Karl Nolle, MdL
Der Spiegel 01/2012 Seite 23, 01.01.2012
Schrauben locker
Hetze, Anschläge, Morddrohungen: Rechtsextreme greifen im Wochentakt Politiker und Büros der Linken an. Jetzt wird der Schutz fürs Spitzenpersonal verstärkt.
Gregor Gysi fühlt sich umzingelt, seine Nachbarschaft ist ihm fremd geworden, immer wieder sieht der Fraktionschef der Linken in der Nähe seines Wahlkreisbüros finstere Gestalten.
Es liegt in Berlin Niederschöneweide, einem Bezirk, der als Hochburg für Neonazis bekannt ist. Die rücken nun an sein Abgeordnetenbüro heran. Strohleute mieten für Rechtsradikale Laden um Laden, hat Gysi beobachtet, „sie wollen, dass es ,ihre‘ Straße wird“. Fast jede Nacht beschmierten oder beschädigten sie die Schaufensterscheiben seines Büros, sagt er. „Aber ich lasse mich nicht verdrängen.“
Politiker der Linken sind im Visier der Rechtsextremen. Monatlich mindestens vier oder fünf Anschläge zählen Genossen und Polizisten zurzeit bundesweit, häufig waren es mehr.
Immer wieder gehen Fenster zu Bruch, explodieren Briefkästen, beschädigen Brandsätze Autos, Büros und Wohnungen. Das jüngste Beispiel ist eine eingeworfene Fensterscheibe im Hamburger Stadtteil Hamm. Unbekannte hatten in der Nacht zum 26. Dezember das Büro des Hamburger Bürgerschaftsabgeordneten Tim Golke mit Steinen attackiert. Und auch auf den Adresslisten, die jüngst bei den Neonazi-Mördern aus Zwickau gefunden wurden, stehen viele Namen linker Funktionäre. Rechtsextreme greifen auch Vertreter anderer Parteien an, sie verletzen Ausländer, Homosexuelle, Obdachlose und Polizisten.
„Wir kriegen euch alle“
Aber die Linke trifft der rechte Hass besonders oft und besonders schwer; nicht nur, weil beide Seiten zum Teil um dieselbe Klientel konkurrieren, die Enttäuschten und Verlierer der Gesellschaft. Viele Neonazis können überdies den Genossen offenbar nicht verzeihen, dass sie seit langem gegen ihre Aufmärsche und Propaganda mobilisieren – auch in Zeiten, in denen Neonazis kaum interessierten. seit Jahren verlangt zum Beispiel die innenpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion im Bundestag, Ulla Jelpke, regelmäßig Auskunft von der Bundesregierung: Warum gibt es so viele Lücken in der Opferstatistik rechter Gewalt, wo finden die Skin-Konzerte statt, was macht eigentlich der Verfassungsschutz?
Jelpkes Archiv ist als Informationsquelle gefragt, und das ist auch den Neonazis nicht verborgen geblieben. Täter schossen Stahlkugeln durch die Fenster ihres Wahlkreisbüros in Dortmund, sie durchschlugen die Tür mit einem Pflasterstein, beschmierten die Wände, versprühten säure. Allein im vorigen Jahr gab es viermal solche Attacken. Eine Versicherung, die für den Glasbruch aufkommen würde, findet Jelpke schon seit Jahren nicht mehr.
Eine parteiinterne Statistik führt für die Zeit von Januar 2010 bis Sommer 2011 weit über hundert polizeibekannte Attacken gegen linke Politiker und Büros auf, Nord- Rhein-Westfalen und Ostdeutschland sind demnach Schwerpunkte der Aggression. Anonyme Drohungen („Wir kriegen euch alle“) sind dabei noch das Harmloseste.
Jörn Wunderlich, ein linker Bundestagsabgeordneter aus Limbach-Oberfrohna in Sachsen, musste sich im Mai vorvergangenen Jahres sogar in seiner Privatwohnung verschanzen, als Neonazis angriffen und die Fenster im Erdgeschoss mit Eisenstangen zerschlugen. Wunderlich hatte Glück, die Angreifer zogen davon, ohne einzusteigen.
in der Nacht zum 18. Februar 2010 wurde das Auto des Geschäftsführers des Kreisverbands sächsische Schweiz/Osterzgebirge, Lutz Richter, angezündet. selbst die Wohnhäuser seiner Mutter und seiner Lebensgefährtin wurden mit Drohparolen beschmiert.
Das Auto von Evrim Sommer, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, ging vor knapp zwei Jahren vor ihrer Berliner Wohnung ebenfalls in Flammen auf. Und in Göppingen wurden die Bremsen im Auto des Stadtrats Christian Stähle manipuliert, sein Briefkasten wurde in Brand gesteckt. Das Büro des Bundesschatzmeisters Raju Sharma im schleswig-holsteinischen Eutin wurde allein seit Februar 2010 siebenmal attackiert.
in der Linken-spitze macht sich unterdessen Enttäuschung über das Verhalten der anderen Parteien breit. sie stört, dass Union und SPD zwar eine Bund-Länder-Kommission erwägen, um Versäumnisse bei der Verfolgung von Rechtsterroristen aufzuklären, die Linken aber nicht dabei sein sollen. „Ausgerechnet im Kampf gegen rechts werden wir weiter als parlamentarisches Schmuddelkind behandelt“, klagt die Linken-Abgeordnete und Vizepräsidentin des Bundestags, Petra Pau.
immerhin – die Sicherheitsmassnahmen für linke Spitzenpolitiker wurden nun verstärkt. Mehrere Dutzend Funktionäre wurden informiert, dass sie auf den Listen der Mörder aus Zwickau standen. Um Trittbrettfahrer oder Nachahmer nicht auf den Plan zu rufen, sollen ihre Namen aber nicht öffentlich gemacht werden.
Flächendeckender Schutz ist ohnehin kaum möglich. Die Polizei kann oft nur noch die Tat protokollieren, die meisten Verfahren werden nach einiger Zeit eingestellt. Vor allem auf Landes- und Kommunalebene müssen die Genossen so weiter mit der Bedrohung leben. Bodo Ramelow, Fraktionsvorsitzender der Linken in Thüringen, kennt das seit langem.
Miterlebt hat er in seinem Umfeld schon fast alles: Brandanschläge auf das Büro, einen Einbruch, durchtrennte Bremsleitungen, gelockerte schrauben an den Autorädern seines Stellvertreters, Morddrohungen. Bereits in den neunziger Jahren hatte Ramelow auf rechts - extreme Netze in Thüringen hingewiesen. Jetzt sagt er: „ich hätte ausnahmsweise gern unrecht gehabt.“
Denn sein Name steht auch auf der Liste aus Zwickau: „ich hätte es meinen Kindern gern erspart, vom Staatsschutz über Sicherheitsmassnahmen geschult zu werden.“ Ramelow sagt, ihn quälten Alpträume. Nachts wache er auf und sehe die Gesichter von Uwe Mund los und Uwe Böhnhardt vor sich.
Denn er war den beiden Neonazis in den neunziger Jahren schon einmal begegnet, bevor sie untertauchten. Als Ramelow in einem Prozess gegen einen Neonazi als Zeuge aussagte, waren auch die beiden späteren Serienmörder zugegen.
Wie Bodyguards hatten sie sich an die Eingangstür zum Gerichtssaal gestellt, um ihren angeklagten Kumpanen Manfred Roeder zu unter - stützen. Als sie dann hinter ihm in den Zuschauerreihen Platz genommen hätten, erinnert sich Ramelow, habe er sie „als stumme Drohung in meinem Nacken“ empfunden.
Markus Deggerich