Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 19.11.2011

Neonazi-Trio hatte vermutlich Helfer in Sachsen

Immer mehr verdichten sich die Hinweise, dass die Nazi-Terrorgruppe NSU Helfer in Sachsen hatte, vermutlich ein ganzes Netzwerk. Unterdessen tauchte eine Liste von ihr auf, die auch Namen sächsischer Politiker enthält.
 
Immer mehr verdichten sich die Hinweise, dass die Nazi-Terrorgruppe NSU Helfer in Sachsen hatte, vermutlich ein ganzes Netzwerk. Unterdessen tauchte eine Liste von ihr auf, die auch Namen sächsischer Politiker enthält. Was die Liste mit 9.000 Datensätzen bezweckte, ist unklar. Eine konkrete Gefahr für die Personen soll nicht bestehen.

Berlin/Dresden. Das Neonazi-Trio aus Zwickau hat nach Erkenntnissen des Bundeskriminalamtes (BKA) möglicherweise von einem Unterstützer-Netzwerk profitiert. Das sagte BKA-Präsident Jörg Ziercke am Freitag auf entsprechende Fragen bei der Pressekonferenz nach dem Krisengipfel zur Neonazi-Gewalt in Berlin. Die rechtsextreme Gruppe Thüringer Heimatschutz, aus der der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) entstanden ist, habe zeitweise 170 oder 180 Mitglieder gehabt. „Das kann auf ein Netzwerk hinauslaufen.“

Inzwischen befinden sich mindestens vier Verdächtige direkt im Visier der Ermittler. Auf die Frage, ob es zusätzlich zu den beiden bereits in Untersuchungshaft sitzenden Verdächtigen Holger G. und Beate Zschäpe zwei Beschuldigte gebe, bestätigte Generalbundesanwalt Harald Range am Freitag in Berlin: „Zwei plus zwei.“ Unklar blieb, wer die weiteren Verdächtigen sind. Nach früheren Medieninformationen gehören zwei Thüringer Neonazis dazu. Sie sollen das Trio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Zschäpe unterstützt haben. Böhnhardt und Mundlos sind tot. Sie haben sich nach Angaben der Behörden selbst getötet. Holger G. wurde in Niedersachsen festgenommen.

Gut vernetzt im Erzgebirge

Nach Informationen der Linken-Politikerin Kerstin Köditz war die Terrorgruppe NSU im sächsischen Erzgebirge gut vernetzt. Demnach sollen ihr mindestens fünf Personen aus Johanngeorgenstadt angehört haben beziehungsweise deren Unterstützer oder Mitwisser gewesen sein. Auch die bei den Ermittlungen genannten Zwillinge würden zur Johanngeorgenstädter Gruppe gehören. „Einer der beiden soll gemeinsam mit seiner Ehefrau an der Produktion des Videos direkt beteiligt gewesen sein“, hieß es. Köditz ist in der Landtagsfraktion der sächsischen Linken für Rechtsextremismus zuständig. Die Politikerin warf den sächsischen Sicherheitsbehörden ein eklatantes Versagen vor.

Inzwischen tauchten auf einer NSU-Liste auch Namen sächsischer Politiker auf. Bei den Linken in Sachsen sollen sechs frühere und derzeitige Abgeordnete gelistet sein, bei der SPD vier. Die Angaben - Büroadressen, Telefon- und Faxnummern - basieren auf öffentlich zugänglichen Quellen. Die entsprechende Datei mit rund 9.000 Datensätzen war auf einem USB-Stick in den Trümmern des Zwickauer Wohnhauses gefunden worden, wo das Neonazi-Trio zuletzt Unterschlupf fand. 326 Datensätze haben einen Bezug zu Sachsen.

Debatte um Konsequenzen aus Gewaltserie

Das Innenministerium bestätigte am Nachmittag die Liste. Auf ihr seien Institutionen, Unternehmen, Einrichtungen politischer Parteien und Einzelpersonen aus ganz Deutschland aufgeführt. „Der optische Eindruck der Listen lässt vermuten, dass sie aus öffentlich zugänglichen Quellen vor mehreren Jahren erstellt worden sind“, erklärte ein Ministeriumssprecher. Die Ermittlungsbehörden würden aktuell davon ausgehen, dass keine Gefahr für Einzelpersonen bestehe. Es gebe keine konkreten Anhaltspunkte für die Planung konkreter Straftaten. Die Betroffenen würden informiert.

Unterdessen ging die Debatte um Konsequenzen aus der beispiellosen Gewaltserie der NSU mit wahrscheinlich zehn Morden, Banküberfällen und anderen Straftaten weiter. „Wir müssen die Struktur des Verfassungsschutzes überprüfen und überlegen, ob die 16 Landesämter nicht zusammengelegt werden können“, forderte CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer in Dresden.

Sachsens Grüne gegen Superbehörde

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hatte zuvor die Zahl von drei oder vier statt 16 Ämtern ins Gespräch gebracht. Sachsens Grüne sprachen sich gegen eine länderübergreifende Superbehörde aus. Vielmehr sei darüber zu debattieren, wie man die parlamentarische Kontrolle über die Arbeit des Verfassungsschutzes durchsetzen könne.

Mit einer Mahnwache will Zwickauer der Opfer rechter Gewalt gedenken und einen Appell für Demokratie starten. „Die Zwickauer sind fassungslos und schockiert, dass das rechte Mordtrio scheinbar unbemerkt inmitten unserer Stadt gelebt hat“, sagte die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Südwestsachsen, Sabine Zimmermann, der Nachrichtenagentur dpa. Gemeinsam mit der Stadt organisiert der DGB deshalb einen „Zwickauer Appell“ am 25. November auf dem Georgenplatz. Erwartet werden mehrere tausend Teilnehmer. (dpa)