Karl Nolle, MdL
Süddeutsche Zeitung, 02.01.2012
Bundespräsident in Not - Wulff drohte mit Strafanzeige gegen "Bild"-Journalisten
"Krieg führen", "Rubikon überschritten", "endgültiger Bruch": Mit drastischen Worten hat Bundespräsident Christian Wulff versucht, den Bericht der "Bild"-Zeitung über seinen umstrittenen Privatkredit zu stoppen. Nach Informationen der "Süddeutschen Zeitung" drohte das Staatsoberhaupt sogar mit einer Anzeige. Wulffs Wut-Anruf ist bestens dokumentiert - auf dem Anrufbeantworter von "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann.
Bundespräsident Christian Wulff hat versucht, die Veröffentlichung der Recherchen zur Finanzierung seines Privathauses in der Bild-Zeitung persönlich zu verhindern.
Nach Angaben der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und Informationen der Süddeutschen Zeitung hat Wulff am 12. Dezember 2011, einen Tag, bevor das Boulevard-Blatt mit der ersten Geschichte zur Immobilen-Finanzierung durch ein befreundetes Unternehmerpaar auf den Markt kam, dem Bild-Chefredakteur Kai Diekmann den "endgültigen Bruch" mit dem Springer-Verlag angedroht für den Fall, dass diese "unglaubliche" Geschichte tatsächlich erscheine. Für ihn und seine Frau sei "der Rubikon überschritten", habe sich Wulff ereifert.
Nach SZ-Informationen hat der Bundespräsident Diekmann aus Kuwait angerufen, den Bild-Chefredakteur aber nicht erreicht, weil der zu dieser Zeit in New York weilte. Er bat um ein Gespräch mit Diekmann. Offiziell äußert sich der Springer-Verlag nicht zu dem Vorgang.
Die Zeitung hatte sich von der Veröffentlichung ihrer Recherchen, nach denen sich der damalige niedersächsische Ministerpräsident Wulff 500.000 Euro bei dem befreundeten Unternehmerpaar Egon und Edith Geerkens geliehen hatte, nicht abbringen lassen; über die versuchte Einflussnahme des heutigen Bundespräsidenten hatte sie nicht berichtet. Nach SZ-Informationen hat Wulff noch einmal Kontakt zu Diekmann aufgenommen, den Anruf bedauert - und dieser die Sache dann für erledigt erklärt.
"Nicht besonders geschickt", kommentiert Wulffs Umfeld
Wulff befand sich zum Zeitpunkt des Anrufs auf Auslandsreise, er tourte durch die Golf-Staaten. Dass mehrere Medien seit Monaten recherchierten, weil sie Hinweisen auf eine sehr spezielle Finanzierung des Einfamilienhauses von Christian und Bettina Wulff in Burgwedel nachgingen, wusste der Bundespräsident - immerhin hatte es einen Rechtsstreit durch alle Instanzen zur Einsicht für Journalisten ins entsprechende Blatt des Grundbuchamts gegeben. Aber dass ausgerechnet der Springer-Verlag, mit dem Wulff in Privatangelegenheiten bisher gut kooperiert hatte, die Story in seiner Abwesenheit auf den Markt bringen würde, hat ihn offenbar schockiert.
Als "nicht besonders geschickt" bezeichnet jedenfalls jemand aus dem Umfeld des Staatsoberhaupts den angeblich "wutentbrannten Anruf" beim Chefredakteur der auflagenstärksten deutschen Tageszeitung. Dass er auf die Mailbox sprach, amüsiert die Branche regelrecht: So ist jedes Wort auf Bild-Seite dokumentiert - auf Wulffs Seite aber nicht.
Die Sache mit dem Krieg
Noch zu Zeiten als niedersächsischer Ministerpräsident war Wulff (CDU), geführt von seinem damaligen Regierungs- und späteren Präsidentensprecher Olaf Glaeseker, einen anderen Umgang mit der Springer-Presse gewohnt: Die Scheidung von Ehefrau Christiane und den Übergang in die zweite Beziehung mit der heutigen Frau Wulff, Bettina Körner, lief zum Beispiel öffentlich unter anderem in der Bild-Zeitung ab.
Das Blatt wurde mit Informationen, hübschen Bildern und später Babyfotos vom jungen Glück versorgt - die Scheidung war kaum Thema. Auch danach waren die Wulffs, gut vernetzt in der übersichtlichen VIP-Szene in Hannover, oft im bunten Teil der Zeitung zu finden.
Das Verhältnis kühlte jedoch schon im Präsidentenwahlkampf ab, als sich die Springer-Presse sehr für den Kandidaten Joachim Gauck begeistern konnte. Wulff trat den Weg ins Schloss Bellevue fast ohne mediale Unterstützung an; als sein vom befreundeten Osnabrücker Unternehmerpaar Geerkens gewährter Kredit öffentlich wurde, wähnte Wulff-Sprecher Glaeseker dahinter sofort eine Kampagne der Medien.
Ein Anruf, der zur verkorksten Öffentlichkeitsarbeit Wulffs passt
Am 12. Dezember platzte dem Bundespräsidenten der Kragen. Wenn Bild "Krieg führen" wolle, dann solle man darüber nach seiner Rückkehr mit ihm sprechen, wie dieser Krieg geführt werden solle. Nach SZ-Informationen soll Wulff sogar mit einem Strafantrag gegen die Journalisten gedroht haben. In seiner öffentlichen Erklärung vom 22. Dezember zeigte er sich einsichtiger: "Ich weiß und finde es richtig, dass die Presse- und Informationsfreiheit ein hohes Gut ist in unserer freiheitlichen Gesellschaft."
Dass niemand den unbeherrschten Anruf beim Bild-Chef verhindern konnte, rundet das Bild der verkorksten Öffentlichkeitsarbeit im Präsidenten-Stab ab. Auch nach einer schriftlichen und einer mündlichen Erklärung des Bundespräsidenten gelingt es noch, Widersprüche zwischen den zeitlichen Abläufen der Kreditvergabe und -umwandlungen sowie den Schilderungen Wulffs zu finden. So hatte Wulff mit einer schriftlichen Erklärung am 15. Dezember den Anschein erweckt, die Umwandlung einer sehr zinsgünstigen Übergangsfinanzierung in ein reelles Hypothekendarlehen bei der BW-Bank sei bereits abgeschlossen - tatsächlich hatte er zu diesem Zeitpunkt nicht einmal den Vertrag an die Bank zurückgeschickt (SZ vom 31. Dezember).
So geht der Bundespräsident mit vielen offenen Fragen ins neue Jahr - womöglich hatte er das geahnt, als er Diekmanns Nummer wählte.
Von Ralf Wiegand, Hamburg