Karl Nolle, MdL
sz-online.de, 07.01.2011
Dioxinwerte fast 78-mal höher als erlaubt
Bereits im März hatte das Unternehmen Harles und Jentzsch Hinweise auf Dioxin-Probleme in seinem Futterfett. Gemeldet wurde dies nicht.
Bereits im März hatte das Unternehmen Harles und Jentzsch Hinweise auf Dioxin-Probleme in seinem Futterfett. Gemeldet wurde dies nicht. Neue Proben weisen nun fast 78-fach zu hohe Werte auf. Wegen des bundesweiten Dioxin-Skandals geht der Eier-Verkauf bereits zurück.
Berlin. Der Dioxin-Skandal eskaliert: Verseuchtes Tierfutter ist schon viel länger im Umlauf als bekannt. Zudem war die Giftdosis bei neuen Proben vom Futterfetthersteller Harles und Jentzsch knapp 78 Mal so hoch wie erlaubt. Die Bundesregierung vermutet Kriminelle am Werk. Die Verbraucher lassen zunehmend die Finger von Eiern. In den Bundesländern zieht der Skandal immer weitere Kreise. 4.700 Höfe in Deutschland sind gesperrt.
Bei weiteren Proben von Futterfetten von Harles und Jentzsch in Schleswig-Holstein war die Belastung in neun von zehn Fällen zu hoch, teilte das Kieler Landwirtschaftsministerium am Freitag mit. Der Behörde liegen insgesamt bisher 30 Testergebnisse vor. In 18 Fällen war der Grenzwert überschritten. Und bereits im März 2010 fand ein Labor in Industriefetten der Firma Dioxinwerte, die doppelt so hoch lagen wie der Grenzwert. Die Behörden erfuhren davon jedoch nichts. Auch wenn der Höchstwert im Endprodukt wegen der Verdünnung bei der Futterherstellung bei den Proben im März wohl unterschritten wurde, hätten die Fette nicht verwendet werden dürfen, erklärte das Kieler Ministerium. Gegen die Firma ermittelt die Staatsanwaltschaft.
In dem als Futterfett deklarierten Produkt von Harles und Jentzsch waren verbotenerweise Abfälle der Biodieselproduktion. Niedersachsens Staatssekretär Friedrich-Otto Ripke sprach von „kriminellen Machenschaften“ einzelner Unternehmen in der Branche. Die in den Dioxin-Skandal verwickelten Firmen hätten möglichst viel Gewinn erzielen wollten, sagte er in Hannover. Wenn Fett gepanscht wird, ist das lukrativ: Denn für Futterfettsäure gibt es laut Bauernverband 40 bis 60 Cent pro Kilo - dreimal so viel wie für Industriefette.
Weniger Nachfrage nach Eiern
Unterdessen lassen viele Verbraucher Eier wegen des Skandals in den Regalen liegen. Ein Absatzrückgang sei „deutlich spürbar“, sagte Margit Beck von der Bonner Marktberichterstattungsstelle MEG. Die Preise an den Lebensmittelbörsen seien „über den Jahreswechsel etwa doppelt so stark zurückgegangen wie im Vorjahr“. Ein schwacher Rückgang beim Eier-Absatz ist laut MEG zu Jahresbeginn üblich, weil sich viele Verbraucher gewöhnlich vor den Feiertagen mit Eiern eindecken.
Bis zu 150.000 Tonnen Futter mit dem dem als krebserregend geltenden Gift Dioxin können Unmengen von Eiern, Geflügel- und Schweinefleisch verunreinigt haben. Woher das Dioxin kommt, ist weiter unklar. Das von der Firma gelieferte Fett war von 25 Futterherstellern in vier Bundesländern eingemischt worden. Bisher mussten bundesweit über 4700 Betriebe wegen des Dioxinverdachts gesperrt werden. Die meisten dieser Höfe liegen in Niedersachsen. Dort sind rund 4.500 Betriebe betroffen.
Aigner: Keine akute Gesundheitsgefahr
Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner verlangte notfalls weitere Rückholaktionen der Länderbehörden. „Das Bundesinstitut für Risikobewertung sieht beim gelegentlichen Verzehr belasteter Produkte keine akute Gesundheitsgefahr. Aus Gründen des vorsorgenden Verbraucherschutzes muss allerdings die Belastung mit Dioxinen so weit wie möglich minimiert werden“, sagte sie. „Wichtig ist deshalb, dass betroffene Produkte schnell vom Markt genommen werden.“
In Niedersachsen wurden etwa 100.000 Eier vernichtet. In einem Thüringer Schlachthof wurden rund 6,6 Tonnen Fleisch sichergestellt. Die Slowakei verhängte wegen des Dioxin-Skandals ein vorübergehendes Verkaufsverbot für Eier und Geflügelfleisch aus Deutschland. Die ersten niedersächsischen Legehennen-Betriebe dürfen nach ihrem Verkaufsverbot seit Freitag wieder Eier auf den Markt bringen. In Hessen sprach das Landwirtschaftsministerium nach einem ersten bestätigten Fund in einem Schweinemastbetrieb von mindestens neun weiteren Betrieben, die in die bundesweite Affäre um giftiges Futtermittel verwickelt sein sollen.
40 bis 60 Millionen Euro Verlust pro Woche
Bauernpräsident Gerd Sonnleitner bezifferte den Schaden für die betroffenen Bauern auf 40 bis 60 Millionen Euro pro Woche. Die Zeche sollen die Futtermittellieferanten zahlen. „Sie müssen die Schadensersatzansprüche der Landwirte abgelten. Da werden wir bis zum Letzten gehen“, sagte Sonnleitner der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. „Betriebe, die gesperrt waren, bei denen aber letztlich kein Dioxin nachgewiesen worden ist, schauen in die Röhre.“ Die Bauern pochen auf einen Millionen-Entschädigungsfonds. (dpa)