Karl Nolle, MdL

SUPERillu.de, 04.12.2011

"Nicht mehr Rechte im Osten als im Westen"

Jenas OB Albrecht Schröter im Interview
 
Um Neonazi-Demos zu verhindern, rief Jenas Oberbürgermeister Albrecht Schröter zu Sitzblockaden auf und fing sich dafür schon mal Schelte von Juristen ein. Ausgerechnet in der Woche, in der er vom Förderkreis des Berliner Holocaust-Denkmals deswegen für "Zivilcourage gegen Rechts" ausgezeichnet wurde, kam die Meldung, dass alle drei Mitglieder des harten Kerns der Neonazi-Terrortruppe NSU aus seiner Stadt stammten. Die Täter wuchsen in Jena auf, fielen dort schon in den 90er-Jahren als Rechtsradikale auf.

Herr Schröter, wie erklären Sie sich, dass die Täter ausgerechnet aus Jena kommen, einer Studentenstadt, mit vergleichsweise gut funktionierender Wirtschaft?

In den 70er- und 80er-Jahren war Jena eine Hochburg des Widerstands gegen das SED-Regime. Da gab es zwei verschiedene Strömungen. Die Linken oder christlich Gesinnten waren die einen. Und die Skinheadszene die anderen. Und von denen hat sich, nach der friedlichen Revolution und sicher auch befördert durch die große gesellschaftliche Verunsicherung dieser Zeit, eine Linie entwickelt, die in Neonazismus übergegangen ist. Das gab es in vielen anderen ostdeutschen Städten genauso. Auch wenn es uns natürlich sehr nachdenklich macht, dass diese rechtsradikalen Mörder ausgerechnet aus unserer Stadt stammen.

Gibt es in Ostdeutschland mehr Rechtsradikale als im Westen?

Nein. Auch rechter Terror ist keine ostdeutsche Erfindung, wenn ich an den Anschlag auf das Münchner Oktoberfest 1980 erinnern darf. Aber es ist schon so, dass in der Gesellschaft der DDR, die ihren Jugendlichen immer einfach einimpfte, wir seien alle die Nachfolger der Guten gewesen, die Meinungen und Ursachen, die zu rechtsradikalem Gedankengut führen, nicht ehrlich besprochen wurden.

Hoyerswerda oder Rostock-Lichtenhagen leiden bis heute unter dem Image rechtsradikaler Vorfälle dort. Muss das jetzt auch Jena fürchten?

Nein. Nicht, wenn wir offen damit umgehen. Und wenn wir klarmachen, dass wir mutig gegen Rechtsextremismus auftreten. Ich appelliere an alle Kommunalpolitiker von Städten und Gemeinden, in denen es eine rechtsradikale Szene gibt, das Thema nicht aus Angst vor Imageschäden totzuschweigen, sondern offen und entschlossen dagegen vorzugehen, Gesicht zu zeigen. Wir machen das in Jena seit vielen Jahren und das wird auch anerkannt. Jena hat aus der Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus, die wir schon in den 90er-Jahren geführt haben, sehr viel Kraft gewonnen. Viel stärker als damals wehrt sich heute die Mitte der Gesellschaft und nicht mehr nur einzelne kleine Gruppen, die noch dazu wegen vermeintlich linker Gesinnung diskreditiert werden. Wir haben es in Jena geschafft, dass mehrere Tausend Menschen an Veranstaltungen gegen Nazi-Demos teilnehmen. Mit dem Ergebnis, dass es bei uns seit 2007 keine Nazi-Aufmärsche mehr gibt.

Sie riefen auch zu einer Sitzblockade gegen eine Nazi-Demo in Dresden auf. Gegen einige der Teilnehmer, wie den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König, wird nun wegen Landfriedensbruch ermittelt...

Diese Anklagen fallen doch nach und nach wie Kartenhäuser zusammen. Von drei Klagen gibt es derzeit noch zwei, eine davon dürfte auch nicht mehr haltbar sein. Der Versuch sächsischer Behörden, die Zivilcourage der Menschen so zu behandeln, halte ich nicht für richtig. Das entmutigt doch die Menschen, die sich gegen Rechtsradikale einsetzen. Wir möchten von der sächsischen Landesregierung gerne wissen, wie sie sich einen zulässigen Protest gegen Naziaufmärsche in Dresden vorstellt. Darauf habe ich bisher nur wenig Antworten bekommen.