Karl Nolle, MdL

www.quo-vadis-dresden.de, 09.10.2011

Pflug durchs Gehirn

Bürgerliche Tumulte im Dresdner Stadtrat zur Erheiterung der Rechtsextremen
 
Politiker stehen zuweilen unter starkem Leidensdruck. Vielleicht müssen sie gerade die ganze Welt retten, wie neulich Kanzleramtsminister Pofalla. Wenn dann die eigenen Leute aus der Reihe tanzen, wie - der zugegebenermaßen anstrengende - Herr Bosbach, wenn also die eigene Abstimmungsmehrheit in Gefahr gerät, dann redet der gestresste Politiker Klartext und es fallen unschöne Sätze, wie: „Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen.

Dresdens Stadtrat Richter Brauns kennt diese innere Spannung. Sie ist praktisch sein Markenzeichen. Während dieser Adrenalinschübe hat er seine besten Momente. Nicht immer kann ihm seine Umgebung sofort folgen: Während der letzten Stadtratssitzung, am 29. September, zum Beispiel, rutschte ihm der verbürgte und schnell berühmt gewordene Befund heraus: „Dir sind sie mit dem Pflug durchs Gehirn gefahren.“ Gelacht haben zunächst nur die Herren der NPD. Mit „Dir“ war Tilo Wirtz gemeint. Wirtz gehört nicht zu seiner Fraktion, aber auch die Linken tanzen regelmäßig aus der Reihe, wenn es um Wichtiges geht. Konkret um die Rückbenennung der Albertstädter Proschhübelstraße.

Die plastische, kräftige Bildsprache Dr. Brauns ist freilich nichts für zarte Gemüter. Sie dürfte, wenn man so will, Folge einer harten Arbeitswirklichkeit sein. Der Dienst am Landgericht Dresden ist für den Richter kein Zuckerschlecken. Zugeteilt ist ihm dort die 6. Zivilkammer. Was sich hinter dem harmlos klingenden Arbeitsfeld Heilbehandlungssachen an menschlicher Not und Tragödien verbirgt, können wir nur ahnen. Richter Brauns aber muss diese verstörende Welt der Behandlungsfehler, geforderter und abgewiesener Schmerzensgelder, der Vertuschungen und des Simulantentums täglich aushalten. Er muss über die schmerzhaften Folgen vertauschter Röntgenaufnahmen, verletzter Nerven durch Apparaturen wie der computergestützten Fräse Robodoc oder Asymmetrien von Brustimplantaten Recht sprechen. Welche seelische Belastung das für ein im Grunde empfindsames Gemüt des leidenschaftlichen Landschafts- und Parkgestalters bedeutet, kann sich jeder leicht ausmalen.

Überrascht also wirklich die im Grunde besorgte Vermutung des Richters, der Linke Wirtz müsse Opfer einer besonders rabiaten Form von Ärztepfusch sein, wenn er sich mit dem Hinweis auf „Schwerter zu Pflugscharen“ öffentlich zur Sachbeschädigung militärischen Gerätes und seiner zweckentfremdeten Verwendung bekennt? Hat Dr. Brauns '89 dafür vorm Fernseher mitgefiebert, dass SED-Nachfolger jetzt frech alttestamentarische Propheten zitieren? Sind wir nun schon dahin gekommen, dass sich ein treuer Diener des sächsischen Freistaates bei einem Dunkelroten entschuldigen muss?

Straßenkampf - weitgehend im Bestand

Nicht ganz. Denn Brauns kennt natürlich alle Nuancen vorgetäuschten und wirklichen Bedauerns aus langjähriger beruflicher Praxis. Er weiß also einen Kniefall, erst recht vor einem Roten, tunlichst zu vermeiden.

„Falls Herr Wirtz meine Bemerkung als persönlichen Angriff verstanden hat, so bedauere ich das“ sagte Brauns gestern der SZ.

Denn - hoppla - Brauns bedauert seine Worte nicht, er bedauert die Möglichkeit, Wirtz könnte sich angegriffen fühlen. Für diese Empfindlichkeit des Adressaten trägt selbstredend nicht Brauns die Verantwortung, sondern Wirtz. Ohne Schuld aber keine Entschuldigung. Brauns äußert Bedauern, aber er bittet er nicht um Verzeihung. Warum auch? Und dieses Bedauern? Es ist an die Bedingung geknüpft, der Gemeinte nehme Brauns spaßigen Zwischenruf zu ernst. Das Bedauern bleibt ein Angebot, das besser nicht in Anspruch genommen werden sollte. Ein Wirtz, der sich beleidigt gibt, statt den richterlichen Spruch mannhaft einzustecken, beweist ja gerade damit, dass er genau so bescheuert ist, wie ihm Brauns bildhaft attestiert. Gut gemacht, Richter!

Der Sozialist spielt mit. Nicht die Äußerung wirft er Brauns vor, sondern „tumultartige Zustände“ die des Stadtrates unwürdig seien. Die Feinheiten einer förmlich korrekten Entschuldigung mögen da unwichtig erscheinen:

Für mich wiegen das schlechte Niveau des Antrages zur Umbenennung der Proschhübelstraße, der völlig fehlende politische Gehalt des Zwischenrufes und insgesamt die Störung der Sitzung durch Teile der CDU- und der FDP-Fraktion schwerer, als der persönliche Angriff des Stadtrates Brauns. Tumultartige Szenen sind der Rolle des Stadtrates nicht angemessen.

Glück im Unglück. Nur eine Disziplinlosigkeit. Ärgerlich trotzdem. Dabei fing der Abend im Stadtrat für Brauns vielversprechend an: Eine satte Mehrheit für Variante 5 der Königsbrücker, eine machtvolle „Abstimmung auf Rädern“ wie Richter Brauns sagen würde. Die linksgrüne Straßenbahn - für Brauns und Zastrow eine Art mobile Zwangskollektivierung - ausgebremst, den Zwergenaufstand in der eigenen Fraktion beendet und, endlich, den Weg frei gemacht für die Rehabilitierung eines Mannes, von dem Oberbürgermeister a.D. Stübel - wir zitieren nach einem Empfehlungsschreiben - sagt, er „habe bahnbrechend für das Wohl Dresdens gesorgt. Er (Paul Alfred Stübel - Anm. d. Red.) kenne keinen Bürger, der Größeres für unsere Stadt gethan hat.“

Nun, ich kenne einige, die sich bestimmt nicht hinter der Leistung des Gerühmten verstecken müssen. Hans-Joachim Brauns gehört zweifellos dazu. Wer aber ist jener Wohltäter Georg Friedrich Alfred Graf von Fabrice, an dem sich der ideologische Grabenkampf entzündet hat? Was treibt Christoph Hilles sogenannte Bürgerfraktion mit ihrem Vorstoß zur Rückbenennung der abseits gelegenen Proschhübelstraße um? Warum die irritierende Vehemenz der „freien“ Bürger, mit der sie den Nordfriedhof umtaufen wollen, selbst noch nach dem städtischen Hinweis, der Albertstädter Militärfriedhof habe nie den Namen Garnisonfriedhof getragen?

Das Bürgerbündnis fügte ihrem Antrag zur Rückbenennung von Nordfriedhof und Proschhübelstraße für den Neustädter Ortsbeirat zwei Anlagen bei, die wie der Antrag selbst einigen Aufschluss geben und unbedingt wert sind, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu werden. Das Loblied auf Fabrices Lebensleistung findet sich mehr oder weniger gleichlautend in allen drei Dokumenten. Es genügt also, wenn wir aus dem Antrag zitieren:

Seit langem besteht der Wunsch von Dresdner Bürgerinnen und Bürgern, Denkmalspflegern und hochrangigen Einrichtungen der Bundeswehr in Dresden, die nach 1945 vorgenomme-nen Umbenennungen in der Albertstadt wieder rückgängig zu machen.

Es handelt sich um den Garnisonfriedhof, der in Nordfriedhof umbenannt wurde, sowie die Fabricestraße, die zur Proschhübelstraße wurde. Die Bedeutung der Dresdner Albertstadt ist Historikern und Denkmalpflegern zwar hinlänglich bekannt, in der breiten Öffentlichkeit dürfte aber die Tatsache nicht allgemein bekannt sein, dass mit dem Bau dieser Soldatenstadt seinerzeit die modernste Kasernenanlage in Deutschland entstand, die den stationierten Soldaten menschenwürdige Lebensbedingungen ermöglichte. Der geistige Schöpfer der Anlage war der damalige Kriegsminister Alfred von Fabrice. Nach dem Minister war bis 1945 die Proschhübelstraße benannt.

Es ist nicht zu erkennen, warum diese Ruhestätte, die tatsächlich als rein militärischer Friedhof angelegt wurde, nicht seine angestammte Bezeichnung zurückbekommen sollte. Ein schöner und passender Termin für die Rückbenennung wäre die Wiedereröffnung des Militärhistorischen Museums im Jahre 2011 oder anlässlich der jährlichen Veranstaltung zum 20. Juli. Von welchen Dresdnern und Dresdnerinnen der Wunsch nach Rückbenennung ausging, verraten uns die Volksvertreter (?) nicht. Und nicht alle stationierten Soldaten teilen die Einschätzung der „freien Bürger“ Erich Kästner jedenfalls, eher unverdächtig, weil vermutlich wie mancher der „Bürger“ ein Anhänger der Königsbrücker weitgehend im Bestand, zog sich während seines Aufenthaltes dank der menschenwürdigen Lebensbedingungen der Kasernenstadt einen schweren Herzfehler zu. Sein berühmtes Antikriegsgedicht vom Serganten Waurich hätte also kaum als Anlage für den Bürgerantrag A0393/11 getaugt.

Humanes Schlachten

Zwar versichert uns der Vorstand des sächsischen Militärarbeitskreises, dass sich der älteste Sohn Frabrices als Stiftungsgründer rührend um artgerechte Tierhaltung, die Schaffung von Tierasylen und humanes Schlachten bemühte, nur geht es hier einzig um das Wirken seines Vaters. Auch wenn der längst mit Ehren beigesetzt worden war, als das wenig humane große Schlachten in Europa anfing, sein segensreiches Wirken hat zur Maßlosigkeit des Schlachtfestes durchaus beigetragen. Wir werden es uns nicht so einfach machen, in Europas größtem und modernstem Kasernenkomplex die Vorbedingung für spätere Katastrophen zu sehen, aber so viel sollte klar sein: zum militärischen Überlegenheitsgefühl einer erwachenden Hegemonialmacht trug sie allemal bei.

Dieser kausale Zusammenhang aber zwischen fortschreitender Militarisierung im ausgehenden 19. Jahrhundert und sächsischer Großmannssucht als Seitenstück zum gesamtdeutschen Geltungsdrang, der den verdienten Platz an der Sonne beanspruchte, zu den folgenden Weltkriegen, wird von Pfrengle, Donner, Hille und Brauns aufgegeben.

Geflissentlich verschweigen die Militärs und ihre Bürgervertreter um den Druckereibesitzer: Als Generalgouverneur Bismarcks und Europas größter Militärmacht hat sich Fabrice den Dank des französischen Außenministers Jule Favre, den der „Arbeitskreis Sächsische Militärgeschichte e.V.“ in seiner Zuarbeit erwähnt nicht zuletzt damit verdient, dass er ihm die Niederschlagung der Pariser Kommune ermöglichte. Eine kritische Einordnung des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 und die Umgestaltung der sächsischen Armee nach preußischen Vorstellungen wird von den „Fachberatern“ der Bürgerfraktion gleichfalls gar nicht mehr versucht. Auch auf die Frage inwieweit die Schaffung Deutschlands größter Kasernenanlage mit reichlich sprudelnden Reparationsgeldern des besiegten Erbfeindes einer besonderen Würdigung ihres Erbauers bedürfen, geht keines der Dokumente ein.

Bemerkenswert ist, dass der Kommandeur der Offiziersschule des Heeres, Pfrengle, offenkundige Kritikpunkte sogar als Argumente zur Begründung der Umbenennung anführt. Treuherzig zählt der General auf, dass in den Erweiterungen des Friedhofes „später verstorbene Kriegsgefangene verschiedener Nationen, wegen Kriegsdienstverweigerung hingerichtete Soldaten, verstorbene Zwangsarbeiter und Opfer der Bombenangriffe auf Dresden ihre letzte Ruhestätte fanden. Ihr stillschweigendes Einverständnis zum militärisch klangvollen Namen ihrer letzten Ruhestätte setzt er offenbar voraus. Zumindest fordert er keine Umbettung vor der Umbenennung.

Dass die Bundeswehr einer tiefen Orientierungskrise und eigenem gesellschaftlichem Bedeutungsverlust durch historische Rückversicherung begegnen will, ist nachvollziehbar; die Entsendung in einen völkerrechtlich umstrittenen und zudem aussichtlosen Kampfeinsatz, mangelnde moralische und politische Unterstützung an der Heimatfront, haben wie die Aussetzung der Wehrpflicht oder Standortfragen tiefe Verunsicherung hinterlassen.

Nach der Aufgabe einer „Volksarmee“ mit dem primären Ziel der Landesverteidigung überrascht ebenso wenig, dass die Kameraden bei ihrer Identitätssuche nicht sehr wählerisch sind. Von militärhistorischer Vereinsmeierei wie dem Arbeitskreis kann Sensibilität gegenüber der Dresdner - zumal der Neustädter - Bevölkerung mit ihrem bis heute unverarbeiteten Trauma der Kriegszerstörung ebenfalls nur begrenzt erwartet werden.

Vorwärts, wir müssen zurück!

Zurückhaltung der Waffennarren war gestern: In der Anlage zum Antrag geben die Bewunderer Frabrices gleich noch den würdigen Rahmen vor: Der Vorschlag, eine Rückbennenung von Proschhübelstraße und Nordfriedhof mit der Neueröffnung des Militärhistorischen Museums zu verbinden, lässt am konzeptionellen Verständnis der Waffenschau bei Hilles Bürgerfreunden und Waffenbrüdern zweifeln. Mit der (Rück-) Eroberung öffentlichen Terrains schwindet offenbar zunehmend auch das jahrzehntelang gemeinsame gesellschaftliche Interesse an kritischer Auseinandersetzung mit Militarismus und Kriegsbegeisterung.

Wenn die Bürgerfraktion und eine Dresdner Unionsmehrheit schon ungefiltert militärische Wünsche vertreten zu müssen glauben, wäre wenigstens zugleich auch ein Rest demokratischer Reflexion zu erwarten gewesen. Selbst hier beschränkt man sich auf die kritiklose Übernahme des historischen Nachrufs.

Es wäre für Demokraten ein leichtes, sich aus dem reichen Quellenmaterial über das sächsische Vorgehen gegen politisch missliebige Bürger während der Zeit der Sozialistengesetze zu informieren. Alfred von Fabrice leitete damals für viele Jahre das Staatsministerium (etwa Ministerpräsident).

August Bebel jedenfalls bescheinigt dem Königreich 1882 eine in Deutschland einmalige gesetzliche Praxis polizeilich angeordneter Ausweisungen politischer Gegner. In einer Petition an den Reichstag heißt es (S.16 ff; Rechtschreibung heutiger Schreibweise angepasst):

Es ist ... bis auf den heutigen Tag ... in Preußen auch nicht ein einziger Reichsangehöriger auf Grund der Bestrafung wegen eines politischen Vergehens ausgewiesen worden, nicht ein Einziger, und ich habe weiter zu konstatieren, dass in diesem Punkte Sachsen in ganz Deutschland ein Unikum bildet, dass in keinem deutschen Staate ähnliche Fälle der Ausweisung vorgekommen sind.
... Dass die Ausweisungen dieses oder jenes politisch hervorragend Tätigen in Sachsen der sozialdemokratischen Bewegung irgendwelchen Schaden gebracht hätte, das wird doch wohl der Herr Minister des Innern nicht behaupten wollen und überhaupt wohl niemand. Man hat also den Leuten nur so recht die Macht und Gewalt der Polizei fühlen lassen wollen und man hat versucht, sie mehr oder weniger tödlich in ihren Interessen zu treffen. Man hat aber durch solche Maßregeln gegen Einzelne auch weite Kreise der Bevölkerung aufgereizt und in Aufregung gebracht, das ist das Ganze, was man erreicht hat.

Wer Bebels Analyse liest, glaubt sich mit Blick auf die aktuelle Kriminalisierung von Widerstand gegen Rechtsextremismus in einer Zeitschleife gefangen. Ist es dieses geistige Klima, das wir rehabilitieren wollen? Meinen Hille und seine Kameraden nicht Rückkehr, wenn sie von Rückbenennung sprechen? Wollen wir die geistig-kulturelle Anbindung Sachsens an reaktionärste Phasen seiner Geschichte zur Erheiterung der Rechtsextremen im Stadtrat?

Dass dort heute pazifistischer Widerstand, wie er sich mit der damaligen Aktion „Schwerter zu Pflugscharen“ auch gegen militaristische Auswüchse in der DDR richtete, verhöhnt wird, gehört für Richter Brauns vermutlich zu den unvermeidlichen Kollateralschäden. Wahrscheinlich bemerkt er sie nicht einmal.
von Johannes Hellmich