Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 18.06.2010

Drei Richter nehmen ihren Minister in die Pflicht

Seit 1996 kämpft ein Jurist um Zulassung zum 2. Staatsexamen. Nun geben Verwaltungsrichter grünes Licht, eine Schlappe für das Justizministerium.
 
Sachsens Justizminister Jürgen Martens (FDP) ist erst seit 2009 im Amt und kann nichts für den anscheinend unendlichen Streit seines Hauses mit dem ehemaligen Rechtsreferendar Peter Bohnenberger aus Tübingen. Der heute 50-jährige Bohnenberger möchte werden, was Martens ist: Rechtsanwalt. Seit 1996 kämpft er um seine Zulassung zur entscheidenden Prüfung und hat dafür fast 40 Verfahren geführt. Mit einem überraschenden Beschluss ordneten Dresdner Verwaltungsrichter nun an: Bohnenberger ist zur 2. Juristischen Staatsprüfung 2010/2 zuzulassen, 14 Jahre nach seinem Studium.

Eine seltene Empfehlung

Für Justizminister Martens könnte die Causa Bohnenberger dennoch peinlich werden, von der in seinem Haus mittlerweile eine Akte mit fast 20 000 Seiten existieren soll. Denn spätestens seit November 2009 kennt er den bizarren Fall. Der Landtag hatte ihm nämlich nach rechtlicher Prüfung in der Parlamentsverwaltung und im Petitionsausschuss empfohlen, „dem Petenten die Teilnahme an der Zweiten Juristischen Staatsprüfung zu ermöglichen“. Eine solche Empfehlung, abweichend zur Rechtsauffassung des Ministeriums, ist ausgesprochen selten, sodass ein Justizminister vielleicht aller fünf Jahre damit konfrontiert wird. Martens hätte die Justizgroteske beenden können. Doch er fühlt sich nicht zuständig. Prüfungsangelegenheiten seien Sache des Landesjustizprüfungsamtes, so sein Sprecher Till Pietzker. Das Amt entscheide auch nach einem Gerichtsbeschluss unabhängig. Allein in diesem Amt fehlt wohl der Wille, den Fall zu Ende zu bringen. Müssten doch dafür Fehler und Rechtsverstöße hochdotierter, rechtskundiger Beamter eingeräumt werden, die mit Unwissenheit kaum zu begründen sind.

Rückblick: Peter Bohnenberger wurde nach zwei vermasselten Examina in Tübingen zum 31. August 1990 an der Uni Jena immatrikuliert und 1991 vom zuständigen Dekan zur Diplomprüfung zugelassen, die der 1. Juristischen Staatsprüfung gleichgestellt ist. 1993 bestand er auf Anhieb und kam danach als Referendar in den sächsischen Justizdienst. Hier absolvierte Bohnenberger alle Referendarstationen, durfte im Mai 1996 zur 2. Juristischen Staatsprüfung antreten, musste aber wegen einer Operation abbrechen. Zum nächsten Prüfungstermin durfte er nicht mehr antreten. Das Justizministerium schrieb zu Begründung: Man habe „nunmehr“, nach drei Jahren, erfahren, dass Bohnenberger eine Sonderregelung des Einigungsvertrages genutzt und sich dadurch einen dritten Anlauf zum 1. Staatsexamen verschafft habe. Der Schwabe wurde auch als Beamter auf Widerruf entlassen.

Seither kämpft der durchaus paragrafenkundige Mann um seine
Prüfungszulassung. „Es geht um meine akademische Ehre und um berufliche Rehabilitation“, sagt Bohnenberger. Dass er über die Jahre zahlreiche Verfahren verlor, führt er darauf zurück, dass den Richtern seinerzeit eine manipulierte Personalakte vorlag. Wichtige Unterlagen seien einfach ausgesondert worden. Außerdem habe ein für die Referendarsausbildung damals zuständiger Richter vor Gericht gelogen, so Bohnenberger.

Sein ehemaliger Dienstherr stellte 1995 Strafanzeige gegen Bohnenberger. Wegen Verdacht auf Anstellungsbetrug ermittelte die Staatsanwaltschaft sechs Jahre. Razzien fanden statt. Die Anklage scheiterte zweimal vor Gericht. „Ich wurde wider besseres Wissen kriminalisiert, weil schon 1994 im Justizministerium aktenkundig feststand, dass ich weder gefälscht noch getäuscht hatte“, sagt Bohnenberger. Die Strafrichter sprachen ihn 2000 zweimal frei.

Groteskes Verhalten

Sachsens Datenschutzbeauftragter stellte im 12. Tätigkeitsbericht im Fall Bohnenberger „schwere Datenschutzrechtsverstöße“ fest, die von „juristisch gut vorgebildeten Bediensteten“ begangen und genutztworden seien, um Bohnenberger zu entlassen. Hoffte der Datenschützer 2007 noch auf eine „einvernehmliche Lösung“, so stellte er im 14. Bericht fest, wer eine Lösung blockiert: „Mit einem verständnisvollen und abwägenden Handeln der beteiligten Behörden ... hätte allen Beteiligten viel Beschwernis erspart werden können.“

Zudem stellte der Landtag im November 2009 in seiner Empfehlung an den Minister fest: „Aus Gründen der Rechtssicherheit“ hätte „die Rücknahme der Zulassungsbescheide nicht erfolgen dürfen.“ Nach Ansicht des Parlamentes können die Behörden ihre Bescheide selbst widerrufen, da sie auf sogenannten
Ermessensentscheidungen beruhen. Dieses Ermessen könne gegen, aber auch für den Petenten ausgeübt werden, so der Wink der Abgeordneten an den Minister.

Bohnenberger weiß heute aus den Akten: Auch das für Referendarsausbildung zuständige Oberlandesgericht hätte ihn seit 2007 wegen der „objektiven Rechtslage“ wieder in den Juristischen Vorbereitungsdienst aufgenommen. Auch das Oberverwaltungsgericht habe 2009 angesichts der verfahrenen Rechtslage eine gütliche Einigung vorgeschlagen. Bohnenberger wäre dazu bereit und spricht von einem „mittlerweile grotesken Verhalten“ im Justizministerium. „Obwohl die höchsten zuständigen Gerichte in Sachsen, der Datenschutz und der Landtag eine Einigung nahelegen, stellt man sich quer, warum nur?“, fragt Bohnenberger und verweist auf die Kosten, die die Behörde zulasten des Steuerzahlers seinetwegen anhäufen.

Aus dem Hause von Minister Martens ist zum Fall Bohnenberger nicht viel zu hören. Die Sache sei nochmals geprüft worden, mehr könne wegen des Datenschutzes nicht gesagt werden. Da war das Ministerium 1994 unsensibler. Damalserkundigte man sich ungeniert bei den Erfurter Amtsbrüdern über Bohnenberger, was der Datenschutz später beanstandete.

Steilvorlage des Ministeriums

Nun könnte die Beratungsresistenz einiger Beamter für Minister Martens zum Problem werden. Denn das Verwaltungsgericht „verpflichtet“ das Ministerium und damit ihn in dem 20-seitigen Beschluss, Bohnenberger noch in diesem Jahr zur Prüfung zuzulassen. Die Kammer rückt ausdrücklich von der Auffassung ab, die sie noch 2004 vertreten hatte. Sie verweist darauf, dass heute ein Sachstand vorliege, der seinerzeit den Gerichten bis hin zum BGH nicht bekannt war.

Bohnenberger arbeitet seit Jahren als juristischer Mitarbeiter für eine Kanzlei und will nicht eher Ruhe geben, bis er Rechtsanwalt ist. Beobachter meinen, dass dem „juristischen Gesellen“ auf seiner Berufserfahrung die Zulassung eh zuerkannt werden könnte. So sah der hartnäckige Schwabe sofort, dass die Ministerialen in Dresden ihm eine Steilvorlage geliefert hatten, als sie ihm im Februar schrieben, dass sie nach einer ausführlichen Prüfung bei ihrer ablehnenden Auffassung bleiben. Der Brief machte es ihm erst möglich, erneut zu klagen und alle neuen Erkenntnisse in ein neues Verfahren einfließen zu lassen, das er nach Ansicht der Verwaltungsrichter mit hoher Wahrscheinlichkeit gewinnen wird. Sie machen es dem Minister sogar zur Aufgabe, dass Bohnenberger nur Prüfer prüfen dürfen, die bislang „nicht in erheblicher Weise mit dem Verfahren ... betraut waren“.
Von Thomas Schade