Karl Nolle, MdL
Süddeutsche Zeitung, 29.11.2011
Nürnberg: Tatorte mit brauner Vergangenheit
Es fällt schwer, an Zufall zu glauben: Die drei Neonazi-Morde in Nürnberg fanden in unmittelbarer Nähe zu historischen Orten der Nationalsozialisten statt. Die Ermittler schließen nicht aus, dass noch weitere Spuren in die Stadt führen, in der die Mordserie ihren Anfang nahm.
Birgit Mair hat sich die drei Tatorte in Nürnberg kürzlich noch einmal an einem Tag angeschaut. Die Leiterin des Instituts für Sozialwissenschaftliche Forschung, Bildung und Beratung beschäftigt sich seit Jahren mit dem Rechtsextremismus. Dass es reiner Zufall war, dass die Serie der Nazi-Mordanschläge gerade in Nürnberg begonnen hat - in der Stadt der ehemaligen Reichsparteitage - fällt ihr schwer zu glauben. Zu nahe liegen die Tatorte der Neonazis an den historischen Tatorten der alten Nazis.
Der erste Tatort: ein Blumenstand in einem Waldstück in Nürnbergs Südosten, nicht weit entfernt von einem früheren SA-Lager. Der zweite Tatort: eine Änderungsschneiderei in der Südstadt, nahe einer ehemaligen SS-Kaserne. Der dritte Tatort: ein Imbiss-Stand im Süden der Stadt, kaum 500 Meter entfernt vom früheren Reichsparteitagsgelände.
Alles Zufall? Natürlich könnte das Zufall sein, sagt Mair. Aber auch schon, als keiner wusste, dass die Morde von Neonazis ausgeübt wurden, blieb da dieses mulmige Gefühl: dreimal Nürnberg. Dreimal entweder im Süden oder im Südosten der Stadt, die jeweils geprägt sind von hohem Migrantenanteil - und in dem so viele ehemalige NS-Bauten stehen wie nirgendwo sonst in Deutschland. "Ich habe für mich nie ausgeschlossen", sagt Mair, "dass man das deutsch-türkische Miteinander ins Herz treffen will. Und das möglicherweise an einem symbolischen Ort."
Man müsse sich hüten, sagt Mair, zu einfache Rückschlüsse zu ziehen. Andererseits spreche vieles dafür, dass die Spur der Neonazis nicht zufällig nach Nürnberg führt. Da ist die Bekenner-DVD, die nach dem Selbstmord der Neonazis bei den Nürnberger Nachrichten abgegeben wurde - und das einen Tag, bevor das Auffliegen der Terrorzelle das Land erschreckte. Sollte da ein symbolischer Kreis geschlossen werden? Hier hatte die Mordserie im September 2000 begonnen - sollte sie hier auch auffliegen?
Die Ermittler schließen nicht aus, dass weitere Spuren nach Nürnberg führen. Man habe sich das schon seit 2000 genau angeschaut, sagt einer, nur sei man nie auf eine Spur gestoßen. Nicht das "Schwarze unter dem Fingernagel" habe man entdeckt, sagte der damals zuständige Nürnberger Polizeipräsident Gerhard Hauptmannl vor einem Jahr. Jetzt geht man allen Spuren noch mal nach: Da ist der fanatische Neonazi aus Franken, Gerhard Ittner, der seit dem Frühjahr 2005 abgetaucht ist und unter anderem wegen Volksverhetzung zu 33 Monaten Gefängnis verurteilt worden ist.
Ittner hatte im Gerichtssaal einer Staatsanwältin nicht nur die "Todesstrafe" angedroht. Er war 2003 auch als Veranstalter eines Nazi-Marsches aufgetreten, den Ittner von der "Führertribüne" des Nürnberger NS-Geländes zum "historischen Hauptmarkt" geführt wissen wollte. Ittner pflegte enge Verbindungen zu Thüringer Neonazis.
Und er ist nicht der einzige Neonazi, der vom Nürnberger Süden oder Südosten aus Fuß zu fassen versuchte. Von hier aus gab Matthias F., der führende Kopf der 2004 verbotenen "Fränkischen Aktionsfront", das Agitationsblatt "Landser" heraus. Vor einem Gefängnisaufenthalt unterhielt auch er gute Beziehungen zu Kameradschaften in Thüringen. In einem Stimmbezirk des Stadtteils Werderau erreichte die NPD-Tarnliste "Bürgerinitiative Ausländerstopp" im Jahr 2002 10,4 Prozent, bis heute richten die Rechtsextremisten ihren Fokus auf diesen Bezirk. Und im Stadtteil Zerzabelshof erkoren Neonazis 2005 eine Gaststätte namens "Reichswald" zum Treffpunkt.
Alles Zufall? Ebenfalls im Süden Nürnbergs tauchte 2011 der Gründer der Wehrsportgruppe Hoffmann, Karl-Heinz Hoffmann, mit einem gespenstischen Auftritt aus der Versenkung auf. Hoffmann wollte in einem Wirtshaus über die "historische Wahrheit" der paramilitärischen Gruppe sprechen. Zuvor war sein Anwesen nach Sprengstoff untersucht worden. Hoffmann hatte Kameraden in Ostdeutschland besucht, darunter Neonazis aus Thüringen. Weil in abgehörten Gesprächen der Neonazis von Sprengstoff die Rede war, wurde auch bei Hoffmann gesucht, ohne Ergebnis.
Bei jenem Auftritt in Nürnberg warb ein Neonazi dafür, bei der Sanierung eines Schlosses, dem früheren Sammelort der "Wehrsportgruppe", mitzuhelfen. Jener Neonazi und ehemalige NPD-Funktionär verhöhnte die Opfer kurz nach dem Auffliegen der thüringischen Terrorzelle im Internet: "Tod dem Döner, es lebe die Nürnberger Bratwurst", schrieb er - und stellte dazu ein Bild vom sechsten Nazi-Tatort in der Nürnberger Südstadt.
Von Olaf Przybilla