Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 26.02.2011

Wir brauchen den friedlichen Protest möglichst vieler Dresdner

Von Christian Demuth
 
Unter dem Titel Perspektiven veröffentlicht die SZ Essays, Kommentare und Analysen zu Themen, die aus der ganz persönlichen Sicht des Autors Denkanstöße geben sollen. Heute: Christian Demuth vom Verein Bürger.Courage entwickelt Ideen, wie man in Dresden künftig gemeinsam die Aufmärsche von Neonazis verhindern könnte.

Die absolute Mehrheit der Dresdner will die Nazis nicht in ihrer Stadt. Dresdens Problem ist aber, dass sie nicht freiwillig gehen werden. Der jährliche Aufmarsch in Dresden ist nicht irgendeine Veranstaltung. Er ist der wichtigste Aufmarsch von Nazis in ganz Europa. Es ist daher nicht nur eine Dresdner Angelegenheit, ob die Nazis hier laufen – ob dies manchem passt oder nicht. Fakt ist auch: Städte, die den Rechten etwas entgegensetzten, wurden belohnt: In Jena und Wunsiedel kamen die Nazis nicht wieder. Die Strategie unserer Landes- und Stadtpolitik, die Nazis einfach zu ignorieren, kann also als gescheitert betrachtet werden.

Seit 2010 hat sich aber dennoch etwas geändert: Friedliche Blockaden und Menschenketten haben dazu geführt, dass dieses Jahr weniger Nazis nach Dresden kamen. Und auch 2011 waren Blockade und Menschenkette erneut erfolgreiche Mittel gegen die Naziaufmärsche. Allerdings eskalierte am Rande der friedlichen Proteste die Gewalt von Nazis und Randalierern aus der autonomen Hooligan-Szene. Es stellt sich also die Frage, wie die Erfolge der letzten Jahre verstetigt werden und die negativen Begleitumstände in Zukunft vermieden werden können?

Die Ausgangsbedingungen für die nächsten 12 Monate sind klar: Am Montag, 13. Februar, und am Samstag, 18. Februar 2012, werden Nazis wieder durch Dresden marschieren. Keiner kann behaupten, er hätte das nicht gewusst.

Wir schlagen ein „Bündnis der Bürger“ vor, das von Bürgern, Institutionen, Parteien und Vereinen in Zusammenarbeit mit Stadt, Verwaltung und Polizei den Protesten einen Rahmen gibt. Ergebnis der Arbeit muss eine tragfähige Strategie im Umgang mit Rechtsextremismus im Allgemeinen und gegen den Naziaufmarsch im Besonderen sein. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass dies nur dann möglich ist, wenn dieser Prozess auf Augenhöhe und gleichberechtigt geschieht. Es kann nicht sein, dass – wie dieses Jahr der Fall - das Rathaus aufgrund politischen Drucks eigenmächtig einen Absatz aus einem vorher gemeinsam formulierten Aufruf an die Dresdner Bürger streicht.

Drei Aufgaben stellen sich für einen runden Tisch:

1)Wie verleiden wir den Nazis den Aufenthalt in unserer Stadt?
2) Wie schaffen wir es, friedlichen Bürgerprotest zu mobilisieren?
3)Wie kann der Gewalt am Rande friedlicher Proteste begegnet werden?

Ausgangspunkt für eine solch grundlegende Diskussion muss eine Reflexion der Fehler sein, die alle Beteiligten in den letzten Jahren mitverantwortet haben. Zum Konsens muss etwa gehören, dass verschiedene Konzeptionen des Protests nicht gegeneinander ausgespielt, sondern konstruktiv diskutiert werden. Ein „Bürgerfest“ oder gar „Karneval gegen Nazis“ verbieten sich daher am 13. Februar genauso wie ein Verbot friedlicher Gegenproteste in Hör- und Sichtweite des Naziaufmarsches – gedeckt durch Artikel 8 des Grundgesetzes.

Rein symbolische Akte sind zu wenig: Die Menschenkette ist eine gute Idee, sie ist aber zahnlos, findet sie nicht zeitgleich mit Naziaufmärschen statt. Wir Dresdner erachten es als unsere demokratische Pflicht, nicht nur zuzuschauen, wenn Nazis die Straße erobern wollen. Man darf nicht vergessen, dass die Blockadeaufrufe erst eine solche Dimension annahmen, weil der Bürgerprotest in Hör- und Sichtweite der Naziaufmärsche von Behörden nicht unterstützt, sondern geradezu verhindert wurde! Ziviler Ungehorsam wurde dadurch legitim.

Ein weiterer wichtiger Punkt sind offene Kooperationsgespräche im Vorfeld des 13. Februar, wie man es den Nazis mit rechtlichen Mitteln, wirklich schwer macht, aufzumarschieren. In anderen Städten bereits der Normalfall, wäre dies für Dresden Neuland. Die Dresdner Bürger dürfen nicht weiter verunsichert, sondern durch Stadt und Polizei bestärkt werden: Wir brauchen den friedlichen Protest möglichst vieler Dresdner.

Eine Mobilisierung der Dresdner wird dabei nicht gleich funktionieren, zu lange wurden friedliche Proteste diffamiert. Eine Verunglimpfung von Unterstützern als „Krawalltouristen“ verbietet sich daher. Wir halten es aber für möglich, dass mittelfristig in Dresden über 50000 Menschen einem Naziaufmarsch friedlich entgegentreten und in Hör- und Sichtweite sagen: „Wir haben Nazis satt“. So haben auch Randalierer keine Chance, die friedlichen Proteste zu missbrauchen.

Eine schwere Hürde wird es sein, die politischen Konflikte zu lösen. Wir brauchen einen „Konsens der Demokraten“. Hier muss Tacheles geredet werden. In einem Bündnis der Bürger hat die Unterteilung in „linke“ und „bürgerliche“ Proteste keinen Platz. Es muss Schluss sein mit der Unterteilung in „gute“ und „schlechte“ Proteste. Jeder friedliche Protest ist gut.

Dazu gehören klare Haltungen. Es war schwach, dass sich Ministerpräsident Tillich 2010 öffentlich freute, dass die Nazis nicht durch unsere Stadt marschieren konnten, als Ursache dafür aber die Menschenkette angab, obwohl es für jeden offensichtlich die friedlichen Blockaden waren.

Der Notwendigkeit eines gemeinsamen Vorgehens gegen den Naziaufmarsch muss sich die ganze Politik, aber auch die Zivilgesellschaft stellen. Der von OB Orosz eingeschlagene Kurs muss hier weiterverfolgt werden. Ein eindeutiges Nein zur Gewalt von allen Beteiligten – auch von Organisatoren von Protesten – muss dabei ebenso Grundlage der Bemühungen sein wie die differenzierte Betrachtung der Vorgänge abseits von parteipolitischem Kalkül. Ziviler Ungehorsam als friedliches Mittel eines entschlossenen Protestes ist eine Sache, die der Abgrenzung von Gewalttätern nicht im Wege steht!

Wir stellen jedoch fest, dass es an der Zeit ist, die Reflexion von Fehlern der Vergangenheit nicht im Mittelpunkt der Debatte zu stellen. Setzt diese nicht ein, besteht die Gefahr, dass alle Akteure in die alten Muster zurückfallen und in die bekannten Schützengräben steigen. Ein „Bündnis der Bürger“ wird es so nicht geben.