Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 17.12.2011

Terrortrio: Erster Fluchtpunkt Chemnitz

Bevor das rechte Terrortrio in Zwickau untertaucht, lebt es in Chemnitz. Dort benutzt es seine Kontakte in die Rechtsrockszene – und einen Steinmetz, der heute in Dresden lebt.
 
Der Mann hat zwei Kinder. Seine Frau fährt einen Kleinwagen. Er ist 33, hat einen guten Job, einen Meisterbrief, ist bei den Kollegen beliebt. Er wohnt in einem Altbau im Dresdner Szeneviertel Neustadt, die Nachbarn schätzen ihn. Und doch ist nichts mehr normal im Leben von Max B. – zumindest nicht seit dem 24. November.

An jenem Tag, morgens um kurz nach sechs, stürmt ein Sondereinsatzkommando der Polizei Max B.‘s Mietwohnung. Die schwarz gekleideten Beamten brechen die Haustür auf, sichern das Treppenhaus, dringen in die Wohnung ein. „Wir dachten, da ist ein schwerer Schrank umgefallen“, erzählt ein Nachbar. Am Nachmittag dieses 24. Novembers sagt ein Sprecher der Bundesanwaltschaft, bei der Razzia in Dresden sei „Beweismaterial“ sichergestellt worden. Max B. steckt mittendrin in den Ermittlungen rund um das Nazitrio Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Die Polizei verhört ihn stundenlang, in Ermittlungskreisen heißt es, er habe „viel gesungen“. Der Mann, dessen Leben so normal erschien, führt ein Gespräch mit einem „Spiegel“-Reporter, schraubt seinen Namen vom Klingelschild ab und nimmt sich einen Anwalt.

Was ihn in der Gegenwart um die Normalität bringt, hat mit seiner Vergangenheit zu tun. Mit seiner Vergangenheit als Skinhead und Liebhaber von Rechtsrock.

Max B. lebt in den 1990er-Jahren in Chemnitz, macht dort eine Steinmetzlehre. Dabei, so erzählt er dem Mann vom „Spiegel“, sei er in die rechte Szene gerutscht, habe sich die Haare abgeschnitten. Anfang 1998 – Max B. ist da schon 20 – geht er auf ein Rechtsrockkonzert. In Chemnitz sind Bands wie „AEG (Auf eigene Gefahr)“, „Störfaktor“ oder „Keine Reue“ angesagt. Oder Gruppen, die rechtsextremen Netzwerken wie „Blood & Honour“ (Blut & Ehre) angehören – zwei Worte, die einst in die Fahrtenmesser der Hitlerjugend eingraviert waren. Der polizeiliche Staatsschutz schreibt in seinem Jahresbericht 1998, Skinheadkonzerte würden zunehmend „als private, geschlossene Veranstaltungen“ angemeldet, „oft mit geladenem Personenkreis“. Die Anmelder träten dabei „seriös auf und sind dem Äußeren nach nicht als Szeneangehörige zu erkennen“.

Auf einem solchen Konzert, zwischen Gitarrenkreischen und Schlagzeugdonnern, inmitten grölender Skins, hat Max B. sie getroffen: Beate Zschäpe, mutmaßliches Mitglied der Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“. Sie habe gut ausgesehen, sagt er dem „Spiegel“-Mann. Besser als die anderen Frauen aus der Szene, mit schulterlangem, blondem Haar, „nicht wie eine Nazi-Braut“. Über seinen Anwalt lässt Max B. der SZ hingegen mitteilen, er habe die „äußerlich unauffälligen“ Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt zu dieser Zeit „irgendwie“ kennengelernt.

Offen bleibt, ob Max B. gewusst hat, dass die drei als „Bombenbastler von Jena“ auf der Fahndungsliste der Polizei stehen. Seit dem 26. Januar 1998 ist das Trio auf der Flucht – Kriminalisten hatten in Jena in einer von Zschäpe angemieteten Garage Rohrbomben und Sprengstoff entdeckt.

Kurz nach dem Konzert, an einem nicht bekannten Tag im Februar, erlaubt Max B. dem flüchtigen Trio, in seiner Wohnung in Chemnitz unterzukommen. Er selbst nächtigt in dieser Zeit vermutlich im Lehrlingsheim der einzigen sächsischen Berufsschule für Steinmetze in Demitz-Thumitz bei Bischofswerda.

Gut fünf Monate bleibt das spätere Terrortrio in der Wohnung von Max B., die sich in der Limbacher Straße im Stadtteil Altendorf befunden haben soll. Es ist der erste Unterschlupf seit der Flucht aus Thüringen. Mit dem Terrain dort machen sich Zschäpe, Mundlos und Bönhardt offenbar gut vertraut. Drei der insgesamt sieben Banküberfälle in Chemnitz, für die sie verantwortlich gemacht werden, liegen in unmittelbarer Nähe der Limbacher Straße.

Im Juli 1998 geht die Zeit von Max B. in der Berufsschule in Demitz-Thumitz vorüber. Er braucht seine Wohnung wieder, schmeißt das Trio raus. 14 Jahre später jedoch findet die Polizei ausgerechnet einen Pass auf seinen Namen in einem Wohnmobil in Eisenach: in jenem Wohnmobil, in dem nach einem gescheiterten Banküberfall Mundlos erst Böhnhardt und dann sich selbst getötet haben soll.

Für Max B. ist klar: Während er im ersten Halbjahr 1998 dem Trio seine Chemnitzer Wohnung überließ, hat Mundlos seinen Personalausweis benutzt, „um einen Reisepass unter Angabe meines Namens, aber mit seinem Foto und einer gefälschten Unterschrift zu beantragen“. Tatsächlich stellt die Stadt Chemnitz Mundlos aufgrund dieses Dokuments am 7. September 1998 einen Pass aus.

Wie lange und wo genau das Nazitrio im zweiten Halbjahr 1998 in Chemnitz untergekommen ist, weiß man noch nicht. Gerüchteweise sollen sie kurzfristig in der Hainstraße hinter dem Chemnitzer Hauptbahnhof gewohnt haben. Auch die im Lutherviertel gelegene Bernhardstraße 11 ist im Gespräch. Der Bäckermeister dort weiß nur zu berichten: „Im zweiten Stock war da damals ein Bordell.“

Weitgehend sicher hingegen ist, dass die drei Flüchtigen aus Jena weiterhin von ihren Kontakten in die Rechtsrockszene profitieren. Immer wieder fällt dabei das Kürzel „CC88“. CC, das steht für Chemnitz Concerts. Und 88 ist das Neonazi-Synonym für „Heil Hitler“.

Ein V-Mann des brandenburgischen Verfassungsschutzes berichtet, ein „CC88“-Kenner mit herausragenden Kontakten zu den besten Bands der Rechtsrockszene sei in jener Zeit dabei gewesen, für das flüchtige Trio Waffen zu besorgen. Nach Angaben des linksorientierten Antifateams „Gamma“ in Leipzig hatte „CC88“ gute Kontakte zum Blood-&Honour-Netzwerk. Auf Eintrittskarten für Skinkonzerte in Chemnitz sei das „CC88“-Logo gedruckt gewesen. Weiter heißt es: „Wir haben keinen Zweifel, dass auch Max B. ,CC88‘ zugerechnet werden kann.“ Der Skinhead von einst will sich mit Verweis auf das laufende Ermittlungsverfahren gegen ihn dazu nicht äußern.

Von „CC88“ führen Spuren zur Blood-&-Honour-Kameradschaft „Weiße Bruderschaft Erzgebirge“. In deren Postille „Arisches Recht & Ordnung“ schaltete unter anderem auch jener Rechtsrockkenner Anzeigen, der dem Trio Waffen besorgen sollte. Der Verfassungsschutz hat bei der Bruderschaft eine eindeutig „rassistische Grundeinstellung“ ausgemacht. Interessant ist die Gruppierung aber vor allem deshalb, weil ihr vier Personen aus Johanngeorgenstadt angehört haben sollen, die im Fokus der Ermittler stehen. Darunter ist der festgenommene André E., der mit seiner Firma das Bekennervideo produziert haben soll.

Der Zeitung „Freie Presse“ zufolge hat André E. darüber hinaus für Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt 1999 eine Zweiraumwohnung in einem Plattenbau in der Wolgograder Allee 76 in Chemnitz angemietet. Nach SZ-Informationen haben dort vom 26.September bis zum 5.Oktober sowohl Verfassungsschützer wie auch Zielfahnder der Polizei auf der Lauer gelegen.

Auch dort, am Rande des gigantischen Plattenbauviertels „Heckertgebiet“, in dem noch bis 2004 mehr als jeder Zehnte braun wählte, fühlt sich das Trio offenbar schnell heimisch. Dort liegen zwei weitere Post- und Sparkassenfilialen, die es überfallen haben soll. Nur acht Wochen nach der Observation durch die Zielfahnder werden in der nahe gelegenen Postfiliale in der Johannes-Dick-Straße mehrere 10000 D-Mark erbeutet. Am Ende ihres mehrjährigen Raubzugs durch das Chemnitzer Stadtgebiet sollte der Nationalsozialistische Untergrund gut 160000 Euro erbeutet haben. Die Polizei kam ihnen nicht auf die Spur – obwohl die Polizeidirektion Chemnitz/Erzgebirge zu den Direktionen mit der höchsten Aufklärungsquote in Sachsen gehört.

Die Wolgograder Allee dient dem Trio vermutlich bis zum Frühjahr 2001 als Versteck. Die Blood-&-Honour-Szene steht da bereits seit Monaten unter Druck, wird verboten. Razzia folgt auf Razzia, die Polizei nimmt ihrer Anführer fest. Dem Terrortrio wird der Boden in Chemnitz zu heiß, es zieht um nach Zwickau, mietet dort zunächst mit einem Helfer aus der „Weißen Bruderschaft“ eine Wohnung in der Polenzstraße 2 zum 1. Mai 2001. Sieben Jahre später wechselt es in die Frühlingsstraße 26, benutzt dabei den gefälschten Max- B.-Pass.

Max B. hat da schon längst Frau und Kinder. Sein Anwalt sagt, auf einer „extrem völkisch orientierten Silvesterparty“ zum Jahreswechsel 2001/2002 habe sein Mandant mit dem Rechtsextremismus gebrochen. Außer seiner Chemnitzer Zeit war es wohl ausgerechnet seine Mitarbeit beim Wiederaufbau der Frauenkirche in Dresden, die ihn zu den völkischen Kreisen der Nazi-Szene geführt hatte.

Auf der damals prominentesten Baustelle Deutschlands lernt er 1999 einen Steinmetz aus Berlin kennen. Der wird später Kreisvorstand der NPD in Pankow, organisiert völkische Tanzfeste und lebt heute abgeschieden im Landkreis Rostock auf einem Gutshof mit rechtsnationalen Siedlern, die sich Neo-Artamanen nennen. 2004 trifft Max B. ihn noch mal auf einem Steinmetzfest in Ottendorf-Okrilla. Von Terrorzellen-Mitglied Mundlos bekommt Max B. nach seinem Ausstieg noch „sporadisch“ Anrufe, lehnt aber einen neuen Kontakt ab.

Dem Chemnitzer Heckert-Gebiet indes ist die rechte Szene treu geblieben. Einer ihrer Treffpunkte ist ein hellgelb gestrichener Flachbau. „Backstreetnoise“ steht auf dem Dach, das heißt so viel wie „Hinterhofkrach“. Der Verkaufsraum ist hell beleuchtet, an den Wänden hängen professionell gemachte Werbefotos der Marke „Hooligan Streetwear“. Ordentlich sortiert und gut in Szene gesetzt, gibt es alle Textilmarken zu kaufen, die das rechte Herz begehrt: Lonsdale, Alpha Industries, Thor Steinar.

An der Hinterseite des Gebäudes ist über der Tür eine kleine Kamera angebracht. Neben dem Briefkasten steht: „Zutritt für Presse, TV und Polizei ohne vorherige Absprache verboten.“ Auf der weißen Tür prangt ein roter Kreis, in dem die schwarzen Buchstaben PC durchgestrichen sind. Political Correctness – nein danke!, soll das bedeuten. Das ist die Heimstatt von PC-Records, einem Musiklabel für Rechtsrock, der im vorigen Jahr unter anderem die CD „Adolf Hitler lebt“ produzierte. Mehr als 18Monate vor dem Auffliegen der Terrorzelle heißt es in dem Lied „Döner-Killer“: „Neunmal hat er bisher brutal gekillt, doch die Lust am Töten ist noch nicht gestillt.“

Von Ulrich Wolf