Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 01.11.2011

Merkels taktischer Mindestlohn-Schwenk

Kommentar von Dieter Wonka
 
Angesichts des demografischen Wandels ist absehbar, dass bald nicht einmal mehr aus ideologischen Gründen ernsthaft über eine würdevolle Entlohnung für Arbeit gestritten werden wird. Deshalb wäre es gut, würde der unsägliche Streit um etwas mehr Gerechtigkeit in unserer Arbeitsgesellschaft rasch beendet. Leider geht es der Kanzlerin mit ihrer neuesten Wende erkennbar nicht um die Sache, schon gar nicht um mehr Gerechtigkeit.

Angela Merkels öffentlich inszenierte Mindestlohn-Wende - wieder einmal vorangetrieben von Ursula von der Leyen - ist kein Beitrag zu mehr Realismus. Das kommt heraus, wenn Politik ohne feste Leitplanken tagesaktuell geplant und wieder revidiert wird, je nach Stimmungslage.

Die Bestimmerin der Union hat schon einmal in Leipzig die CDU umgedreht. 2003 war sie, ganz zeitgeistig und ohne viel Grundsatz, neoliberal eingestimmt. Jetzt, wieder vor einem Leipziger Parteitag, will sie zurück in die Zukunft. Merkel bleibt Merkel.

Jahrelang hat die Kanzlerin sich vom Schicksal einer Niedriglohn-Gesellschaft nicht schrecken lassen. Jetzt, da die FDP unrettbar verloren scheint, wirkt ihr Schwenk arg taktisch motiviert. Der SPD sollen die Wahlkampf-Argumente weggeräubert werden durch Merkels Inbesitznahme. Die will einfach das bleiben, was sie ist - Chefin. Deshalb braucht die Kanzlerin ihren Wahlverein. So wirkt Politik mehr und mehr beliebig. Das wird den Respekt vor der Politik und dem Handeln der Politiker nicht erhöhen. Und es passt zum Bild, das bereits mit der Reaktion auf das Schulden-Europa geprägt wurde: Regierungspraxis wird immer seltener durch neuen Erkenntnisgewinn begründet, sondern eher zum panisch begründeten Täuschungsmanöver.