Karl Nolle, MdL
DER SPIEGEL18/2011, Seite 76, 01.05.2011
Sachsen LB - Finanzkrise - Verbrannte Millionen
Ist die Sächsische Landesbank überstürzt und zu billig verkauft worden? Gutachten wecken Zweifel daran, dass die Bank für ihre Verluste in Irland haften musste.
Eines war klar: Keiner würde aufstehen, bevor sie sich nicht geeinigt hatten. So feilschten die Herren im Sparkassenhaus am Dresdner Güntzplatz den ganzen Freitag lang, verhandelten den kompletten Samstag hindurch, um sich am Sonntagmorgen um 2.30 Uhr erschöpft die Hand zu reichen. An jenem denkwürdigen 26. August 2007 wechselte die notleidende Sachsen LB in einer deutschlandweit einmaligen Hauruck-Aktion zu einem eher symbolischen Preis von 328 Millionen Euro den Besitzer.
Der Notverkauf an die Landesbank Baden-Württemberg sollte das Kreditinstitut, das sich mit hochspekulativen Geschäften am Finanzmarkt Dublin verhoben hatte, vor dem drohenden Zusammenbruch retten: "In dieser Stunde ging es um das Wohl der Mitarbeiter, aber auch um das Wohl des Freistaats und seiner Gemeinden", sagte der damalige sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt.
Diese pathetische Sicht der Dinge könnte sich im Nachhinein als dramatische Fehleinschätzung erweisen. Bei den Ermittlungen gegen ehemalige Vorstände der Bank wegen Verdachts der Untreue und der falschen Darstellung von Geschäftsberichten sind die Fahnder auf Gutachten gestoßen, die zu anderen Ergebnissen kommen. Darin wird bezweifelt, ob die sächsische Bank überhaupt für die Irland-Geschäfte ihrer Gesellschaften haften musste. Sollte sich diese Rechtsauffassung durchsetzen, hätte der Freistaat in jener Nacht im August 2007 ohne Not Millionen verbrannt. Und die mit großem Getöse erhobene Millionenforderung nach Schadensersatz gegen ehemalige Vorstände, die am Notverkauf allenfalls noch indirekt beteiligt waren, wäre kaum mehr zu halten.
Um die Stimmung in diesen Sommertagen zu verstehen, muss man zurückgehen zu den Anfängen der Finanzkrise 2007. Damals beschränkte sich das Drama noch auf die USA. Im Juli waren zwei Hedgefonds zusammengebrochen, im August konnte die Hypothekenbank American Home Mortage ihre Gläubiger nicht mehr bedienen. Gut 50 US-Finanzierer waren bankrott oder verkauft - und die Wall Street war nervös.
Alles ein Ozean weit weg. Bis bei Regierungschef Milbradt am 14. August im Ungarn-Urlaub das Telefon klingelte. Seine Staatssekretärin war dran, es gebe ein Liquiditätsproblem bei der Landesbank. Das genaue Ausmaß sei ihr unklar, beichtete sie dem völlig überraschten Chef. Der packte die Koffer.
Was er zu Hause vorfand, so sagte Milbradt später vor dem Untersuchungsausschuss aus, "überstieg bei weitem meine bisherigen Vorstellungen". Die Höhe "der Liquiditätslücken und der Zustand der Bank haben mich ziemlich erschüttert". Die Sparkassen-Finanzgruppe musste 17,3 Milliarden Euro Liquiditätshilfen bereitstellen. Wenige Tage später reichten auch die nicht mehr: Die Bankenaufsicht drohte mit der Schließung des Geldhauses.
Horrorszenarien machten die Runde. Die Insolvenz der Bank könne einen Dominoeffekt auslösen und die gesamte Bankenlandschaft Europas erschüttern. Bis zum folgenden Bankentag musste das Kreditinstitut stabilisiert sein. Sonst, so die Sorge, würde ihm Liquidität entzogen. Es blieb nur ein Wochenende und kaum Zeit für fundierte juristische Prüfungen zur Haftungsfrage. Dabei hatte selbst in der Bank kaum jemand Durchblick.
Kernproblem der Sachsen war eine Gesellschaft mit dem Namen Ormond Quay. Die kaufte langfristige verbriefte Kredite und finanzierte sie durch kurzfristige Anleihen. Der Zinsunterschied brachte gute Gewinne. Asset-Backed Securities nannten sich die Investments - heute unter dem Kürzel ABS-Papiere berüchtigt. Im August 2007 brach der Markt nämlich zusammen, es gab praktisch keine Nachfrage mehr für Kurzfristanleihen. Die Sachsen sahen sich in der Haftung für horrende zweistellige Milliardensummen. Doch standen sie wirklich in der Pflicht?
Die renommierte Kanzlei Norton Rose kam im Oktober 2007, knapp zwei Monate nach den dramatischen Verhandlungen, zu anderen Einschätzungen. Im Auftrag der Bank untersuchten die Anwälte die Haftungsfrage "strikt für den internen Gebrauch der Sachsen LB". Die Struktur war verworren. Die Mutterbank in Leipzig hatte nur vier Prozent der Risiken übernommen, 96 Prozent die Dubliner Tochter. Über ein in Englisch abgefasstes "Valuation Agent Agreement", so glaubten Landesregierung und Bankvorstand, musste die Mutter am Ende jedoch auch für diese Risiken haften.
Norton Rose zweifelt daran: Der zentrale Punkt des Agreements "scheint nach Struktur und Systematik keine hinreichende Grundlage für eine milliardenschwere Ausgleichsverpflichtung zu sein". Ormond sei eine Zweckgesellschaft, die nicht gesellschaftsrechtlich mit der Bank verbunden sei. Schon das spreche gegen die Absicht einer unbeschränkten Haftung. Und: Der Vertrag sehe "nicht einmal im Ansatz" eine "adäquate Risikovergütung" für die gigantische Haftungssumme vor. Prüfungen nach englischem und irischem Recht seien nötig.
Die Anwälte standen mit ihrer Sicht offenbar nicht allein. Schon im Frühjahr 2007, vor dem Kollaps in Irland, hatten die Prüfer von PricewaterhouseCoopers der Bank erklärt, dass sie über allgemeine Sorgfaltspflichten und kurzfristige Liquiditätshilfen hinaus keine finanziellen Garantien für Verluste bei Ormond Quay übernehmen müsse. Ermittler verweisen zudem auf ein weiteres Gutachten aus dem Jahr 2004, das zu einem ähnlichen Ergebnis komme.
Damit war das Untergangsszenario vermutlich falsch, mit dem die Sachsen in die Verhandlungen mit der Stuttgarter Landesbank gingen. Die Dubliner Struktur wäre zwar kollabiert, der Markt, wie später bei der Lehman-Pleite, ohnehin erschüttert worden. Aber die Landesbank in Leipzig hätte es wohl überlebt.
Am Notverkauf änderte die Sicht der Gutachter aber nichts mehr. Im Gegenteil. Die Württemberger verlangten zusätzliche Garantien, drohten auszusteigen. Im Dezember sagten die Sachsen in ihrer Not eine Garantieverpflichtung für künftige Ausfälle von 2,75 Milliarden Euro zu. Im April ging die Landesbank endgültig auf die neuen Eigentümer über. Heute will sich das Finanzministerium unter Hinweis auf die laufenden Ermittlungen zu den Gutachten nicht äußern.
Der Rechnungshof hat für die Bank einen Wertverlust von 922 Millionen Euro errechnet. Der Schaden für das Land wird auf 186 Millionen Euro beziffert. Hinzu kommen 170 Millionen, die inzwischen als Garantieleistungen an die neuen Eigentümer gezahlt wurden - Tendenz steigend. 360 Millionen Euro hätten die Sachsen aktuell in den Sand gesetzt. Mit einer Bank, deren Notverkauf es womöglich nie hätte geben müssen.
Steffen Winter