Karl Nolle, MdL
spiegel-online, 21:17 Uhr, 23.11.2011
Polizei hatte schon 2002 Hinweise auf Terror-Trio
War den Behörden der Aufenthaltsort der Neonazi-Terrorzelle schon im März 2002 bekannt?
Der Thüringer Generalstaatsanwalt sagt, dass die Polizei damals Hinweise hatte. Wie die Ermittler mit der brisanten Information umgingen, ist nicht bekannt.
Erfurt - Die Polizei hatte offenbar schon im März 2002 Hinweise auf den Aufenthaltsort des gesuchten Terror-Trios in Chemnitz. Das gehe aus einem Aktenvermerk hervor, sagte der Thüringer Generalstaatsanwalt Hartmut Reibold am Mittwoch in Erfurt. Er habe aber keine Kenntnis, wie die Polizei in Thüringen oder Sachsen weiter vorgegangen sei. "Das war Aufgabe der Polizei."
Für die Staatsanwaltschaft sei mit der Ausschreibung des Haftbefehls alles getan gewesen. Es habe mehrmals Hinweise gegeben, dass sich Zielfahnder den mutmaßlichen Terroristen "ganz nahe fühlten". Die Staatsanwaltschaft habe aber definitiv nicht gewusst, wo sie sich befanden.
Dass das Terror-Trio den Behörden durchaus bekannt war, wurde am Mittwoch auch im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags deutlich. Laut "Welt" wurde den Abgeordneten mitgeteilt, dass die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe sich bereits 1998 mit den Neonazis Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe befasst habe. Karlsruhe wurde offenbar eingeschaltet, weil die drei mit Sprengstoff erwischt wurden. Da man die Gruppe damals aber nicht als terroristische Vereinigung einstufte, bearbeitete schließlich nur die Thüringer Justiz den Fall weiter - und das Trio konnte in den Untergrund abtauchen.
Thüringens Generalstaatsanwalt Reibold sagte außerdem, dass der mutmaßliche Rechtsterrorist Böhnhardt noch 2007 zur Fahndung ausgeschrieben stand. Wegen einer Verurteilung im Jahr 1997 habe ein Vollstreckungshaftbefehl gegen ihn vorgelegen, sagte der Generalstaatsanwalt. Böhnhardt war unter anderem wegen Volksverhetzung und Körperverletzung zu einer Haftstrafe verurteilt worden, die er jedoch nie antrat.
Zudem bestätigte Reibold, dass Böhnhardt selbst die Ermittler 1998 zu dem Garagenkomplex geführt habe, in dem sich die Bombenwerkstatt des Neonazi-Trios befand. Weil er zu dem Zeitpunkt aber noch nicht amtlich vorgeladen war, habe sich Böhnhardt nach der ergebnislosen Durchsuchung der ersten Garage entfernt. In seiner Abwesenheit sei dann in einer anderen Garage der Sprengstoff sichergestellt worden.
Neue Kritik am Verfassungsschutz
Unterdessen gerät der Verfassungsschutz immer weiter in die Kritik. Der ehemalige hessische Verfassungsschützer, der in einem Zusammenhang zu dem Mord in Kassel stehen könnte, soll zwei rechtsextreme V-Männer geführt haben. Dabei handele es sich um einen türkischen Nationalisten und einen deutschen Neonazi, berichtet die "Frankfurter Rundschau" auf ihrem Onlineportal.
Letzterer soll vor seiner Anwerbung 2001 an einer Demonstration teilgenommen haben, die vom "Thüringer Heimatschutz" organisiert wurde. Dieser hatte Kontakte zur Zwickauer Terrorgruppe. Der hessische Verfassungsschutz wollte den Bericht auf Anfrage nicht bestätigen.
Friedrich prüft neues NPD-Verbotsverfahren
Neuer Schwung kommt derweil in die Debatte um ein NPD-Verbotsverfahren. Nach der Neonazi-Mordserie will die Bundesregierung die Erfolgschancen eines neuen Verfahrens prüfen - und zwar ohne Komplettabzug aller V-Leute aus der Partei. Das erste NPD-Verbotsverfahren war 2003 am Bundesverfassungsgericht gescheitert: Die obersten Richter hatten die hohe Zahl an V-Leuten in der rechtsextremen Partei bemängelt.
"Wir werden prüfen, ob es einen gangbaren Mittelweg gibt", sagte nun Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) der "Rheinischen Post". Natürlich seien aber auch weiter "Informationen aus dem Innenleben der Partei ungemein wichtig", unterstrich der Innenminister.
Der SPD-Innenexperte Thomas Oppermann forderte dagegen, die V-Leute vollständig abzuziehen. "Wir brauchen keine V-Leute, um belegen zu können, dass die NPD verfassungswidrig ist", sagte er.
Haben NPD-Leute das Terror-Trio unterstützt?
Heikel ist die Frage auch deshalb, weil Mitglieder der NPD laut Oppermann die Zwickauer Terrorzelle unterstützt haben könnten. Es gebe Hinweise, dass in der Unterstützerszene der mutmaßlichen Terroristen auch Mitglieder der NPD tätig waren, sagte Oppermann nach einer Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG) im Bundestag, zu der unter anderem Vertreter des Bundeskriminalamtes geladen waren. "Dies ist eine wichtige Information, auch für das angestrebte neue Verbotsverfahren gegen die NPD."
Umstritten ist daneben auch die politische Aufklärung der Terror-Morde. Hier werden nach Angaben von Oppermann vier Varianten erwogen: das Parlamentarische Kontrollgremium, ein Untersuchungsausschuss, ein Sonderermittler oder eine Experten-Kommission von Bund und Ländern. Die Entscheidung soll noch diese Woche fallen. Es könnte auch eine Kombination geben, beispielsweise aus Expertenkommission und Sonderermittler.
Bei ihren Ermittlungen hatte die Polizei Datensammlungen der Rechtsextremen mit insgesamt 10.000 Namen und Adressen von Organisationen und Politikern gefunden. Auf einer Liste standen 163 Bundestagsabgeordnete sowie eine ähnlich große Zahl von ehemaligen Parlamentariern. Sie hätten sich aber zu keiner Zeit in "konkreter Gefahr" befunden, sagte Oppermann unter Berufung auf das Bundeskriminalamt.
In einem anderen Fall sollen V-Leute nützlich gewesen sein
Während der Verfassungsschutz bei der Zwickauer Terrorzelle keine rühmliche Figur abgegeben hat, steht er in einem anderen Fall besser da. So soll die Festnahme zweier Bombenleger aus Aachen im vergangenen Jahr V-Leuten des Verfassungsschutzes zu verdanken gewesen sein. Das berichtet der "Tagesspiegel". Sie hätten den entscheidenden Hinweis bei den Ermittlungen gegen die Neonazis gegeben. Ohne die Festnahme "hätte sich möglicherweise eine weitere Terrorgruppe neben dem "Nationalsozialistischen Untergrund" gebildet, zitiert das Blatt Sicherheitskreise.
Die beiden Männer waren seinerzeit mit sechs selbst gebauten Splitterbomben nach Berlin gefahren, die sie am 1. Mai 2010 am Rande einer Neonazi-Demonstration zünden wollten. Als sie in eine Polizeikontrolle zu geraten drohten, warfen sie die Sprengsätze weg und flüchteten. Im September 2010 wurden sie gefasst. Im Februar 2011 verurteilte das Landgericht Aachen die beiden Beschuldigten zu jeweils zwei Jahren Haft.
Durch die Hinweise der Spitzel sei damals auch die Gefahr beseitigt worden, dass die Neonazis erneut einen Anschlag versuchen konnten, schreibt der "Tagesspiegel". Einer der beiden Männer habe nach dem missglückten Anschlag in Berlin weitere Sprengkörper hergestellt.
wal/dpa/dapd