Karl Nolle, MdL
www.spreeblick.com, 04.08.2009
Stanislaw Tillich und die CDU Sachsen – Schatten der Vergangenheit
Am 30. August dieses Jahres werden in Sachsen Landtagswahlen stattfinden. Den Wahlumfragen zu Folge wird die CDU Sachsen wieder stärkste Fraktion werden. Die CDU Sachsen, die mit Stanislaw Tillich als Kandidaten auftritt. Stansilaw Tillich, der weiß, wo’s langgeht. Der aber vergessen hat, wo’s herkommt.
Winter 2008, Stuttgart. Die CDU versammelt sich, die Krise hat Deutschland erreicht, es stehen schwere Zeiten bevor. Der Wahlkampf in Hessen steht vor der Tür, es könnte ein knappes Ergebnis werden, Andrea Ypsilanti ist eine ernstzunehmende Konkurrenz zu Roland Koch. Es ist kein Parteitag, der große Ausrichtungsdebatten zum Inhalt hat. Angela Merkel will die Macht halten, und sie hält sie: Fast 95 Prozent, ein gutes, ein sehr gutes Ergebnis. Die CDU probt den Zusammenhalt.
Das Superwahljahr steht knapp bevor. Man muss auch ein wenig nach dem Gegner sehen, der SPD geht es zwar nicht recht gut. Aber wenn sie weiterhin mit der Linken paktiert, könnte das in einigen Ländern unangenehm werden, gerade auch in Hessen. Da muss was getan werden, und es wird was getan. Die Parteispitze setzt einen Antrag auf, „Geteilt. Vereint. Gemeinsam. Perspektiven für den Osten Deutschlands“
www.stuttgart08.cdu.de/wp-content/uploads/2008/12/081202-beschluss-b1.pdf
Die DDR ist ein Unrechtsstaat gewesen. Es hat Mauertote gegeben, 950 Stück, „erschossen, ertrunken, von Minen zerrissen, von Splittern durchsiebt.“ Verantwortlich für all das Unrecht ist die heute in Die Linke umbenannte SED. Die Linke kittet die Geschichte und hat nichts gelernt. Sie ist die Inkarnation des DDR-Unrechts, und die SPD will sich mit ihr gemein machen.
„Damals wie heute hatte die SPD keine Probleme, sich für eine Partei zu öffnen, die sich zum Ziel gesetzt hat, die freiheitliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland zu bekämpfen.“
Winter 2008, Stuttgart. Der Ortsverband Halle hat einen Änderungsantrag geschrieben, man wundert sich, „dass die CDU die einzige Partei ist, die nicht weiß, dass es eine Ost-CDU gab“ (Wolfgang Böhmer, CDU-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt). Es gibt auch großen Anlass, sich zu wundern: Im benachbarten Bundesland Sachsen ist seit Mai 2008 Stanislaw Tillich Ministerpräsident.
Hätte man Tillich gefragt, vermutlich hätte er den Antrag der CDU-Führung in den Schredder gesteckt. Es ist kaum sechs Wochen her, als er im SpOn-Interview sagte, „dass wir die Geschichte im Osten bereits intensiv aufgearbeitet haben“. Ausreichend genug für Tillich jedenfalls.
Tillich war unter anderem Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Kreises Kamenz für Handel und Versorgung gewesen, eine gehobene Position, die heute ungefähr einem Dezernenten im Landratsamt entspricht. Tillich wiederholt gebetsmühlenartig, dass der Eintritt in die CDU sein Akt des zivilen Ungehorsams war, der ihm „Ruhe vor der SED“ gebracht habe: gleichzeitig hat es ihm ein gehobenes Auskommen und eine führende Stellung in der lokalpolitischen Landschaft beschert. Ein angenehmes Leben für einen Dissidenten in Funktionärsstellung. Statt diese seine Thesen vom verbeamteten Widerstandskämpfer, von der inneren Immigration zu belegen, hat er sich dazu entschlossen, in großem Maßstab seine Biografien zu schönen. Das zumindest behauptet der SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle in seinem eben erschienen Buch „Sonate für Blockflöten und Schalmeien“. Die CDU Sachsen versucht seither, Nolle mundtot zu machen.
Das ist nicht die einzige Personalie, die der CDU zu denken geben sollte. An der im Antrag so lyrisch beschriebenen friedlichen Revolution hat die CDU kaum Verdienst. Es dauerte bis Mitte Dezember 1989, bis sich die Ost-CDU dazu entschloss, den DDR-Sozialismus aus dem Programm zu streichen. Und es dauerte noch bis zum 25. Januar 1990, bis sich die Ost-CDU entschloss, die alte Regierung zu verlassen. Ist die Ost-CDU jene Partei der Widerständler, die ihre eigene Revolution verschlafen hat? Bis Mitte der 80er arbeiteten 20.000 der 140.000 CDU-Mitglieder als Staatsfunktionäre.
Dass trotzdem vor allem die CDU von der Wiedervereinigung profitierte, liegt an der westlichen Parteispitze, insbesondere an Helmut Kohl. Kohl hielt sich keine Minute mit Vergangenheitsbewältigung auf und gab die Devise der neuen Zukunft aus — „aber nicht auf roten Socken„. Ungeachtet der Tatsache, dass beispielsweise 1990 in Brandenburg 24 der 27 Abgeordneten der CDU Altkader waren.
Es ist nicht die Frage, ob Tillich in der Art kompromittiert ist, dass er als wichtigster Mann eines Landes nicht mehr tragbar ist: ob seine Biografie schandhaft ist, steht überhaupt nicht zur Debatte. Es ist die Schamlosigkeit und der Opportunismus im Umgang mit den Biografien, die zeigt, wie moralisch verrottet die CDU in vielen Teilen ist.
Daniel Große
http://www.spreeblick.com/2009/08/04/stanislaw-tillich-und-die-cdu-sachsen-schatten-der-vergangenheit/#comment-723802
Kommentar von Ulrich Ingenlath
Das Problem ist meines Erachtens komplexer.
Ich lebe – mit einer kurzen Berlin-Unterbrechung – seit 1993 in Sachsen und hatte in Leipzig unter Wolfgang Tiefensee einiges mit den Machtstrukturen im Freistaat zu tun:
Grundsätzlich stimmt das ja alles, was der Autor hier skizziert. Allein jedoch; es interessiert hier kaum einen. Tillich ist in erster Linie Sorbe und erst in zweiter Linie Sachse. Dass er aber vor allem `einer von uns´ ist, spielt wahlpolitisch eine große Rolle für die Menschen hier, von denen sich viele durch Westdeutsche überfremdet und – nicht ganz zu Unrecht – getäuscht sehen. Nach dem Milbradt & Biedenkopf-Desaster wurde er von einem ganz kleinem CDU-Machtklüngel unter Milbradt, de Maiziere und Flath ausgeguckt – nicht etwa, weil er kompetent oder charismatisch wäre, sondern weil er politisch erpressbar und damit handhabbar ist. Er ist eine politische Marionette, die langsam zum Problem für die Sächsische CDU zu werden scheint.
Dass die Sächssiche CDU eine Vergangenheitsproblem hat, stört hier eigentlich niemanden; das haben die Bundeskanzlerin und viele SPD-Politiker im Osten auch.
Machterwerb und -bewahrung ist im deutschen Parteiensystem aber keine Frage von Moral, Anstand oder gar Kompetenz sondern eher eine Frage von parteipolitischer Nibelungentreue.
Tillich ist aufs Schild gehoben worden und wird so lange gehalten werden, wie er die eigene parteipolitische Basis und deren (materielles) Auskommen als Landrat, MdL, Rundfunk-Intendant oder Amtsleiter nicht ernsthaft gefährdet. Die ehemaligen Bezirkzeitungen der DDR sind hier schon lange auf Linie gebracht und die künstliche Aufregung im publizistischen Westen Deutschlands kommt hier in Sachsen gar nicht an oder wird als heuchlerisch bewertet. Die Sächsische SPD, die im Übrigen nicht minder verfilzt und Vergangenheitsbelastet ist (Tiefensee hat in Leipzig immer seine Hand über die MfS-Netzwerke der Stadt gehalten), würde sofort wieder mit der CDU ins Bett gehen, wie sie es auch mit der längst etablierten SED/PDS/ Linken tun würde, wenn Sie dafür an der Macht bleiben würde. Der Filz und die damit einhergehende öffentlich-rechtliche Korruption sind im Freistaat Sachsen längst bis in weite Teile von Justiz und Medien akzeptiert.
Obgleich die Realwirtschaftliche und demografische Situation insbesondere in ländlichen Regionen bedenklich ist, bombardieren Regionalzeitungen und mdr das Publikum mit guter Laune und politischen Erfolgsmeldungen. Ich sehe da auch keinen Ausweg, da das machtpolitische System in Sachsen funktioniert, so lange Transfergelder fließen, es keine Amtshaftung gibt und Leistungsträger weiterhin die Region verlassen.
Das CDU-SPD-Regime hingegen steckt hier zwar in einer Schockstarre, weil es eben überall kriselt. Wir haben hier in Sachsen immense Modernitäts- und Demokratiedefizite und uns fehlen wirklich moderne und weltoffene Menschen. Der Sorbe Tillich entstammt einem geistig und kulturell abgeschotteten Klüngelmillieu, in dem große Millionenbeträge öffentlicher Gelder unkontrolliert in der Sorbischen Domowina versickern. Allein die Sorben werden es dem Sorben Tillich zu danken wissen, dass Transfers für die kleine künstlich beatmete Volksgruppe noch mal erhöht worden sind, obgleich Missbrauch und Vetternwirtschaft belegt sind.
Diejenigen, die aus dieser verfahrenen Situation Kapital schlagen, sind allein die politischen Ränder (NPD und Linke). Insofern wird das schon spannend werden in den nächsten Wochen, hier in Sachsen und im Bund.
Ulrich Ingenlath,Sachsen