hatten. "Ins Zentrum der Kritik gehört das damalige Kuratorium des Instituts mit dem ehemaligen Wissenschaftsminister Matthias Rößler als Vorsitzenden", sagte er. Es müsse offengelegt werden, wie es trotz Kenntnis der IM-Tätigkeit zur Einstellung gekommen sei.

Ähnlich hart argumentierte Gerstenbergs SPD-Pendant Stefan Brangs. "Hausmeister und andere Menschen sind wegen nichtigeren Dingen aus dem Dienst entfernt worden", sagte er. Es bleibe ein fader Beigeschmack. SPD-Mann Karl Nolle ätzte: "Entspricht es der Auffassung der Staatsregierung, dass für die wissenschaftliche Arbeit der Totalitarismusforschung am besten Wissenschaftler genommen werden, die Engagement und Systemtreue in einem totalitären Regime persönlich unter Beweis gestellt haben?"

Enttäuscht ist Hartmut Zwahr. Der emeritierte Leipziger Historiker kennt Richter von jahrelanger Arbeit bei Recherchen zur Geschichte der Friedlichen Revolution. Zwahr: "Er hätte sich offenbaren müssen."

Gleichzeitig wurden gestern neue Details bekannt. So hatte der frühere Landesbeauftragte für Stasi-Unterlagen, Fritz Arendt, bereits 1993 Bedenken angemeldet. "Der von Dr. Richter geäußerte Gedanke, eine langfristig geplante Flucht oder Ausreise durch das MfS begleiten zu lassen, übersteigt meine Vorstellungskraft", teilte Arendt damals Institutsdirektor Alexander Fischer mit.
Andreas Schulze, Sprecher der Birthler-Behörde in Berlin, bewertet aus heutiger Sicht jene Auskunft über Richters Stasiverstrickungen, die ihm 1991 erteilt worden war. Laut Schulze sei eine tiefgründige Überprüfung noch nicht möglich gewesen. Mit der Auskunft, zur Stasi-Mitarbeit genötigt worden zu sein und keinem geschadet zu haben, sei dann Richter "durchs Land gezogen". Erstaunlich sei die Tatsache, dass man Richter "über viele Jahre leichtfüßig folgte", zumal ab 2006 mit einer Novellierung des Stasi-Unterlagengesetzes auch dem Hannah-Arendt-Institut die Möglichkeit geboten wurde, die Mitarbeiter überprüfen zu lassen.

Antwort auf diese Frage war von Instituts-Direktor Günther Heydemann nicht zu bekommen. Per Pressemitteilung ließ er mitteilen, das Institut habe bereits im August 2010 ein Auskunftsersuchen zur Überprüfung von Richter bei der Birthler-Behörde gestellt. In seiner nächsten Sitzung Ende November werde sich das Kuratorium mit dem Fall befassen.

Von Thomas Mayer und Jürgen Kochinke