Karl Nolle, MdL
sueddeutsche.de, 18:10 Uhr, 03.12.2011
Zwickauer Terrorzelle: Brief schürt Spekulationen über Spitzeltätigkeit Zschäpes
Arbeitete Beate Zschäpe zeitweise für einen Geheimdienst? Nach Informationen von sueddeutsche.de soll der Vater des mutmaßlichen Neonazi-Terroristen Uwe Mundlos vor längerer Zeit ein anonymes Schreiben erhalten haben, das solche Angaben enthält. Aus dem Brief geht offenbar auch hervor, warum die Rechtsextremistin den Deal mit dem Staat suchte.
Im Fall der Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) sind neue Fragen zur Rolle der Sicherheitsbehörden aufgetaucht. Es geht um etwaige Kontakte zu Beate Zschäpe, die zusammen mit Uwe Bönhardt und Uwe Mundlos das Zwickauer Terrortrio bildete. Die Ermittler haben nach Informationen von sueddeutsche.de Hinweise auf einen Brief, in dem von einer früheren Informanten-Tätigkeit Zschäpes für staatliche Behörden die Rede ist.
Über dieses Schreiben gibt es einen Aktenvermerk, wie verschiedene Mitglieder des Thüringer Landtages auf Anfrage bestätigten. Demnach ging der Brief vor dem Abtauchen der drei Neonazis 1998 beim Vater von Uwe Mundlos ein. Dieser ließ eine entsprechende Anfrage unbeantwortet. Wo sich das Original des Dokuments heute befindet, ist unklar.
Der anonym abgefasste Brief beschreibt angeblich auch, warum die Rechtsextremistin in den neunziger Jahren mit den Behörden kooperierte. Beweggrund soll eine mögliche Strafmilderung für einen Verwandten gewesen sein. Thüringens Justizministerium wollte die Existenz eines solchen Briefes weder bestätigen noch dementieren.
Bereits zuvor kursierten Gerüchte, wonach Zschäpe für einen Geheimdienst Informationen aus der rechten Szene zusammengetragen hat. 1998 tauchte Zschäpe zusammen mit Bönhardt und Mundlos unter, nachdem die Polizei deren Werkstatt zum Bombenbau entdeckt hatte. Danach versuchte der thüringische Verfassungsschutz das Trio zur Aufgabe zu bewegen, wie Bönhardts damaliger Verteidiger Gerd Thaut sueddeutsche.de bestätigte. Der Rechtsanwalt erinnert sich, wie "kurze Zeit nach dem Verschwinden" der drei Neonazis ein Mitarbeiter des Thüringer Verfassungsschutzes in seiner Kanzlei in Gera erschienen sei.
Deal mit dem Verfassungsschutz
Der Beamte offerierte demnach im Auftrag des damaligen Amtschefs Helmut Roewer einen Deal: Sollten sich die drei Flüchtigen freiwillig stellen, könnten sie mit einer Strafmilderung rechnen - sie würden nur wegen Sprengstoffbesitzes angeklagt werden und nicht wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung. Thaut sagt, er habe das Angebot Böhnhardts Mutter in Jena übermittelt, die dem Vorhaben "sehr wohlwollend" gegenüberstand: Sie habe gehofft, dass ihr Sohn aus der rechten Szene aussteigt. Kontakt zu den drei Gesuchten hatte Thaut allerdings nicht: Es bleibt somit offen, ob das Trio überhaupt an einem Deal interessiert gewesen wäre - mit einem Staat, den es grundlegend ablehnte.
Die Initiative des Verfassungsschutzes fand ohnehin ein schnelles Ende: Die Staatsanwaltschaft in Gera "blockte eine Strafmilderung sofort ab", sagte Thaut. "Der Staatsanwalt ging davon aus, dass die Gesuchten ohnehin bald gefasst werden."
Es kam bekanntlich anders: Das Trio begann ein mörderisches Treiben in der Illegalität. Die Terrorzelle soll für neun Morde an Kleinunternehmern türkischer und griechischer Herkunft in den Jahren 2000 bis 2006, den Mordanschlag auf zwei Polizisten in Heilbronn im April 2007 und zwei Bombenanschläge in Köln 2001 und 2004 verantwortlich sein. Außerdem werden den Terroristen 14 Banküberfälle zur Last gelegt
Observiert wurden die Neonazis angeblich immer wieder, nur die Festnahme klappte ein ums andere Mal nicht - ein Umstand, der die Thüringer Politiker an Landeskriminalamt und Landesverfassungschutz zweifeln lassen. Mehrere Aktenvermerke deuten auf ein seltsames Verhältnis zwischen den Sicherheitsbehörden hin.
Bönhardts früherer Rechtsanwalt Thaut hörte von seinem einstigen Mandaten die letzten 13 Jahren nichts mehr, sagt er. Bis zu jenem Tag Anfang November, als die Terrorzelle und ihre Verbrechen aufflogen. "Dass der Bönhardt eine rechte Gesinnung hat, war klar", sagt Thaut von dem Mann, dem er einst vor Gericht beigestanden hat. "Aber, dass er zu solchen Dingen fähig ist, konnte man sich damals nicht vorstellen."
Von Oliver Das Gupta